Pfäffiker Goalie Lukas Flüeler
«Adieu zu sagen, war mega emotional»
Lukas Flüeler hat seine gesamte Profikarriere bei den ZSC Lions verbracht. Jetzt ist er zurückgetreten – ein Rückblick in sechs Kapiteln.
Donnerstag, 12. Mai 2022, 15:03 Uhr
Er führte die ZSC Lions 2012, 2014 und 2018 zu drei Meistertiteln. Sogar beim Triumph 2008 war Lukas Flüeler schon dabei – wenn auch als «Lehrling» hinter Ari Sulander.
In den letzten Wochen seiner Karriere aber spielte der Pfäffiker Torhüter, der im November den Rücktritt angekündigt hatte, bei seinem Stammklub keine Rolle mehr. Der 33-Jährige war nur noch dritte Kraft hinter Jakub Kovar und Ludovic Waeber. Mit dem leisen Abgang hat Flüeler keine Probleme.
«Jeder würde am liebsten mit einem Pokal in den Händen aufhören», sagt er. «Das kann man nicht planen. Für mich war es die richtige Entscheidung im richtigen Moment.» 15 Jahre war Flüeler beim ZSC. Das ist eine bemerkenswert lange Zeit in diesem kurzlebigen Geschäft. Mehrfach verlängerte er den Vertrag frühzeitig. «Das zeigt: Ich wollte gar nie weg.»
Zitat«Der Kraftraum war nie mein bester Freund.»
Lukas Flüeler
Zu lediglich zwölf Einsätzen kam «Luki» im Abschiedsjahr noch. Es ist kein Grund für ihn, zu hadern. Er hat nochmals alles aufgesogen, schwärmt von den Champions-League-Partien und ist zufrieden, dass er auf das verpatzte Vorjahr mit einer Leistungssteigerung reagieren konnte. «Diese Saison hat mir nochmals viel gegeben», hält er fest.
Flüeler ist mit sich im Reinen. Und sieht seine Karriere in drei Phasen. «Erst war ich ein junger Goalie, der mit Ari Sulander einen Mentor hatte.» Vom Finnen hat er viel gelernt, aber nichts geschenkt erhalten. «Er sagte mir immer: Willst du spielen, musst du es dir verdienen.»
Lange war Flüeler danach die unbestrittene Nummer 1 und der Mann für die entscheidenden Siege, ehe er vom acht Jahre jüngeren Waeber verdrängt und selber zum Mentor wurde.
Pfäffiker ZSC-Goalie Lukas Flüeler
Die Corona-Saison warf ihn aus der Bahn
Klar ist für ihn: Er wird nie wieder in eine Torhüterausrüstung steigen. Er liebäugelt zwar damit, sich Kollegen in Wetzikon zum Plauschhockey anzuschliessen – aber als Feldspieler. «Ich werde kaum über die dritte Verteidigerlinie hinauskommen», ist er überzeugt und lacht.
Flüeler freut sich auf den neuen Lebensabschnitt. Er hat ein Fernstudium in Betriebswirtschaft absolviert, war zuletzt in einem 30-Prozent-Pendum beim grössten Schweizer Lebensversicherungskonzern angestellt. Ab Juni arbeitet er da Vollzeit.
Bis es soweit ist, weilt der Pfäffiker mit seiner Frau im Berner Oberland. «Um etwas runterzufahren.» Auf ihn wartet nicht nur beruflich ein neuer Lebensabschnitt. Auch die familiäre Situation hat sich verändert – vor rund drei Wochen ist er Vater geworden.
Das erste NLA-Spiel
Lukas Flüeler erlebte seine Feuertaufe in der höchsten Schweizer Liga am 23. September 2008. «Das war in Rapperswil, daran mag ich mich gut erinnern.» Er sei danach immer gerne hierher zurückgekommen, wobei seine Vorbereitung auf die Spiele bei den St. Gallern stets dieselbe geblieben ist. Ihn zog es zum Aufwärmen ans Ufer, in deren unmittelbarer Nähe das Stadion steht – Flüeler mochte besonders den Blick auf den See.
Bemerkenswerter Zufall: Auch seinen allerletzten Einsatz hatte Flüeler in Rapperswil. Es ist allerdings keiner fürs Erinnerungsalbum. Der Torhüter wurde am 7. Dezember 2021 eingewechselt, musste aber nach 18 Minuten und zwei Gegentoren wieder auf der Bank Platz nehmen.
