- Offizieller Beitrag
«Es ist okay, hart zu sein»
Der neue ZSC-Coach Serge Aubin (43) verfolgte den Playoff-Final aus der Ferne, um nicht zu stören. Jetzt ist der Kanadier in Zürich eingetroffen und erklärt seine Philosophie.
Mit Serge Aubin sprach Simon Graf Zürich
Am Montag traf Serge Aubin in Zürich ein, und schon ist bei den ZSC Lions die Handschrift des neuen starken Mannes zu sehen. Im Trainerbüro vis-à-vis der Kunsteisbahn Oerlikon hat er einiges umgestellt, die Tische zusammengeschoben zu einer grossen Arbeitsfläche in der Mitte. Und am Fenster ist nun ein Fernseher befestigt, auf dem er sich Spielvideos anschauen kann. «So mag ich es», sagt er. Der 43-Jährige hat offenbar vor, viel Zeit in diesem Raum zu verbringen.
So richtig hat seine Arbeit in Zürich aber noch nicht begonnen. Er ist gekommen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Heute Samstag schon fliegt er für einige Tage an die Weltmeisterschaft nach Kopenhagen, um mit Sportchef Sven Leuenberger Spieler zu beobachten.
Wie verfolgten Sie den Schweizer Playoff-Final?
Ich konnte in Wien das Schweizer Fernsehen empfangen und schaute jedes Spiel. Und natürlich werde ich die Spiele noch im Detail am Computer analysieren. Zuerst war ich ja auch noch im Playoff engagiert mit den Vienna Capitals. Als wir im Halbfinal ausgeschieden waren, richtete ich meinen Fokus auf die ZSC Lions. Ein Halbfinalspiel gegen Bern sah ich auch noch.
Wollten Sie nicht nach Zürich kommen, um die Finalspiele live zu schauen?
Nein. Ich hatte hier noch nichts zu suchen. Ich wollte nicht stören. Das ist eine Frage des Respekts. Sie hatten einen guten Lauf, und es war nicht die Zeit für mich, hier zu sein.
Wie war Ihr Eindruck von den ZSC Lions?
Gut. Sie kämpften, arbeiteten unglaublich hart. Und sie fanden sich als Team. Ich sehe sehr viel Potenzial.
Hand aufs Herz: Hatten Sie nicht gemischte Gefühle, als sie gewannen? Es ist doch schwieriger, ein Meisterteam zu übernehmen als eines, das den letzten Schritt noch nicht getan hat.
Ich bin glücklich für die Jungs. Wenn man gewonnen hat, will man das immer wieder erleben. Und für mich ist es ja nichts Neues, ein Meisterteam zu coachen. Das tat ich schon die vergangene Saison in Wien. Ich bin bereit für diese Herausforderung. Es ist wieder ein neuer Beginn. Wer in der Vergangenheit lebt, bewegt sich nicht vorwärts. Es war grossartig, was sie erreicht haben, aber wenn im August das Trainingscamp beginnt, spielt es keine Rolle mehr.
Ihr Vorgänger Hans Kossmann war in Genf der Assistent von Chris McSorley, als Sie dort spielten. Wie gut kennen Sie ihn?
Ich kenne ihn ziemlich gut. Er war ja während meiner drei Jahre in Genf stets dort. Er hat in Zürich einen exzellenten Job gemacht. In der kurzen Zeit, in der er hier war, hat er sehr viel bewegt.
Haben Sie schon mit ihm gesprochen über das Team?
Ich habe Hans per SMS gratuliert zum Titel. Aber jetzt ist er in den Ferien mit seiner Frau, da belästige ich ihn nicht. Ich werde ihn im Sommer anrufen und ihn ein bisschen ausfragen. Aber ich will meinen Job ohne Vorurteile angehen, mir selber eine Meinung bilden.
Wussten Sie, dass Sie bereits ziemlich populär sind in Zürich?
Bin ich das, wirklich?
Ja, weil sie im Final 2008 den letzten Penalty für Servette verschossen und damit die ZSC Lions zum Meister machten.
(lacht) Oh ja, daran erinnere ich mich gut. Das war hart. Ich war das Penaltyschiessen im Playoff nicht gewöhnt. Es war ja erst mein zweites Jahr in Europa. Jener Penalty gegen Sulander hinterliess noch lange einen bitteren Geschmack bei mir. Einen Meistertitel habe ich in Zürich also schon erlebt. Ich weiss nun, was dann hier abgeht. Dummerweise war ich auf der falschen Seite.
