«Hockeygott» Kevin Schläpfer Einst coachte er unter Polizeischutz – nun mischt er die Fussballstadt auf
Vor zehn Jahren war der EHC Basel in Konkurs, nun sorgt der Club in der Swiss League für Furore. Mittendrin: Kevin Schläpfer. Ein Mann, der einst befürchtete, als Sozialfall zu enden.
Angelo Rocchinotti
Publiziert heute um 09:02 Uhr
Seit vergangenem Mai fungiert die Eishockey-Legende Kevin Schläpfer beim EHC Basel als Sportchef. Er will am Rheinknie die einstige Hockey-Tradition wieder aufleben lassen.
Foto: Pino Covino
Kevin Schläpfer schlendert durch die Räumlichkeiten der St.-Jakob-Arena, präsentiert stolz sein neues Reich, als abermals sein Handy klingelt. Er entschuldigt sich und nimmt auch diesen Anruf entgegen. Am anderen Ende befindet sich ein Sponsor, der per E-Mail mit Verbesserungsvorschlägen zum Angebot im Loungebereich an Schläpfer herangetreten war. Der 54-Jährige – er ist Sportchef und nicht Geschäftsführer – suchte sogleich das persönliche Gespräch. Es geht ihm um Wertschätzung und Dankbarkeit.
Während des Telefonats bewegt sich Schläpfer durch sein Büro. Es ist von Logos des EHC Basel geprägt. An der Wand hängt ein Trikot mit seiner Nummer 69, ein Geschenk zum ersten Arbeitstag. Auf dem Tisch befindet sich noch die Weihnachtsdekoration von Disney. Zudem liegt da ein Buch, das er nebst Nutella-Gläsern und Baileys-Flaschen – das einzige alkoholische Getränk, das Schläpfer ab und an geniesst – zum Geburtstag erhielt.
Im Buch sind Bilder und Zeitungsartikel seiner Trainerkarriere zu sehen. Ebenso ein Zitat des Kanadiers Eric Himelfarb aus Schläpfers Anfangszeiten in Biel: «Erst war ich erstaunt, dass der Sportchef auf dem Eis mittrainiert. Später erstaunten mich noch viele andere Sachen an Kevin, und heute wundert mich gar nichts mehr. Ein crazy Man.»
«Alle Transfers haben eingeschlagen»
Mittlerweile ist Himelfarb Cheftrainer in Basel. Angestellt wurde der 41-Jährige noch vor Schläpfers Amtsantritt im vergangenen Mai. Nach 39 Runden steht das Team an der Tabellenspitze. «Damit hat niemand gerechnet», sagt Schläpfer. «Normalerweise bist du froh, wenn zwei Drittel der neu verpflichteten Spieler funktionieren. Bei uns haben alle Transfers eingeschlagen.»
Dennoch entschied sich der Club dagegen, bei der Liga ein Aufstiegsgesuch einzureichen. «Sind wir doch einmal ehrlich», so Schläpfer, «hätten wir vor der Saison angekündigt, eine Lizenz für die National League zu beantragen, hätten doch alle gesagt: Jetzt spinnen sie!» Ein Aufstieg nach nur zwei Saisons in der zweithöchsten Liga käme zu früh. Die Struktur des Clubs bedarf noch Anpassungen, und es fehlen die wirtschaftlichen Voraussetzungen. Basel operiert mit einem Budget von 2,8 Millionen Franken, erforderlich seien 5 Millionen, sagt Schläpfer.
Kein eigener Materialwagen, veraltete Waschmaschine
Auch mit Blick auf die Vergangenheit möchte man am Rheinknie Vorsicht walten lassen. 2008 stieg der Club – gegen Biel und Sportchef Schläpfer – aus der höchsten Liga ab. Sechs Jahre später musste er Konkurs anmelden. Die Spieler waren arbeitslos, Familienväter standen den Tränen nahe, einzelnen wurde zu Hause gar der Strom abgestellt. Der EHC verschwand für fast zehn Jahre aus dem professionellen Eishockey. «Wir müssen das Vertrauen in Basel wiederherstellen. Die Menschen wünschen sich eine gewisse Kontinuität und Bodenständigkeit. Die Tabellenspitze zu erreichen, ist leichter, als sich dort zu behaupten, wenn Erwartungshaltung und Druck steigen.»
Nur zwei Teams kommen für einen Aufstieg infrage: der EHC Olten, der letzte Woche seinen Trainer Lars Leuenberger entlassen hat, und Visp, das mit Heinz Ehlers sogar um die Playoff-Teilnahme bangt. Keine Lizenz hat La Chaux-de-Fonds erhalten. Die 1953 erbaute Les-Mélèzes-Halle erfüllt die Anforderungen der Liga nicht einmal annähernd. Heisst: Verpassen Olten oder Visp den B-Meistertitel, entfällt die Ligaqualifikation. (aro)
Man befinde sich als Swiss-League-Verein noch nicht dort, wo man sein sollte, hält Schläpfer fest. Dass er richtigliegt, zeigen Details. Der Materialchef etwa besass nicht einmal einen fixen Materialbus, musste sich an Spieltagen erst ein Fahrzeug besorgen. Zudem brauchte er stundenlang für die Wäsche, weil die Geräte in die Jahre gekommen waren. Schläpfer bat Sponsoren und Gönner um Hilfe. Im Gegenzug bekamen sie Sitzplätze samt Zugang zur Lounge.
