Jetzt lebt er abgeschieden in den Wäldern Kanadas
Kevin Klein war beim letzten Meistertitel der ZSC Lions 2018 die grosse Figur. Von seiner Leidenschaft fürs
Eishockey will er heute nichts mehr wissen
Simon Graf
Kevin Klein hat an diesem Vormittag bereits einen Spaziergang gemacht in der verschneiten Winterlandschaft Kanadas. «Wir
haben schon einen Meter Schnee», erzählt er strahlend. «Wunderbar! Nächste Woche wird es wieder etwas wärmer. Aber ich
glaube, der Schnee bleibt. Ich liebe das Schneeschuhwandern. Und für die Kinder ist es ein Riesenspass: Sie machen
Schneeballschlachten, bauen Burgen und schlitteln den Berg hinunter.»
Den Berg hinunter? «Ja», sagt Klein, «unser Haus steht auf dem Gipfel eines Berges.» Er hält kurz inne und fügt schmunzelnd an:
«Für Schweizer Verhältnisse ist das kein Berg. Er ist 300, 400 Meter hoch. Bei euch würde man von einem Hügel sprechen. Weil
wir etwas höher gelegen sind, kommt bei uns der Winter jeweils schon früher.»
Beim Zoom-Call mit Klein sind im Hintergrund der dunkle Holzboden und die hellen Holzwände zu sehen - Skihütten-Atmosphäre
im Südosten Ontarios. Toronto und Kleins Heimatstadt Kitchener sind zwei Autostunden entfernt. Zur nächsten grösseren Stadt,
Collingwood, sind es 20 Minuten mit dem Auto.
Der Naturbursche, der über zehn Jahre in der NHL verteidigte und zuletzt von 2017 bis 2019 für die ZSC Lions, fühlt sich in dieser
Abgeschiedenheit wohl. «Wir haben drei Nachbarn in der Nähe, aber niemanden gleich neben uns. Wenn wir eine Party feiern,
klopft niemand an unsere Wand.»
Er organisiert Outdoor-Festivals für die wegen Covid darbenden Musiker
Im Frühling und im Sommer wurde es ein paarmal sehr laut vor dem Haus der Kleins. «Wir veranstalteten Outdoor-Festivals»,
erzählt er. «Wir haben eine Menge Freunde, die von der Covid-Pandemie betroffen sind. Musiker, die ihre Leidenschaft nicht mehr
ausleben können. So organisierten wir im August letzten Jahres erstmals ein Festival mit Livemusik. Mit einem grossen Feuer,
einem Food-Truck. Gegen 100 Leute kamen.»
Von klassischem Rock über New-Age-Musik bis zu Hip-Hop und Techno wurde alles geboten. «Jeder konnte sich ausleben», sagt
Klein. «Es kam gut an.» Deshalb liess er mehrere solcher Festivals folgen, vorzugsweise bei Vollmond. «Die Leute bezahlten 20
oder 30 Dollar, die an die Bandmitglieder gingen. Für die Kinder war es natürlich gratis. So hatten alle etwas davon.»
Als Klein im Frühling 2019 zurücktrat, titelte diese Zeitung: «Der Sheriff räumt sein Revier». Mit grimmigem Blick und hartem
Einsteigen hatte er im Playoff 2018 den Gegnern Angst und Schrecken eingejagt und die ZSC Lions von Rang 7 aus zum
Meistertitel getrieben. Danach liess er sich überreden, noch eine Saison anzuhängen, in der die Zürcher dann das Playoff
verpassten. Er bereue nichts, sagt er. Diese zwei Jahre seien sehr bereichernd gewesen. Und er habe die Offenheit der Schweizer
sehr geschätzt.
Inzwischen hat er, der allein in der NHL über 20 Millionen Dollar brutto eingespielt hat, sein Vorhaben umgesetzt, sich mit seiner
Artikel auf Seite 34 der Zeitung SonntagsZeitung vom So, 05.12... https://epaper.sonntagszeitung.ch/
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Familie auf seinem Landstück niederzulassen, das er vor neun Jahren erworben hat. «Ich liebe es, in der Natur zu sein, Bäume zu
fällen, mein eigenes Holz zu hacken, all diese Dinge.» Er geniesse das einfache, selbstbestimmte Leben auf dem Land. In der NHL
spielte er in Nashville und New York jahrelang in Grossstädten.
