Luca Cunti vom EHC Biel: Er studiert seit 16 Jahren Psychologie – und hat es allen gezeigt
Eishockeyprofi Luca CuntiEr studiert seit 16 Jahren Psychologie – und hat es allen gezeigt
Was der Stürmer des EHC Biel an der Universität lernt, kann ihm im Match helfen. Tief beeindruckt hat Cunti die Arbeit des schwer erkrankten Trainers Antti Törmänen.

Kristian Kapp
Publiziert: 13.06.2023, 16:30

Ein Zürcher in Biel: Luca Cunti.
Foto: Adrian Moser
Wenn im Spitzensport Sekundenbruchteile oder Millimeter über Sieg oder Niederlage entscheiden, können auch erfolgreiche Routiniers plötzlich ins Grübeln kommen. Luca Cunti ist 33, und der Stürmer des EHC Biel gehört in diese Kategorie von Athleten: Er verlor vor einem Monat den Playoff-Final gegen Servette erst im alles entscheidenden siebten Spiel, es war Cuntis fünfter Final der Karriere, der Zürcher wurde mit dem ZSC auch zweimal Meister. Und er ist WM-Silbergewinner von 2013 und war 2014 Olympia-Teilnehmer.
Da fragt man sich vielleicht, wie es sein kann, dass Cunti solch simple Beispiele aufzählt für Momente, in denen er sich verunsichert fühlt, weil ihn diese und ähnliche Fragen beschäftigen: Warum habe ich diesen Pass gespielt? Warum habe ich das Gefühl, dass das heute sowieso nichts wird? Warum fühle ich mich nicht gut vor dem Spiel? Cunti sagt: «All das hat oft mit Angst zu tun. Und mit Gedanken über das Versagen.» Er müsse sich aktiv bewusst machen, dass das eben nur dies sind: Gedanken. «Wenn ich weiss, dass es nichts Reales ist, kann ich mentale Barrieren im Spiel abbauen.»
Dieser Artikel entstand im Rahmen des «Eisbrecher»-Podcasts: Hören Sie das ganze Gespräch mit Luca Cunti hier.
Dabei hilft Cunti nicht nur die Arbeit mit einem Neurotrainer, sondern auch sein Psychologiestudium. «Ich habe gelernt, diverse Dinge aus anderen Perspektiven zu betrachten», sagt Cunti. «Das erlaubt mir, Abstand zu gewinnen von negativen Gedanken.» In zwei Jahren dürfte er den Bachelor-Abschluss erlangt haben – man könnte Cunti als «ewigen Studenten» bezeichnen: Er begann 2007 in den USA in St. Cloud, Minnesota. Bereits im zweiten Jahr wurde ein Fernstudium daraus, das er nicht immer konsequent vorantrieb.
Wenn die Ehefrau dich anders wahrnimmt
Das Interesse am Thema verlor er aber nie, präsent war es bereits in seinen jungen Jahren. «Was mich immer faszinierte, waren die Theorien zur Persönlichkeitspsychologie. Wir versuchen ja ein ganzes Leben lang, herauszufinden, wer wir sind oder warum wir in gewissen Situationen auf unsere Weise reagieren.» Persönlichkeitstests über Charaktereigenschaften hat er viele absolviert, meistens hat er sich selbst analysiert. «Bei Teamkollegen habe ich mich noch nicht getraut», sagt er lachend.
Seine Ehefrau hingegen habe schon mehrfach mitgemacht, zum Beispiel beim sogenannten Johari-Fenster, einem Test, bei dem die Selbstwahrnehmung mit der Wahrnehmung durch andere Personen verglichen wird. Eine Erkenntnis sei dabei gewesen, «dass sie mich als extrovertierter wahrnimmt», erzählt Cunti, der sich als Person beschreibt, für die es beispielsweise nicht einfach sei, mit Leuten ins Gespräch zu kommen.
Wie Cunti mit 18 Jahren zum Studium kam, passte zu seinem Karrierebeginn als Spieler: Es war kompliziert, es gab Umwege und Sackgassen. Eigentlich reiste Cunti nach St. Cloud, um in den USA auch auf höchster Stufe Universitäts-Hockey zu spielen. In der Schweiz galt er als Riesentalent, er war in jenem Sommer in der NHL in der 3. Runde gedraftet worden. Doch die 20 Spiele, die er in den beiden Jahren zuvor als Junior der GCK Lions schon im NLB-Team bestreiten durfte, wurden ihm zum Verhängnis. Die NCAA, der Organisator der US-Universitätsligen, interpretierte nach langem Werweissen das bisschen Materialgeld, das Cunti im NLB-Team erhalten hatte, als Lohn und sah ihn folglich als Profi an, der gemäss Regeln nicht mittun darf.

