nzz am sunntig:
«Wir wollen nicht klinisch sein»
Am Dienstag beginnt für den FC Basel die sechste Champions-League-Saison in den letzten acht Jahren. Der Präsident Bernhard Heusler erklärt, wie die Königsklasse den Klub stark gemacht hat und warum er die Schweizer Liga trotz der Überlegenheit des FCB spannend findet
NZZ am Sonntag: Bernhard Heusler, Sie haben am Dienstag Ihre früheren Spieler Granit Xhaka, Yann Sommer, Fabian Schär und Breel Embolo mit der Schweizer Nationalmannschaft gegen Portugal spielen sehen. Denken Sie in solchen Momenten: Doch, wir geben dem Schweizer Fussball einiges?
Bernhard Heusler: Ja, so etwas geht mir durch den Kopf. Andererseits: Ich sass nach dem Spiel im Auto und dachte, dass keiner unserer gegenwärtigen Nationalspieler am Dienstag auch nur eine Minute gespielt hat. Das entspricht nicht unseren Ansprüchen. Aber grundsätzlich habe ich ein gutes Gefühl. An der EM in Frankreich standen in fünf verschiedenen Teams 18 Spieler im Einsatz, die derzeit beim FCB spielen oder die eine Vergangenheit im Klub haben.
Die Frage zielte darauf, dass dem FCB immer wieder vorgeworfen wird, er nehme dem Schweizer Fussball vieles weg: die Spannung und die Attraktivität in der Liga.
Das ist ein Vorwurf, mit dem ich nicht viel anfangen kann. Schlaflose Nächte hätte ich als Präsident, wenn wir jedes Mal zwanzig Punkte Rückstand auf den Meister hätten. Dann müssten wir über Fehler diskutieren.
Der FCB macht ja kaum Fehler: Nach sechs Runden führt er in der Meisterschaft wieder deutlich. Zuletzt ist er siebenmal Meister geworden. Sehen Sie ein Problem für die Liga?
Wenn ich weit weg wäre vom Schweizer Fussball, könnte ich sagen: In der Schweizer Liga gibt es keine Spannung. Es gibt nur ein Team, das allen weit überlegen ist, weil es viel mehr Geld hat. So würde ich aber nur denken, wenn ich ganz weit weg wäre.
Aber genau so denken sehr viele Leute.
Je näher man dran ist, je mehr weichen sich diese Positionen auf.
Inwiefern?
Wenn man sagt, es sei sowieso klar, wer in der Schweiz Meister werde, dann muss ich sagen: Ich erlebe das im Stadion anders. Von allen Meisterschaftsspielen sehe ich nur selten eines, das mich langweilt. Und da rede ich nicht als FCB-Präsident, sondern als Zuschauer. Ich sehe oft tollen Fussball, nicht einseitigen. Der FCZ stieg im Juni ab, aber alle vier Saisonspiele gegen ihn waren knapp und spannend gewesen. Und von den letzten sieben Meisterschaften haben wir vier erst in den letzten Runden für uns entschieden.
Der FCB wird auf eine seltsame Art nicht mehr richtig ernst genommen. Er scheint für viele entrückt. Wie nehmen Sie das wahr?
Wir erhalten sehr viel Wertschätzung für die Arbeit, die wir leisten. Man schämt sich nicht für uns, wir sind transparent, bei uns gibt es nichts, vom dem man sagen müsste, das stinke zum Himmel. Seltsame Geldflüsse zum Beispiel. Aber ich kann auch verstehen, dass unser Erfolg etwas Unwirkliches hat. Wir erlebeneine Phase in der Geschichte des Schweizer Fussballs, die es so nie gegeben hat: sieben Meistertitel in Serie. Manchmal muss ich mich kneifen.
Der FCB definiert sich über Tradition, Fan-Kultur, Nähe. Haben Sie manchmal Angst, dass der Klub mit dem Erfolg zu klinisch wird?
Wir wollen nicht klinisch sein, wir stehen für Werte wie Offenheit und Toleranz gegenüber der Verschiedenheit unserer Anhänger. Aber es ist ein Spagat, der in Zukunft nicht einfacher wird. Der Begriff «klinisch» trifft es recht gut. Ein gewisses Risiko besteht.
