Mark Arcobello klagt an
Eishockey Der Topskorer des SC Bern spricht von fehlendem Respekt in der Liga und versteht das als Weckruf.
Reto Kirchhofer
Mark Arcobello spricht nicht gerne. Lieber spielt er Eishockey. Seit über drei Jahren ist der US-Amerikaner Dreh- und Angelpunkt in Bern. 225 Punkte in 215 Partien machen ihn zum konstantesten, erfolgreichsten Angreifer der National League. Aber eben: Der gefragte Mann will er nicht sein.
Umso überraschender kam am Samstagabend sein Wunsch nach einem Gespräch. Arcobello stand in Genf vor der Gästegarderobe, im Spiel zuvor hatte ihn Servettes Tim Bozon mit einem üblen Stoss von hinten in die Bande bugsiert. Arcobello sprach kontrolliert, nicht von Emotionen befeuert. Dennoch bergen seine Sätze Zündstoff. «Wir alle haben dasselbe Ziel: Spiele zu gewinnen. Gleichzeitig haben wir Familien, möchten vom Eishockey keine bleibenden Schäden davontragen. So wie es jetzt läuft, ist es eine Frage der Zeit, bis sich jemand gravierend verletzt. Und dann ist es zu spät.» Arcobello sprach von «einigen Spielern, die immer wieder mit hirnlosen Aktionen auffallen». Und ergänzte: «Ich habe in keiner Liga gespielt, in welcher der Respekt vor dem Gegner geringer ist. Es ist eine Schande. Jemand musste das auf den Tisch bringen.» Sagte es, bedankte sich und verschwand.
Ausgerechnet Arcobello, mögen einige einwenden. Auch der SCB-Topskorer hat sich Aussetzer geleistet und Sperren abgesessen. Aber am Samstag flog er zum dritten Mal innert drei Wochen nach einer Charge von hinten in die Bande - Verletzungsgefahr: hoch. Er sagt, die Worte seien als Weckruf zu verstehen.
Arcobello erhält Unterstützung von Langnau-Coach Heinz Ehlers. «Ja, der Respekt hat abgenommen. Es wird zuweilen dreckig gespielt. Eine gute Erklärung dafür habe ich nicht.» ZSC-Sportchef Sven Leuenberger hat einen Ansatz: «Es hat weniger mit fehlendem Respekt zu tun: Viele können es nicht besser. Die meisten Spieler in dieser Liga haben nie gelernt, richtig zu checken und Checks zu nehmen. Schauen Sie mich an: Ich konnte bis zum Ende der Karriere keinen Check ausführen.» Der frühere ZSC-Verteidiger Kevin Klein habe zu ihm gesagt: «In eurer Liga kommt noch einer um, weil die Spieler nicht wissen, wie sie sich verhalten und schützen sollen.»
Das falsche Verhalten
Tatsächlich verhalten sich etliche Spieler fahrlässig, drehen vor der Bande den Rücken zum Gegner, ducken sich, statt mit voller Körperspannung den Check zu nehmen. Biels Sportchef Martin Steinegger bestätigt: «Das Spiel ist schneller geworden. In diesem Zusammenhang sind zwei Dinge gefährlich: Erstens wissen die meisten nicht, wie man einen Check annimmt. Zweitens werden Checks in Situationen ausgeführt, in denen sie nicht mehr hätten angesetzt werden dürfen.» Leuenberger sagt: «Einige suchen beim Gegner nur dann den Körper, wenn der Spieler sie nicht sieht. Ist er bereit, gehen sie dem Check lieber aus dem Weg.»
Die Frage des fehlenden Respekts geht an ZSC-Captain Patrick Geering. Er antwortet pragmatisch: «Man empfindet das meist so, wenn es einen selber oder das eigene Team betrifft.» Davos-Verteidiger Félicien Du Bois vermutet einen Zusammenhang mit Arcobellos Dominanz und Rolle. «Einige mögen den Topskorer-Helm nicht, sehen sich als Zielscheibe für Stockschläge und Cheap Shots.» Auch Steinegger erwähnt die Rolle des Topskorers. «Er darf kein Freiwild sein, sollte aber nicht mehr Rechte haben. Das Reglement muss so umgesetzt werden, damit sich die Arcobellos, Roes und Rajalas so bewegen können, wie sie sich bewegen müssen.»