Wenn Klein von seinem neuen Leben erzählt, fühlt man sich an das Buch «Walden (Leben in den Wäldern)» von Henry David
Thoreau erinnert. Der US-Schriftsteller beschreibt sein zeitweiliges Leben in einer Blockhütte Mitte des 19. Jahrhunderts als
alternativen Lebensentwurf. Das Buch wurde zum Klassiker und inspirierte Bewegungen wie die 68er.
Zu Zeiten der Pandemie unterrichten sie ihre beiden Söhne zu Hause
Kleins Leben wurde durch die Covid-Pandemie noch abgeschiedener als geplant. Seit zwei Jahren unterrichten seine Frau Jodi
und er die beiden Söhne Joseph (12) und Oliver (9) zu Hause. «Wir wollten nicht, dass sie sieben, acht Stunden am Tag Maske
tragen müssen», sagt er. «Wir sind keine Lehrer, aber wir halten uns an den Lehrplan und fügen noch einige Dinge hinzu.»
Seine Frau und er wechseln sich ab, seine Spezialgebiete sind Mathematik und alles Kreative, sei es Werkunterricht, Kunst oder
Musik. Am Montag ist jeweils Outdoor-Tag. «Homeschooling ist eine Herausforderung für uns, aber den Jungs macht es Spass.»
Ihre Tage dürften um einiges abenteuerlicher sein als die in einer herkömmlichen Schule.
Klein war schon immer einer, der die Dinge selber in die Hand nahm. Das merkten in Zürich auch seine Teamkollegen. So zimmerte
er einen Pokertisch für den Teambus, den sie zwischen die Sitzreihen stellen konnten. «Wir haben viele Stunden mit Pokern
verbracht», schwelgt er. Oder er lernte via Youtube das Schmieden von Messern. Er habe immer gern mit den Händen gearbeitet.
Meistens gibt es Präsente. Schmuck für seine Frau, ein Schnitzmesser für den Freund des Sohnes.
Er restauriert Oldtimer - aktuell eine 67er-Corvette und einen Impala
In Kanada betreibt er zudem mit einem Geschäftspartner ausserhalb Torontos eine Garage, die Oldtimer restauriert. «Anfangs legte
ich selber Hand an, inzwischen werkle ich an meinen eigenen Projekten: aktuell an einem Chevrolet Impala 1963 und einer 67erCorvette für einen Kumpel. Die Karosserie ist von früher, der Motor und alles andere neu.»
Vermisst Klein das Eishockey nicht? «Ich habe das Teamleben immer genossen», sagt er. Besonders geblieben ist ihm aus seiner
Zürcher Zeit neben dem Titel eine Party mit dem Team, in der sich alle im Stil der 1920er-Jahre verkleideten, eine Band aufspielte
und sie von zwei Tanzlehrern instruiert wurden, wie in den «Roaring Twenties» zu tanzen.
Das Spiel selber fehle ihm aber nicht, sagt der 36-Jährige. «Ich hatte schon immer viele Interessen ausserhalb des Eishockeys.
Meine Kids spielen nicht, ich war nun sicher schon ein Jahr nicht mehr auf dem Eis.» Sein älterer Sohn Joseph entdeckte in der
Schweiz das Tennis und spielt inzwischen recht ambitioniert. Der stolze Vater sagt: «Meine Frau schickte ihn in Bülach in ein
Tenniscamp, seitdem ist er ganz vernarrt in diesen Sport. Er spielt viermal die Woche und schlägt mich regelmässig.»
So schwer vielen der Übergang nach der Karriere fällt, Klein hatte keine Mühe loszulassen. Schaut er sich immerhin ab und zu ein
NHL-Spiel an? Die Toronto Maple Leafs sind ja nur zwei Stunden entfernt. Er winkt ab. «Ich schaue kein Eishockey. Einmal musste
ich zwei Drittel der Leafs schauen. Als ich meine Eltern besuchte und mein Dad den Fernseher einschaltete.»
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