Der emotionale Höhepunkt
Flüeler zögert bei der Antwort keine Sekunde. Die Meisterschaftsentscheidung 2012 hat sich bei ihm speziell eingeprägt. Sie war aber auch besonders dramatisch. Mit dem letzten Angriff der regulären Spielzeit gelingt den ZSC Lions am 17. April in Bern im siebten Finalspiel gegen den SCB das 2:1. Verteidiger Steve McCarthy – er ist nicht für seine Offensivkünste bekannt – hat sich nach vorne «geschlichen» und trifft nach einem Getümmel. «Zweieinhalb Sekunden blieben danach noch. Und ich realisierte, das wird der Meistertitel sein.»
Es ist Flüelers erster als Lions-Goalie Nummer 1. Der Pfäffiker hält dem Druck Stand und trägt grossen Anteil daran, dass die zwischenzeitlich in der Serie 1:3 zurückliegenden Zürcher noch triumphieren. McCarthys Treffer hat Flüeler dafür gar nicht live gesehen – die Sicht war ihm verstellt. Wie genau das Tor fiel, hat er sich später auf seinem Smartphone anschauen müssen.
Der härteste Moment
Diesen einen besonders bitteren Augenblick hat es nicht gegeben, findet Flüeler. Stattdessen sagt er: «All die Verletzungen waren immer harte Momente. Es kostete jedes Mal viel Energie, sich zurück zu kämpfen.» Vor allem der Rücken und die Adduktoren waren beim 1,93 m grossen und knapp über 100 Kilogramm schweren Oberländer Problemzonen – wie bei vielen Torhütern.
Der Rücken wird dies auch übers Flüelers Karrierenende hinaus bleiben. «An dieser Baustelle muss ich dran bleiben.» Wenn es gut laufe, merke man gar nicht, wie wichtig es sei, mit gezieltem Training vorzubeugen, sagt Flüeler. Und schiebt nach, es sei ja kein Geheimnis gewesen: «Der Kraftraum war nie mein bester Kollege.»
Der prägendste Trainer
«Bob Hartley.» Der heute 61-jährige Kanadier wirkte nur eine Saison lang in Zürich, dann kehrte er in die NHL zurück. Hartley gewinnt mit den ZSC Lions 2012 auf dramatische Art und Weise den Titel, nachdem den Zürchern die Qualifikation mit Platz 7 misslungen war. Im Umgang mit den Spielern ist Hartley rau, fordert sie permanent heraus. Er schenkt aber auch jungen Spielern Vertrauen. Wie dem damals 22-jährigen Flüeler, der vom Nordamerikaner gepusht wird. Der Pfäffiker tritt in jener Saison aus Ari Sulanders Schatten.
Bob Hartley – selber einst Goalie – ist derweil grosser Fan von Torhüterlegende Patrick Roy. Mit Folgen für Flüeler. «Ich hockte praktisch jeden Tag in Hartleys Büro», erinnert er sich, «und hörte mir eine Erzählung über Roy an.»
Die ZSC Lions
Für ihn sind die ZSC Lions eine der besten, wenn nicht die beste Eishockey-Organisation der Schweiz. «Man macht alles für den Erfolg. Das merkt man als Spieler.» Längst ist Flüeler zu einem ZSCler durch und durch geworden, der das Hallenstadion als «Daheim» bezeichnet. Die besondere Verbundenheit zum Klub hat man auch bei der Verkündung seines Rücktritts versehen. Flüeler verfasste eine Mitteilung, die er auf der Vereinswebsite veröffentliche und mit den Worten eröffnete: «Liebe ZSC-Familie».
Zwei Tage nach dem siebten Finalspiel räumte er die Garderobe in Oerlikon und musste zugleich Abschied nehmen von zahlreichen langjährigen Wegbegleitern. «Den Leuten Adieu zu sagen, war mega emotional.»
Die Zahl 499
So viele Partien hat Flüeler laut der anerkannten Eishockey-Statistikseite http://www.eliteprospects.com für die ZSC Lions absolviert. Die magische Grenze von 500 hätte er damit haarscharf verpasst. Manch ein Fan fragte sich, weshalb Trainer Rikard Grönborg dem verdienten Torhüter diese eine zusätzliche Partie nicht ermöglichte. Flüeler bleibt locker.
Er ist alles andere als ein «Statistiknerd». Und sagt auch: «Vielleicht kann mir mal jemand die richtige Zählweise erklären. Gilt es, wenn ich nur Backup war? Oder erst, wenn ich eingewechselt wurde? Ich habe jedenfalls schon einige andere Zahlen als 499 gehört.» Eine davon ist 552, eine andere ist 555. Sollte letztere stimmen, wäre es gar schade gewesen, hätte Flüeler letzte Saison auch nur eine einzige Partie mehr gespielt...