Die zu milden Urteile
Laut Du Bois lässt «ein sehr kleiner Teil von Spielern manchmal den Respekt vermissen». Geering spannt den Bogen zu den Sanktionen: «Es sind häufig dieselben, von denen unsaubere Aktionen ausgehen. Offenbar ist das Strafmass nicht Abschreckung genug.»
In diesem Bereich herrscht Konsens: Die Urteile des Einzelrichters waren jüngst zu milde. Steinegger nennt die Checks von Morant an Arcobello und von Scherwey an Roe. «Beide wurden nicht sanktioniert. Das sind Zeichen in die falsche Richtung.»
Eine zusätzliche Bestrafungsoption sind Bussen. In der NHL resultiert für einen Spieler bei einer Sperre Lohnausfall, in der Schweiz wäre dies rechtlich nicht umsetzbar. Zwar wurden die Bussen erhöht. Aber Langnau-Coach Ehlers sagt: «Wenn einer 600000 Franken verdient, was kümmern ihn 2000 Franken?»
Allein: Die Clubverantwortlichen und die Spielergewerkschaft könnten an der Ligaversammlung verschärfte Sanktionen und noch höhere Bussen durchsetzen. Aber welcher Geschäftsführer will freiwillig länger auf seine Spieler verzichten? Welcher Spieler will freiwillig das Portemonnaie weiter öffnen?
Fehlender Respekt, Fehlverhalten, fehlende Sanktionen: Dennoch scheint die Dringlichkeit nicht gegeben. So könnte es sich mit Arcobellos Weckruf wie mit einem Wecker verhalten: Schlummertaste drücken, hinauszögern - und womöglich den Moment verschlafen.
Mitarbeit: mob, kk, sg.
Fahrlässig, aber ohne Verletzungsfolge: Zugs Verteidiger Johann Morant checkt Berns Topskorer Mark Arcobello in die Bande. Foto: Urs Lindt (Freshfocus)
Denis Vaucher: «Der Respekt hat nicht abgenommen»
Denis Vaucher, SCB-Stürmer Arcobello spricht über fehlenden Respekt in der National League. Seine Worte dürften Ihnen als Ligadirektor nicht gefallen.
Ich kann und will die Aussage nicht werten. Ich glaube jedoch nicht, dass der Respekt abgenommen hat. Mir fällt aber auf, dass sich Spieler häufig abdrehen, statt den Check mit voller Körperspannung zu nehmen. Durch dieses Fehlverhalten werden Situationen noch gefährlicher. Letztlich müssen die Spieler zum Thema Respekt befragt werden. Jeder trägt eine Mitverantwortung.
Arcobello spricht auch über gesundheitsgefährdende Aktionen. Haben sich diese gehäuft?
Die letzten zwei Jahre wurde häufig über Checks gegen den Kopf debattiert. Die Zahl dieser Vergehen war in der Saison 2018/19 rückläufig. Ende November waren wir etwa auf dem Stand wie zum selben Zeitpunkt in der Vorsaison. Subjektiv betrachtet, gibt es etwas mehr Vorfälle im Bereich der Banden. Gesamthaft haben sich die unsauberen Aktionen nicht gehäuft, aber an die Banden verlagert. Grundsätzlich gilt: Jede Verletzung ist eine zu viel.
Zum besseren Schutz der Spieler wurden flexible Banden installiert. Bewirken diese gar das Gegenteil, indem die Spieler den Aufprall unterschätzen?
Es kann sein, dass die Spieler intuitiv solche Gedanken haben. Aber die wirklich unschönen Aktionen - mit dem Stock von hinten in den Rücken des Gegners, der zwei Meter von der Bande entfernt steht -, die haben nichts mit flexiblen Banden zu tun. Die sind einfach dumm und gefährlich.
Zuletzt fielen die Urteile des Einzelrichters äusserst mild aus. Die Spieler fühlen sich zu wenig geschützt.
Ich teile die pauschale Aussage nicht, dass die Urteile zu mild seien. Ich höre häufig Vergleiche mit der NHL. Die sind nicht angebracht. In der NHL gibt es 82 Spiele, bei uns 50. 10 Spielsperren in der NHL entsprechen etwa 6 bei uns. Und was viele vergessen oder nicht wissen: Bei der Beurteilung ist nicht die Verletzungsfolge massgebend: Es geht um das objektive Gefährdungspotenzial des Fouls - und um die Absicht des Täters, die Verwerflichkeit und Regelwidrigkeit der Aktion. (rek)