Ab nächster Saison will Basel die Lizenz für die höchste Liga beantragen. In der Zwischenzeit soll Schläpfer dank seiner gewinnbringenden, sympathischen und humorvollen Art mithelfen, Investoren von einem Engagement zu überzeugen. Bereits mit 5000 Franken pro Saison ist man als Donator dabei, erhält zwei Sitzplätze, Loungzutritt, einen Parkplatz sowie kostenlose Verpflegung. Schläpfer lobt das Preis-Leistungs-Verhältnis und setzt sich kontinuierlich dafür ein, potenzielle Partner zu gewinnen. «Meine Erfolgsquote ist nicht optimal, liegt aber bei rund 50 Prozent.»
In den 1950er-Jahren, noch bevor der FCB ein gefeierter Fussball-Club wurde, gehörte der EHC national zu den Spitzenteams. Mit 5000 bis 10’000 Fans war er ein Zuschauermagnet, ehe er während vier Jahrzehnten von der Bildfläche verschwand. Schläpfer ist überzeugt, dass die Kultur wiederbelebt werden kann. Basel habe sich stets für Eishockey interessiert. «Die Leute mögen den Sport», ist er überzeugt. «Nun müssen wir es schaffen, dass sie zu uns kommen und nicht nach Bern oder sonst wohin fahren.»
Der FCB ist keine Konkurrenz
Es sei ein Irrglaube, zu meinen, dass es in der drittgrössten Stadt des Landes neben dem FCB nicht auch Platz für weitere Sportarten gebe. «Andernorts funktioniert es auch. Also weshalb sollte uns das nicht gelingen?», fragt Schläpfer rhetorisch. «Basel ist die am meisten unterschätzte Stadt. Sie hat viel zu bieten, sei es kulinarisch oder kulturell. Die Spieler fühlen sich hier wohl.» Schläpfer erwähnt auch die Zuschauerzahlen. Gegen La Chaux-de-Fonds kamen 3600, gegen Olten 4500 Fans.
Der langjährige Biel-Coach glaubt nicht, dass der EHC von der Baisse des FCB profitiert. «Ich denke eher, dass es sich herumspricht, dass wir guten Sport zeigen. Es ist ein Fehler, von Konkurrenz zu reden. Ich sehe keine, fieberte selbst bei den Champions-League-Auftritten des FCB im Stadion mit. Viele Hockeyspieler sind fussballaffin und umgekehrt.» Marco Streller besuchte Spiele des EHC. Mit Beni Huggel habe er sich eben verabredet. Zudem habe sich Martin Andermatt angekündigt, und zuletzt habe auch Erni Maissen auf der Tribüne gesessen. «Auch David Degen schaut sich Hockeyspiele an.»
Spricht der einstige Basel-Junior, den sie alle Hockeygott nennen, über den EHC, spürt man seinen Enthusiasmus, seine Leidenschaft, seinen Willen. Eigenschaften, die ihn schon als Trainer ausgezeichnet haben. Einen Job, den er sofort wieder machen würde, sagt er, den er aber nicht vermisst. «Das Eishockey ist meine Passion, ich bin noch immer nahe am Team, tue, was ich liebe.» Emotional aber sei er nun ausgeglichener. «In den Jahren als Headcoach ist mir das Alter ins Gesicht gewachsen, ich habe Falten bekommen.»
Insgesamt sieben Saisons stand Schläpfer beim EHC Biel als Trainer an der Bande. Er führte den Club mit dem kleinsten Budget der Liga dreimal sensationell ins Playoff.
Foto: Patrick Straub (Freshfocus)
Blickt Schläpfer zurück, gerät er ins Schwärmen. Er denkt etwa an die Jahre 2009 und 2010, als er als Sportchef an die Bande heruntergestiegen war und Biel in extremis vor dem Abstieg rettete. «Das wühlt mich heute noch auf», räumt der 54-Jährige ein. «Es war unglaublich, welchen Druck ich mir auferlegt habe. Überall herrschte diese Abstiegsangst. Meine Kinder waren im Stadion. Wir hatten Polizeischutz. Ich war geladen wie 2000 Volt, weiss nicht, wie ich so viel Energie einbringen konnte.»
Schläpfer hält heute Vorträge über jene Zeit. Sie hat ihn geprägt, ja sein gesamtes Leben verändert. Der dreifache Familienvater lebte in Scheidung, ging abends stundenlang spazieren. «Als ich übernommen habe, lagen wir 0:2 zurück. Ich wusste: Kevin, du darfst nicht verlieren, sonst bist du vielleicht ein Sozialfall. Ich hatte nicht ausgesorgt, war im Existenzmodus.»
Schläpfers grosse Klappe
Der Baselbieter wollte das kein weiteres Mal durchmachen, übernahm das Amt von Saisonbeginn weg, fiel aber just in der entscheidenden Phase mit einer Lungenentzündung aus – und dachte sich: «Nicht schon wieder!» 0:2 lag Biel im Playout hinten, als Schläpfer zurückkehrte und mit vier Siegen in Folge gegen Ambri den Ligaerhalt sicherstellte. «Eine riesige Sache. Einige Leute sagten: ‹Jetzt kommt der Schläpfer und hat wieder eine grosse Klappe.› Doch sie wissen nicht, welchem Druck man ausgesetzt ist.»
Schläpfer ist mit sich im Reinen. Dass 2015 nichts aus seinem Engagement als Nationaltrainer wurde, weil ihn Biel nicht ziehen lassen wollte, stört ihn nicht. Er verfolgt nun mit Basel andere Ziele, spricht von einem Nachhausekommen. Doch einen Wunsch hat er noch: Man möge doch vor der Publikation des Artikels auf die Bildauswahl achten. Die Falten.