So viel zu unbescholtene Fans...

  • Nicht die Fans, sondern die Polizei war 1989 schuld am Tod von 96 Anhängern. Das enthüllt jetzt ein Bericht. Von Peter Nonnenmacher

    Die Hillsborough-Lüge

    23 Jahre lang mussten die Liverpooler um diese späte Rehabilitation kämpfen. Gegen Teile der Presse, gegen politische Prominenz – und vor allem gegen die Polizei. Jetzt endlich, mit einem unabhängigen Report, für den der Bischof von Liverpool verantwortlich zeichnet, ist ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Top-Politiker, Polizeichefs und die grösste Zeitung haben sich bei ihnen entschuldigen müssen. Die Regierung selbst hat eingestanden, dass man ihnen übel mitgespielt hat.

    Der Gegenstand des Schuldbekenntnisses ist die Hillsborough-Katastrophe von 1989. Damals wurden im gleichnamigen Stadion von Sheffield 96 Liverpool-Fans zu Tode getrampelt oder an Eisengittern erdrückt. Der örtlichen Polizei war es nicht gelungen, den vielen Fans an den Stadiontoren ordnungsgemässen Einlass zu verschaffen. Stattdessen öffnete sie dem Besucherstau unbedachterweise ein mächtiges, sonst verschlossenes Tor: Als die Liverpooler massenhaft in die für sie vorgesehene Einzäunung drängten, wurden schon im Käfig befindliche Fans gegen die Gitter gedrückt.

    Das war die Ausgangslage. Ganz Grossbritannien war damals schockiert. Ein Untersuchungsrichter legte bereits wenige Wochen später den Finger auf Fehler und Versäumnisse der Obrigkeit. Aber die Polizei mochte die Verantwortung nicht übernehmen. Wie jetzt der neue Bericht enthüllt, setzten die Polizisten alles daran, die Schuld den Opfern zuzuschieben. Betrunkene Randalierer seien die Fans gewesen, hiess es. Krawallmacher mit Vorstrafen hätten die Katastrophe auf dem Gewissen. Sogar die Rettungsaktionen seien behindert worden.

    Manipulierte Polizeiberichte

    Die «Sun» mit ihrer 4-Millionen-Auflage stiess vehement ins gleiche Horn. Wie Tiere, tönte sie, hätten sich die Liverpool-Fans benommen. Dabei war alles nur erfunden und erlogen. Die Ambulanzen waren schlicht nicht eingetroffen. Bei besserer Organisation hätte, wie man jetzt weiss, fast die Hälfte der Getöteten gerettet werden können. Blutproben und die Durchforstung von Vorstrafenregistern erwiesen sich als infame polizeiliche Ablenkungsstrategie. Als die Polizei aufgefordert wurde, ihre Berichte dem Untersuchungsrichter vorzulegen, schrieb ein kleiner Kreis von Beamten heimlich 116 der 164 Berichte um.

    Auch mit gezielter Irreführung der Öffentlichkeit suchten sich die Polizisten reinzuwaschen. Von einer konzertierten Verschwörung zu sprechen, ist darum heute keine Übertreibung. Hohen Beamten droht inzwischen Strafverfolgung. Die «Sun» hat sich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigen müssen. Der Regierungschef selbst, David Cameron, hat im Namen des Staates begangenes Unrecht eingeräumt.

    Begreiflich ist, was geschah, erst richtig vor dem Hintergrund jener späten Thatcher-Jahre, in denen sich die Katastrophe ereignete. Die eiserne Lady hatte sich in den Achtzigern mithilfe der Polizei erfolgreich mehrerer aufmüpfiger Arbeiterrebellionen entledigt. Fürs linke, aufmüpfige, vielfach verelendete Liverpool hegte das Establishment in London wenig Sympathien.

    Deshalb war auch klar, dass die Konservativen den Familien der Opfer wenig Gehör schenkten – während sie den Ordnungshütern geradezu blind vertrauten. Leider erwies sich dieses Vertrauen als ungerechtfertigt. In Hillsborough und nach Hillsborough war die Polizei nur ihr eigener bester Freund und Helfer.

    Quelle: Print Tagi vo hüt (via ePaper)

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