ZSC-Königstransfer Sven AndrighettoEinst zu klein, kehrt er als Grosser heim
Sven Andrighetto musste 27 werden, um bei seinem Lieblingsclub ZSC Lions zu debütieren. Die Geschichte seiner verblüffenden Reise durch die Eishockeywelt.
Simon Graf
Publiziert heute um 17:30 Uhr
Posieren vor dem Wahrzeichen Zürichs: Sven Andrighetto und die Zwillingstürme des Grossmünsters. Foto: Dominique Meienberg
Wenn die Tage wieder kürzer wurden und die Abende kühler, nahte für Sven Andrighetto jeweils die Zeit des Abschiednehmens. Er packte seine Koffer und zog aus seinem Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung in Wermatswil, wo er im Sommer wohnte, wieder aus in die weite Welt. Nach Rouyn-Noranda in Québec, nach Hamilton, Montréal, Denver oder zuletzt nach Moskau. «Es fühlte sich etwas komisch an, als ich diesmal Ende August nicht wieder abgeflogen bin», sagt er bei einem Cappuccino auf dem Münsterplatz im Zentrum von Zürich. «Aber es ist wunderschön, angekommen zu sein, mich hier niederzulassen.»
Andrighetto musste 27 werden, um beim Club zu debütieren, für den schon als kleiner Junge sein Herz schlug. Das es erst jetzt passiert, hat mit seiner Geschichte zu tun. Als ZSC-Junior war er immer einer der Kleinsten. Die Coaches sagten zu seinen Eltern, sie sollten darauf Wert legen, dass er die Schule abschliesse. Denn für eine Profikarriere reiche es wahrscheinlich nicht. «Mich nervte es, dass niemand so richtig an mich glaubte», sagt Andrighetto und blinzelt an diesem schönen Herbsttag in die Sonne. Aber es war für ihn auch ein Ansporn.
«Ich kann nicht beeinflussen, wie viel ich wachse. Aber ich kann dafür sorgen, dass ich der Schnellste bin.»
Sven Andrighetto
Er kann sich noch an ein Gespräch mit seinem Vater erinnern, der zu ihm sagte, er solle sich darauf konzentrieren, was in seiner Macht stehe. Er nahm sich die Worte zu Herzen. «Ich kann nicht beeinflussen, wie viel ich wachse», sagt Andrighetto, heute 1,77 Meter gross. «Aber ich kann dafür sorgen, dass ich der Schnellste auf den Schlittschuhen bin, der Wendigste. Dass mich niemand erwischt. Von jung auf habe ich sehr viel Wert gelegt aufs Schlittschuhfahren, auf die engen Kurven. Und ich habe zu mir gesagt: Ich tue das nicht für die anderen, sondern für mich, um mir zu beweisen, dass ich es kann.»
Mit dieser Einstellung hat es Andrighetto weit gebracht. Er bestritt fünf Jahre mehrheitlich in der NHL, absolvierte 227 Spiele in der härtesten Liga. Und wenn er mal wieder ins Farmteam abgeschoben wurde, war er dort meist der Beste und empfahl sich wieder für höhere Aufgaben. Doch 2019 neigte sich sein Nordamerika-Abenteuer dem Ende zu. Dabei hätte es ihm in Denver, wo er seine Verlobte Bailey Cook kennen gelernt hat, so gut gefallen. «Diese Stadt passte mir von allen am besten», sagt er. «Sie ist nicht riesig, es hat viel Natur in der Nähe, die Berge. Vieles erinnerte mich an die Schweiz.»
Schnell und wendig: Sven Andrighetto im ZSC -Training. Foto: Keystone
Doch in der NHL richtet man sich nicht nach den Präferenzen der Spieler. Weil Coach Jared Bednar bei Colorado keine richtige Rolle für Andrighetto sah, bekam er keinen neuen Vertrag. Und nach einem Jahr in Moskau, oder genauer im Vorort Balaschicha, wo sein KHL-Club Omsk die Saison ohne eigenes Stadion überbrückte, ist Andrighetto in die Stadt seines Herzens zurückgekehrt. Die ZSC-Marketingabteilung hätte es nicht besser inszenieren können. Denn Andrighetto liess sich vor drei Jahren ein Zürcher Tattoo auf den rechten Oberschenkel stechen: die Zwillingstürme des Grossmünsters, einen Löwen und die Limmat.
«Ich zog ja schon mit 18 aus nach Nordamerika und wollte etwas haben, das mich an die Heimat erinnert», sagt er. «Und das Grossmünster finde ich wunderschön.» Er schilderte seinem Tätowierer in Uster seine Ideen, der zeichnete ein Bild, bei dem Andrighetto noch einige Anpassungen anregte. Dann wurde es auf den Oberschenkel gestochen. «Man gewöhnt sich an den Schmerz», sagt Andrighetto, der sich mit 18 das erste Tattoo auf den linken Arm stechen liess und seitdem fast jeden Sommer ein neues.
Ein geballte Ladung Zürich auf dem rechten Oberschenkel: Andrighetto liess sich das Grossmünster, den Löwen und die Limmat stechen. Foto: Dominique Meienberg
Hätte er, der in Bassersdorf aufwuchs, mit diesem Zürcher Tattoo auch zum EV Zug wechseln können? «Vielleicht hätte ich mir dann noch einen Zuger Stier tätowieren lassen müssen», sagt er schmunzelnd. «Nein, für mich symbolisiert das Tattoo die Stadt Zürich, und die ist ja immer Teil meines Lebens gewesen.» Aber natürlich passt es beim ZSC besser. Dass Andrighetto gleich einen Fünfjahresvertrag unterschrieben hat, ist ein Bekenntnis zu diesem Club. Und mit seinen klaren Ansagen passt er zur grössten Schweizer Stadt. «Für uns kann nur der Meistertitel das Ziel sein», sagt er unverhohlen.
«Sven ist sehr fordernd. Man muss ihn kennen, um zu wissen, wie man ihn nehmen muss.»
Teamkollege Christian Marti
Christian Marti, der gleichaltrige Verteidiger, kennt Andrighetto bei den Zürchern am besten. Sie lernten sich schon in einer U-14-Auswahl kennen, besuchten später gemeinsam die Sportschule in Oerlikon und suchten beide ihr Glück in Nordamerika. Inzwischen ist Andrighetto Götti des zweiten Kindes von Marti, des sechsmonatigen Dion. Marti sagt: «Sven ist sehr fordernd. Man muss ihn kennen, um zu wissen, wie man ihn nehmen muss. Aber er hat in den letzten Jahren einen rechten Reifeprozess durchgemacht.»
Andrighetto schmunzelt, mit der Beschreibung seines Freundes konfrontiert. «Wenn es ums Eishockey geht, bin ich sicher sehr fordernd», sagt er. «Ich erwarte immer das Beste von mir selber, aber auch von meinen Mitspielern. Ich kann nicht mit einer Larifari-Einstellung mein Programm abspulen. Wenn ich etwas tue, dann zu 100 Prozent. Oder gar nicht.»
Ab heute schlägt er mit dem Auswärtsspiel in Lugano ein neues Kapitel auf. Er, der das Wahrzeichen Zürichs tätowiert hat, würde gerne zu einem Wahrzeichen der ZSC Lions werden.