Können Sie verstehen, dass über den Modus in der Liga diskutiert wird, weil man die Spannung zurückbringen möchte?
Ich kann die Diskussionen verstehen. Aber man muss wissen, dass die meisten Leute, die solche Vorschläge wie Punktehalbierungen oder Play-offs einbringen, Partikularinteressen vertreten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass solche Vorschläge wie die Aufstockung auf zwölf Teams nicht selten von jenen gemacht werden, die sich kurzfristig einen Vorteil für ihren Klub versprechen.
Bieten Sie Hand zu einer Modusänderung?
Aus sportlicher Sicht habe ich Mühe, wenn versucht wird, mit einer Modusänderung künstlich Spannung zu erzeugen. Am Schluss soll der sportlich Beste Meister werden und die Schweiz international vertreten. Heute spielen alle Teams viermal gegeneinander. Das gibt eine gewisse Sicherheit, dass am Ende der Saison der Beste gewinnt. Bei Play-offs wäre das anders. Da entscheidet oft die Tagesform. In zwei Spielen kann der FC Basel etwa gegen einen Grossklub wie Chelsea gewinnen. Über die Dauer einer Meisterschaft wäre er in England aber dort placiert, wo er hingehört. Also sicher nicht vor Chelsea.
Also gibt es keine Probleme?
Natürlich merke ich, dass sich die europaweite Entwicklung auch in der Schweizer Liga spiegelt. Die Schere geht auseinander, das ist fast überall so, in Frankreich, Spanien, Italien, Kroatien, Österreich. Nur England ist eine Insel, eine eigene Welt.
Was ist von dieser Entwicklung zu halten?
Als Fussball-Nostalgiker kann man sie bedauern. Ich bin aufgewachsen mit dem Meistercup, dem Cup der Cup-Sieger, dem Uefa-Cup. Das war grossartig. Doch wenn ich einen Weltstar wie den Brasilianer Socrates sehen wollte, musste ich vier Jahre warten, bis eine WM stattfand. Heute ist die Fussballwelt in Europa daheim. Die Champions League ist faktisch die Weltmeisterschaft der Klubs, sie hat weltweite Bedeutung, die Grenzen verwischen sich. Jemandem aus Peking etwa ist gleichgültig, ob eine Mannschaft aus Spanien, Frankreich, der Schweiz oder Rumänien kommt. Er fragt sich nur: Ist das eine Mannschaft, die ich kenne? Ist sie ein Brand?
Und dann sieht sich dieser Mensch in Peking gerne mehrfach Manchester City gegen Barcelona an? Und nicht Basel gegen Ludogorez wie an diesem Dienstag?
Für uns Fussballliebhaber aus Europa mag dies bedauerlich sein. Aber es ist so: Der TV-Zuschauer in Peking schaut sich lieber siebenmal Manchester gegen Barcelona an als einmal Basel gegen Ludogorez. Die Einschaltquoten belegen das, sie sind x-fach höher, wenn Teams aus den grossen Ligen gegeneinander spielen, als wenn Schweden, Niederländer oder Schweizer dabei sind.
Aber wie löst man das Problem der Ungleichheit in den nationalen Ligen?
Man könnte sagen, wir führen in der Schweiz ein Giesskannen-System ein: Das Geld, das der Meister in der Champions League verdient, wird unter allen Klubs gleichmässig verteilt. Oder noch besser: Der Zehnte der Meisterschaft soll mehr bekommen als der Erste. Aber ein solches System wäre unklug.
Was würde passieren?
Man könnte das ein, zwei Jahre lang machen. Dann gäbe es kein Geld mehr zu verteilen, weil kein Schweizer Team mehr in der Champions League teilnehmen würde.
Dafür würden in der Liga wieder alle näher zusammenrücken.
Das ist hypothetisch. Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass man die Lokomotive ausbremsen kann und dann die Wagen schneller werden. Wobei, das ist jetzt kein gutes Bild.
Doch, doch.
