Zwei Kanadier jagen ihr Glück
Cory Murphy und Duvie Westcott wollen bei den ZSC Lions ihre Wanderjahre hinter sich lassen.
Von Simon Graf, Zürich
Wenn man hätte tippen müssen, welche Ausländer Edgar Salis dereinst als Erste zum ZSC holen würde, hätte man nicht an zwei eher kleine Verteidiger wie Duvie Westcott und Cory Murphy gedacht. Sondern eher an einen bärigen Abräumer im Stil eines Peter Nordmark oder Ville Sirén. Wenn man den beiden neuen ZSC-Kanadiern spätnachts in der Unterführung an der Langstrasse begegnen würde – man würde nicht die Flucht ergreifen. Denn sie sehen nicht besonders furchterregend aus. Salis hat nicht zwei stämmige Naturburschen engagiert, sondern zwei kompetente Abwehrspieler von knapp 1,80 Meter.
Dass sie sich aber beide zu wehren wissen, beweist ihre Vita. Wer nie gedraftet war und es trotz fehlender Zentimeter in die NHL geschafft hat, sich in fremden Ligen durchgebissen, ja profiliert hat, versteht sich zu behaupten. Bei Westcott gibt es dazu den Videobeweis: Auf Youtube ist zu sehen, wie er, damals bei Columbus, den bekannten Bösewicht Sean Avery im Faustkampf besiegt. Er schmunzelt, als er auf die Szene angesprochen wird. «Avery hatte uns provoziert. Wir hatten ein Techtelmechtel und mussten auf die Strafbank», erinnert er sich. «Beim Hinausfahren fragte ich, ob er prügeln wolle. Er lehnte ab. Ich ging trotzdem auf ihn los.»
Händeschütteln als Ritual
Westcott betont aber, dass man ihn nicht als Schlägertypen ansehen könne. «Prügeln gehört in der NHL dazu. Nach dem Match ist das abgehakt. Wenn das hier passiert, redet ihr wohl noch Wochen darüber.» In der Vorbereitung liess Westcott seine Fäuste in den Handschuhen stecken. Er sorgte für Assists, nicht für Schläge. In den ersten Wochen sei es für ihn darum gegangen, die Kollegen, ihre spielerischen Präferenzen und die kulturellen Eigenheiten kennen zu lernen. «In Russland schüttelt man am Vormittag jedem Spieler die Hand», erzählt er. «Zuerst wusste ich das nicht, und einige dachten schon, ich sei arrogant, bis ich es erfuhr.» In der Schweiz sei es anders, da klatsche man mit geballter Faust ab.
Murphy kennt die Schweiz von seiner Freiburger Saison von 2005/06 und ist froh darum. «Denn hier wird komplett anders gespielt als etwa in Finnland. Das finnische Eishockey lehnt sich stark ans nordamerikanische an; es wird ruppiger gespielt. Ich der Schweiz läuft man viel und schnell.» Das sollte ihm, der als kreativ gilt, entgegenkommen. Murphy erlebte nach Gottéron die besten Jahre, gelangte via IFK Helsinki und einen WMTitel unter Andy Murray als Spätberufener in die NHL und war zweimal nahe dran, sich zu etablieren. Doch zweimal stoppte ihn eine Verletzung. Besonders ärgerlich war es im März 2009 bei Tampa, als er von einem Schuss von Teamkollege Vincent Lecavalier am Fuss getroffen wurde und dieser brach.
«Das war schade», sagt er kopfschüttelnd. «Es herrschte in Tampa eine günstige Situation für mich: Sie hatten viele Verletzte, ich spielte oft und mit guten Mitspielern. Wer weiss, wie es gekommen wäre.» Doch Murphy war zu wenig lang da, um einen bleibenden Eindruck zu machen, und nach einem Jahr im Farmteam New Jerseys hat er das Kapitel NHL abgeschlossen.
Der Luxus, daheim zu schlafen
Westcott war schon zwei Jahre früher, als er in die russische KHL auszog, an diesem Punkt angelangt. Die letzten beiden Saisons, in Riga und Minsk, seien spannend gewesen, erzählt er. Die schlechten Erfahrungen, die andere im «wilden Osten» gemacht hätten, könne er nicht bestätigen. «Ich fühlte mich nie unsicher. Die Menschen waren nett. Aber es war wieder Zeit für Neues.»
Auch, weil er seit einem Jahr Vater einer Tochter (Stella) ist und mehr Zeit mit ihr und seiner Frau verbringen möchte. «In Russland bist du eine Woche weg, eine zu Hause, eine weg. Die Roadtrips sind noch härter als in der NHL; du musst grössere Distanzen zurücklegen, mehr Zeitzonen überwinden.» In der Schweiz geniesst er nun den Luxus, jede Nacht im eigenen Bett zu schlafen.
Wie Murphy wohnt er in Winkel im Zürcher Unterland, und wer ihn nach ersten Eindrücken von der Schweiz fragt, löst eine hemmungslose Schwärmerei aus: «Die Landschaft ist wunderbar, mit den Flüssen, Seen, Bergen, Hügeln, Wäldern. Und die Leute sind sich bewusst, was sie daran haben. Sie werfen keinen Abfall auf den Boden, benützen Autos, die wenig Benzin verbrauchen. Viele fahren Velo. So sollte es sein.»
Am Abend unternehme er jeweils ausgedehnte Spaziergänge mit seinem Labrador in der Natur, zudem ist er angetan von der Schweizer Küche: «Die Qualität des Essens ist ausgezeichnet. Alles ist bio. Eure Poulets sind viel kleiner als die bei uns zu Hause. Weil ihr sie nicht mit Steroiden vollpumpt. Das wirkt sich auch auf den Geschmack aus. Und ich liebe all die verschiedenen Brote.»
«Wir werden vorne mitspielen»
Auch Murphy hat nur Positives zu berichten. Natürlich loben beide die ZSCOrganisation, die ihnen den Einstieg so leicht als möglich gemacht habe. Die beiden 32-Jährigen, die Verträge bis 2012 unterschrieben haben, sind überzeugt, dass sie in Zürich bei einem Spitzenteam gelandet sind. «Mit diesem Speed und dieser Technik werden wir vorne mitspielen», sagt Murphy. Auch Westcott zeigt sich vor allem vom Tempo beeindruckt. Von ihm, dem kompakten Kraftpaket mit Glatze, wird erwartet, dass er Stabilität und Härte ins Zürcher Spiel bringt. Murphy soll der Spielmacher und Spezialist fürs Powerplay werden.
Zudem hat er sich vorgenommen, nach Finnisch auch Deutsch zu verstehen. Zumal ihn seine beiden Kinder, die auf Englisch und Schweizerdeutsch unterrichtet werden, schon mit ihm unbekannten Ausdrücken bombardieren. Sein vierjähriger Sohn Grady hat inzwischen bei den ZSC-Junioren die ersten Gehversuche im Eishockey gemacht. Und Murphy strahlt, als er davon erzählt. Man hat das Gefühl, die beiden neuen Kanadier haben fernab der NHL ihr Paradies gefunden. Jetzt muss es nur noch mit dem Eishockey klappen.
Quelle: Tages-Anzeiger