Nein... zu kurzfristig
Eishockey in KriegszeitenRussland verliert die WM – warum die Schweiz nicht einspringt
Der Weltverband dürfte dem Kriegstreiber die Titelkämpfe fürs nächste Jahr entziehen, Swiss Ice Hockey winkt jedoch ab. Die Gründe.
Philippe Reichen, Simon Graf
Publiziert: 20.04.2022, 11:35
Auch Maskottchen Cooly war über die Absage der Eishockey-WM 2020 in der Schweiz enttäuscht. Nun dürfte der Internationale Hockeyverband Russland die WM 2023 entziehen, doch zum Comeback für Cooly wird es im nächsten Jahr noch nicht kommen.
Foto: Urs Flüeler (Keystone)
Für das rauschende Sportfest im Mai 2020 stand alles bereit. Über 300’000 Tickets waren verkauft, Tausende Hotelnächte gebucht und Hunderte freiwillige Helfer gebrieft worden. Doch am 21. März 2020 musste OK-Chef Gian Gilli wegen der Corona-Pandemie die definitive Absage der Heim-WM in Zürich und Lausanne verkünden.
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Gilli sagte damals: «Der ganzheitliche Schaden ist sportlich für das nationale und internationale Eishockey, ökonomisch für die Standorte Zürich und Lausanne und imagemässig für die Schweiz enorm.» Und die Hoffnung, die WM 2021 erben zu können, zerschlug sich bald. Zumal das Virus die Austragung von Grossanlässen weiter erschwerte.
Nun böte sich Swiss Ice Hockey plötzlich eine Chance, die WM doch rascher auszutragen, als man sich das vorgestellt hatte. Noch ist Sankt Petersburg als offizieller Austragungsort der A-WM 2023 vorgesehen. Doch mehrere zuverlässige Quellen haben gegenüber dieser Zeitung unabhängig voneinander bestätigt, dass der Anlass Russland wegen des Kriegs gegen die Ukraine mit grosser Wahrscheinlichkeit entzogen wird.
Von der diesjährigen Eishockey-WM in Helsinki wurde das russische Team bereits ausgeschlossen. Nächste Woche soll Russland auch die Austragung der WM 2023 in St. Petersburg entzogen werden.
Foto: Frank Augstein (AP Photo/Keystone)
Den entsprechenden Entscheid wird der 15-köpfige Rat des Eishockey-Weltverbands (IIHF) treffen. Die Verbandsspitze kommt nächste Woche in Zürich zu einer Sitzung zusammen, wobei sich einzelne Mitglieder aus ihren jeweiligen Heimatländern online zuschalten. Der russische Vertreter und ehemalige NHL-Star Pawel Bure nimmt derzeit nicht an den Sitzungen teil.
Der Rat wird seinen Entscheid gemäss Sprecher Adam Steiss am Dienstag oder spätestens Mittwoch bekannt geben. Die Junioren-WM, die ab Ende 2022 ebenfalls in Russland hätte stattfinden sollen, hat die IIHF dem Land bereits entzogen. Der Anlass wird nun in Kanada ausgetragen.
Wird jetzt der Schweizer Verband für Russland einspringen, seine kaum gealterten Pläne wieder aus der Schublade holen und das OK rund um Gian Gilli reaktivieren? Maskottchen Cooly stünde wohl bereit, und auch der Lausanner Singer-Songwriter Bastian Baker hat den WM-Song in dieser kurzen Zeit bestimmt nicht verlernt.
Zitat
«Die Zeit, um innerhalb eines Jahres eine WM zu organisieren, wäre für uns zu kurz. Das ist schlicht nicht realistisch.»
Patrick Bloch, CEO von Swiss Ice Hockey
Doch Patrick Bloch, der CEO von Swiss Ice Hockey, winkt ab: «Die Zeit, um innerhalb eines Jahres eine WM zu organisieren, wäre für uns zu kurz. Das ist schlicht nicht realistisch. Ein Bewerbungsdossier ist sehr umfangreich, ausserdem haben wir zurzeit gar kein aktives OK. So müssten beispielsweise die ganze Logistik und die Infrastrukturen neu definiert und aufgebaut werden. Wir konzentrieren uns lieber voll auf unsere Bewerbung 2026 und hoffen da auf den Zuschlag. Wir wollen ein richtiges Hockeyfest veranstalten und alles nachholen, was wir 2020 verpasst haben.»
Schweiz setzt auf WM 2026
Weil man gute Chancen sieht, die WM 2026 ausrichten zu können, sieht man sich bei Swiss Ice Hockey nicht unter Zugzwang. Als Austragungsorte sind Zürich und in der Romandie entweder Freiburg oder Lausanne vorgesehen. Auch wenn mit Kasachstan offiziell ein Mitbewerber im Rennen ist, darf man beim Schweizer Verband optimistisch sein. Der Entscheid über die Vergabe fällt Ende Mai an der WM in Helsinki am Jahreskongress des Internationalen Eishockeyverbands.
Die Frage bleibt: Wer wird die WM 2023 ausrichten? Vieles deutet darauf hin, dass Helsinki nach der WM 2022 auch gleich jene im Folgejahr veranstalten wird. Das wäre eine Art Kompensation dafür, dass der finnische Organisator wegen des Ausschlusses Russlands in diesem Jahr weniger Einnahmen haben wird als geplant, weil keine russischen Fans anreisen werden.
Zudem wird in Helsinki nicht wie geplant in der Hartwall-Arena mit ihren 13’000 Sitzen gespielt, weil diese den russischen Oligarchen Gennadi Timtschenko und Roman Rotenberg gehört. Stattdessen wird auf die ältere Helsingin Jäähalli ausgewichen, die gerade mal 8200 Leuten Platz bietet.