Woran erinnern Sie sich von jenem Final?
Wir gewannen die ersten zwei Spiele und führten auch im dritten, doch dann kehrte es. Ein Fehler, und das Momentum war bei den Zürchern. Es war ein harter Kampf. Wir verloren zweimal im Penaltyschiessen, das war schwer zu schlucken. Wir gaben unser Bestes. Es wäre schön gewesen, den Titel nach Genf zu holen.
Nach Ihrer Spielerkarriere heuerten Sie 2013 in Hamburg nahtlos als Assistenzcoach an. Da sieht nach Planung aus. War es schon immer Ihr Ziel gewesen, Trainer zu werden?
Als ich ein bisschen älter war, 34, 35, entdeckte ich, dass es mir grossen Spass macht, meine Erfahrungen mit Jungen zu teilen, ihnen zu helfen. In Hamburg erlitt ich dann mehrere Handverletzungen, die vier Operationen nötig machten und mich zum Rücktritt zwangen. Mir brach die Hand beim Blocken eines Schusses, an der anderen riss eine Sehne. Man bot mir an, als Assistenzcoach zu bleiben. Es passierte alles sehr natürlich. Ich fühlte mich gleich wohl in der Rolle des Trainers.
Sie spielten in Servette für Chris McSorley, in der NHL für Bob Hartley und andere Coaches. Wer hat sie am meisten geprägt?
Mit Chris McSorley hatte ich einige sehr gute Momente, er hat uns ziemlich stark gepusht. Ich erinnere mich an viele Dinge, die er getan hat. Bei Bob Hartley auch. Ich spielte auch unter Gerard Gallant (heute Vegas Knights), Tony Granato. Wenn ich zurückschaue, überlege ich mir, wie sie uns als Spieler gemanagt haben. Wie sie das Spiel verstanden haben. Ich habe von jedem Coach etwas mitgenommen und meine eigene Identität kreiert. Ich bin mich selber und versuche nicht, jemanden zu kopieren.
Wer war härter: Hartley oder McSorley?
Beide waren sehr streng. Aber Hartley war schon der härteste Coach, für den ich gespielt habe. Und wohl auch der, der mir am meisten gebracht hat. Es ist okay, hart zu sein. Denn das bedeutet, dass du die Spieler besser machen willst.
Wie nah lassen Sie die Spieler an sich heran?
Ich versuche, ihnen nah zu sein. Aber einfach haben sie es nicht mit mir. Ich verlange viel von den Spielern. Ich versuche es auf eine Weise zu tun, dass sie verstehen, dass es mir darum geht, das Team besser zu machen. Ich lege viel Wert auf Details. Aber natürlich will ich auch, dass wir Spass haben.
Die ZSC Lions haben ihre 6 Titel der Neuzeit alle mit kanadischen Coaches geholt. Was sagt das über sie aus?
Ich finde nicht, dass es eine Rolle spielt, woher der Coach stammt. Es gibt viele gutes Coaches. Man muss einfach einen Weg finden, die Jungs auf Kurs zu bringen. Gut organisiert sein. Den Spielern zeigen, was man von ihnen erwartet.
Wie früh wussten Sie, dass Sie Wien verlassen würden?
Ich hatte einige Optionen. In der Schweiz, in Deutschland. Ich hätte auch in Wien bleiben können. Nachdem ich mich erstmals mit Sven Leuenberger getroffen hatte, brauchte ich einen guten Monat, um mich für Zürich zu entscheiden. Jetzt freue ich mich auf diese Herausforderung. Ich bin bereit dafür.
Worin unterscheidet sich die multinationale österreichische Liga von der National League?
Der Speed in der Schweiz ist in ganz Europa bekannt. Die Jungs können wirklich Schlittschuhlaufen! Natürlich ist das Niveau hier höher. Aber trotzdem schlugen wir Zug in der Champions League mit Wien. Es läuft auf die Frage heraus: Bist du bereit, den Kampf anzunehmen, wenn du aufs Eis springst?
Was muss ein Spieler tun, um es mit Ihnen gut zu haben?