Man muss aufpassen mit Bildern. Man könnte auch sagen, dass die Wagen stehen bleiben, wenn sich die Lokomotive ausklinkt und davonfährt.
Der FC Basel als Lokomotive des Schweizer Fussballs, die alleine davonfährt?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Zu gross ist der Solidaritätsgedanke in den Reglementen unserer Liga verankert. Es ist schon heute so, dass keiner in Europa versteht, wie es möglich ist, dass der FCB in den letzten sieben Jahren fünfmal in der Champions League spielte. Man kann sich darüber freuen. Oder man kann sich darüber ärgern, weil die Teilnahme den FCB wirtschaftlich so stark gemacht hat.
Sie freuen sich natürlich.
Wir haben uns den Erfolg mit viel Arbeit verdient. Geld alleine bringt keine Champions League. Es gibt das Beispiel von Red Bull Salzburg. Der Klub versucht jedes Jahr, mit viel Geld in die Champions League zu kommen, geschafft hat er es nie. Wir schon.
Mit der Änderung des Modus ab 2018/19 wird es nicht mehr so einfach sein, in die Champions League zu gelangen, weil die grossen vier Ligen mehr fixe Startplätze bekommen. Geht es so weit, dass der FCB sein Geschäftsmodell anpassen muss?
Das ist eine hochinteressante Frage für uns. Wir dürfen für uns in Anspruch nehmen, nie so kühn gewesen zu sein, mit der Champions League zu budgetieren. Wir budgetieren mit der Teilnahme an der Europa League und dem zweiten Platz in der Meisterschaft. Klar ist, dass wir in einem solchen Fall das strukturelle Defizit nicht decken können. Will heissen: Wir brauchen ab und zu die Champions League oder einen Überschuss aus Transfers. Wenn es für einen Schweizer Klub tatsächlich nicht mehr möglich wäre, in der Champions League zu spielen, müssten wir unser Geschäftsmodell anpassen. Aber so weit sind wir nicht. Es ist nicht so, dass es mit dem neuen Modus unrealistisch ist, in der Champions League zu spielen. Und es wird auch in Zukunft immer internationale Wettbewerbe geben, die für Schweizer Klubs offen sind.
Aber die Tendenz ist, dass es in Zukunft schwieriger wird.
Zumindest bis 2021 bleibt es abzuwarten, wie sich der Modus für Schweizer Klubs auswirkt. Aber klar: Ich erwarte von den Grossklubs und der Uefa, dass sehr bald geklärt wird, wie es nach 2021 weitergeht. Wir mittelgrossen Klubs brauchen Planungssicherheit, unsere Budgets sind volatil. Wenn die Chance auf die Champions League statt 70 Prozent nur noch 5 Prozent beträgt, müssen wir uns früh danach richten, etwa in der Kaderplanung.
Wäre der FCB ohne die Champions League zu dem Klub geworden, der er heute ist?
Die Champions League war mitentscheidend. Ohne sie hätten wir uns nie entwickeln können, wie wir es getan haben. Ich bin überzeugt: In der Saison 2009/10 standen die Young Boys besser da als wir. Wir haben damals sehr viel von ihnen kopiert. Wir waren Mieter im St.-Jakob-Park und hatten zum Beispiel nur Teile der Vermarktungsrechte, und das Catering war extern organisiert. Bei YB kam schon damals vieles aus einer Hand.
Apropos YB. Angenommen, Sie wären nicht mehr Präsident des FC Basel und würden einen anderen Schweizer Klub beraten . . .
Ach, jetzt kommt eine Frage, bei der ich politisch korrekt antworten muss (lacht).
Welche Ratschläge würden Sie erteilen, um zum FC Basel aufzuschliessen?
Es tönt banal, aber entscheidend ist, die Kräfte im Klub zu bündeln. Jeder und jede, vom Präsidenten zum Balljungen, ist da, um das Team zu stärken. Es geht um das Warum. Warum sind wird da? Wir sind für den Klub da. Partikularinteressen gelten nicht. Sonst ist der Energieverlust zu gross. Die Serie des FCB wird irgendwann reissen. Dann muss man als Konkurrent parat sein.
Interview: Samuel Burgener, Flurin Clalüna