Der FC Zürich in der Super League
Es geht abwärts – ziemlich schnell und ziemlich laut
Beim FCZ liegen nach der nächsten Niederlage die Nerven blank. Die Mannschaft taumelt, doch der Trainer findet es nicht so schlimm. Drei Erkenntnisse aus der Abstiegszone.
Christian Zürcher, Florian Raz (TA)
Die Explosion von Vulkan Brecher
Die Niederlage trifft Yanick Brecher, den Torhüter, den Captain. Nach Spielschluss steht er noch eine Weile an seinem Strafraum, regungslos blickt er über den Rasen, dann lässt er sich auf der Spielerbank nieder und starrt Löcher in die Luft. Torhüter können sehr einsame Menschen sein.
Luzerns Ersatzgoalie Dave Zibung nimmt bei ihm Platz, kurze Zeit gesellt sich auch noch Luzerns Nummer 1, Marius Müller, dazu. Die beiden Luzerner können mit Brecher mitfühlen, sie kennen solche Tage aus älterer und jüngerer Vergangenheit. Solche Spiele, bei denen Torhüter zu bemitleidenswerten Menschen werden. Oder wie sagt es Brecher: «Ich kassiere in den ersten sieben Minuten zwei Tore und habe dann ein Spiel lang keinen Ball mehr halten müssen.» Die Kollegen haben ihn im Stich gelassen. Einmal mehr. Das hängt an.
Die beiden Luzerner haben es sicherlich gehört. Natürlich haben sie es gehört, es ist unüberhörbar, was sich zur Halbzeitspause in der Zürcher Garderobe abspielt. Die Stimme hebt an, wird lauter und lauter, irgendwann überschlägt sie sich. Es muss raus. Aller Frust und Zorn. Einfach raus. Doch es geht immer weiter, noch mehr Unbill, noch mehr Ärger muss raus. Es ist eine Brandrede, eine Tirade der groben Art. Ohne dass man die Sätze versteht, weiss man, um was es geht: um Stolz, um Widerstandskraft, um alles, was der FCZ vermissen lässt.
Die Stimme gehört Yanick Brecher, diesem gewöhnlich so höflichen Mann. Brecher ist böse geworden. Eine miserable Halbzeit gegen ein starkes Luzern hat dem Captain den Rest gegeben. Einen von unterdrückten Emotionen verstopften Vulkan hat es verjagt.
Es ist die alte Geschichte. Einmal mehr ist der FCZ nicht bereit, einmal mehr verteidigt er desolat, und einmal mehr verliert er ein Fussballspiel. Es ist ein schlechter Auftritt, der in der zweiten Hälfte etwas besser wird. Doch sie kann nicht wettmachen, was davor geschah. Das Spiel zeigt, wo es beim FCZ momentan nicht läuft. Ziemlich überall.
Tabellenlesen ist so eine Sache
Fussballer lernen früh, wie man Tabellen liest. Es gibt ein Oben und ein Unten – oben ist gut, unten weniger, ziemlich banal also. Trotzdem kann es plötzlich kompliziert werden, wenn es darum geht, das Oben und Unten zu deuten. Der FCZ ist nach 23 Spielen Siebter und hat sieben Punkte Vorsprung auf den Abstiegsplatz und vier Punkte Rückstand auf Platz 2. Ist das nun gut oder eher schlecht?
Captain Brecher sagt: «Die Tabelle sieht schon länger nicht gut aus.» Antonio Marchesano sagt, dass man die Tabelle momentan eh nicht ernst nehmen könne. «Nach einem Sieg sieht alles wieder anders aus.» Angst, in den Abstiegsstrudel zu geraten, habe er nicht, nein, überhaupt nicht. Captain Brecher ist da vorsichtiger. «Wir haben lange den dritten Platz anvisiert, nun müssen wir uns nach unten orientieren.» Die Umorientierung verfolgt einen Zweck: bloss keine Probleme kriegen.
Was nun? Wer hat recht? Marchesano oder Brecher? Darauf angesprochen, sagt Trainer Massimo Rizzo – da bleibt er sich treu – eher wenig. Er mag solche Interpretationen nur mässig. Er schaue nicht auf die Tabelle, sondern von Spiel zu Spiel.
In diesem nächsten Spiel gegen Lugano ist Marchesano gesperrt. Er ist momentan der einzige FCZ-Spieler, der für etwas Kreativität und ernsthafte Torgefahr sorgt. Rizzo muss sich also etwas überlegen. Denn selbst er weiss: Ohne Tore geht es nach unten. Und wie schnell das passieren kann, weiss der FCZ seit der Abstiegssaison 2015/16.
Die Tendenz zeigt nach unten
Spielerisch war der FCZ in den vergangenen Runden ziemlich dürftig unterwegs, das hat sicherlich auch mit der Verletztenliste zu tun. Doch Massimo Rizzo, erster Verteidiger seiner Mannschaft, will nicht von einer schlechten Entwicklung sprechen. Auch nicht nach der Partie gegen Luzern. Für ihn sind die letzten Spiele ein «Auf und Ab», er spricht von «ein paar Holpersteinen». Das System Rizzo scheint gerade nicht zu funktionieren.
Diese Zeitung hat einmal von einem «Rizzo-Knick» geschrieben. Es ging dabei um die Tor-Verhütungsmethoden des damals noch frischen FCZ-Trainers. Der hatte es in kürzester Zeit geschafft, seiner Mannschaft ein defensives Gewissen einzutrainieren. Das zeigten nicht nur die Resultate – das bewies auch der Blick auf die Art und Weise, wie der FCZ zu seinen Punkten kam. Im Vergleich zu Vorgänger Ludovic Magnin liess der FCZ weniger Chancen zu – und kam selber zu mehr und besseren Abschlüssen.
Aber damit ist es vorbei. Seit der Winterpause ist der umgekehrte Rizzo-Effekt zu beobachten. Die Wahrscheinlichkeit für Gegentore steigt, jene für eigenen Jubel sinkt. Was beweist: So, wie der anfängliche Erfolg unter Rizzo nicht einfach reines Glück war, so ist die aktuelle Bilanz von vier Punkten aus sechs Spielen auch nicht bloss Pech.
Nein, der FCZ spielt derzeit genau so schwach, wie es seine Resultate aussagen.