Sein Bestes geben. Eishockey ist ein Spiel von Fehlern. Sonst würden keine Tore fallen und hätten wir wohl keine Fans auf der Tribüne. Aber ich akzeptiere nicht 50 oder 60 Prozent. Ich will immer das Beste.
Das klingt nach Bob Hartley.
Ich glaube schon, dass es Parallelen gibt zwischen Bob und mir. Etwa, wie detailversessen wir sind. Aber wir sind zwei unterschiedliche Persönlichkeiten.
Vier ZSC-Spieler verletzten sich im Playoff und bissen sich trotzdem bis zum Ende durch. Ist das eine Einstellung, die Ihnen gefällt?
Als Athlet muss man manchmal spielen, wenn man nicht bei 100 Prozent ist. Jeder hat seine Wehwehchen. Ausser am ersten Tag des Trainingscamps. Wenn man erfolgreiche Teams anschaut, dann sieht man, dass es die Jungs da schaffen, Widerstände zu überwinden. Wenn einer einmal angeschlagen spielen muss, dann gehört das dazu. Aber es kann natürlich auch sein, dass es einfach nicht geht.
Sie sind mit 43 noch ein junger Coach. Haben Sie Ihre Identität schon gefunden?
Ja, das habe ich. Ich habe nicht 25 Jahre Erfahrung als Coach, aber ich habe im Eishockey schon einiges erlebt. Das heisst aber nicht, dass ich nicht jeden Tag dazulernen will. Wer dazu nicht bereit ist, bleibt stehen.
Es gibt noch einige Fragezeichen, was das Team der nächsten Saison betrifft. Haben Sie schon mit Kevin Klein gesprochen, um ihn zum Bleiben zu überreden?
Nein, das habe ich nicht. Ich habe noch mit keinem Spieler gesprochen. Das kommt dann im Juni. Viele Jungs sind bestimmt immer noch dran, den Titel auszukosten. Diese Zeit gebe ich ihnen.
Hätten Sie gedacht, dass sich Ihr Leben fast nur noch in Europa abspielen würde, als Sie 2006 nach Genf kamen?
Ich hatte keine Ahnung, was kommen würde. Im Sport kann man nicht zu weit vorausplanen. Aber vom ersten Tag an genossen wir als Familie das Leben in Europa. Nun sind wir heimisch hier. Meine Kinder kennen fast nichts anders.
Sind Sie noch oft in Kanada?
Wir haben ein Ferienhaus in Val d’Or. Aber wir verbringen nur noch drei, vier Wochen im Jahr dort. Die Kids sind in der Schule bis Ende Juni. Im Juli gehen wir jeweils nach Kanada. Aber ich kehre immer schon früh nach Europa zurück, um gut vorbereitet zu sein fürs Camp.
Gibt es Hobbys, die Sie neben dem Eishockey pflegen?
Als Coach hat man nicht viel Zeit dafür. Vor allem nicht, wenn man noch Kinder hat. Ich geniesse gerne ein gemütliches Essen. Und manchmal schaue ich mir einen Film an, um in eine andere Story einzutauchen. Aber über Langeweile kann ich mich nicht beklagen. (Tages-Anzeiger)
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Serge Aubin
Der Aufsteiger
Seit er 2017 mit den Vienna Capitals überraschend die erweiterte österreichische Liga (EBEL) gewann, gilt Serge Aubin als einer der spannendsten jungen Trainer in Europa. Deshalb bemühten sich die ZSC Lions schon früh um ihn. Zuvor war er vier Jahre in Hamburg tätig gewesen, zuerst als Assistent, dann als Chefcoach. Von 2006 bis 11 war er bei Servette und Fribourg einer der Topstürmer der Liga - mit über einem Skorerpunkt pro Spiel. 2007/08 wurde er von den Captains und Trainern zum wertvollsten NLA-Spieler gewählt. Der Frankokanadier hat drei Kinder: Justine (18), Charles (16) und Benoît (14). Die Tochter macht im Sommer ihr Abitur in Hamburg – nach Wien zog sie nicht mit. Die Kinder sprechen nebst Französisch und Englisch auch Deutsch, Vater Serge hat noch seine Mühe damit. «Aber im Eishockey redet man sowieso überall Englisch. Ich hätte selbst auf Französisch Mühe, die passenden Ausdrücke zu finden.» (sg.)
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Warum ist noch nicht September?