Blick zurück auf eine spezielle Karriere: Biels Stürmer Luca Cunti.
Foto: Adrian Moser
Cuntis Weg war und blieb vertrackt, phasenweise spielte er nur Amateur-Hockey in der 1. Liga. Er hat die Meinung vieler Kritiker von damals nicht vergessen: dass er nur von seinem Talent lebe. Dass er ein «Goldküsten-Junge» aus Küsnacht sei. 2009, mit 20, kam er bei der ersten Chance in der NLA in Langnau am Tiefpunkt an, als er wegen Pfeifferschem Drüsenfieber fast die ganze Saison aussetzen musste.
Bei den GCK Lions erhielt er 2010 eine letzte Chance, doch wiederum erst ein Jahr später gelang der Durchbruch: In Zürich ist die Story unvergessen, wie sich der neue ZSC-Trainer Bob Hartley nach dem traditionellen Vorsaison-Spiel ZSC - GCK verwundert fragte, warum Cunti in der B-Mannschaft sei, und ihn sogleich ins NLA-Team berief. Cunti erhielt eine Top-Rolle und feierte Ende Saison seinen ersten Meistertitel.
Ausgerechnet der als harter Hund verschriene Trainer brachte die Karriere des als «ewiges Talent» Verspotteten in die Gänge. Nicht alle mochten den Kanadier – warum passte es ausgerechnet zwischen Hartley und Cunti? «Vielleicht, weil ihn das über mich Erzählte nicht interessierte», sagt Cunti und wehrt sich auch heute, elf Jahre später: «Für mich stimmte es ja auch nicht. Ich bin keiner, der nicht hart trainiert – im Gegenteil.»
Die Hiobsbotschaft Törmänens
2017 verliess Cunti den ZSC und landete via Lugano 2019 beim EHC Biel sowie Antti Törmänen – und damit dem Gegenteil des Trainertyps «Schleifer». In den letzten vier Saisons hat er den Finnen schätzen gelernt, entsprechend nahe gingen auch ihm die Schicksalsschläge Törmänens: Der verpasste die Saison 2020/21 wegen einer Krebsdiagnose. Im Sommer 2021 war er wieder im Amt, geheilt – doch im Playoff 2023 folgte nach der ersten Playoff-Runde die Hiobsbotschaft: Der Krebs war zurückgekehrt. Törmänen beendete zwar die Saison bis und mit Finalspiel 7 in Genf, er wird künftig aber nicht mehr dabei sein – im Moment befindet sich der Finne mitten in der Chemotherapie.
Ein Schockmoment sei es gewesen, als Törmänen die schlechten News mitteilte, sagt Cunti: «Alle waren extrem emotional, weil die Mannschaft Antti so gernhat.» Die letzte Saison wird ihm als speziellste in Erinnerung bleiben: Ein aus pädagogischer Sicht so gutes Coaching, wie Törmänen es gemeinsam mit Assistent Oliver David praktizierte, habe er zuvor nie erlebt. «Wenn du dich nicht gut fühltest, war Antti der Erste, der zu dir kam, dir auf die Schultern klopfte und seinen Support zeigte.» Der Fortschritt, den das Team letzte Saison unter Törmänen und David gemacht habe, spreche für die beiden, sagt Cunti.
Er plädiert generell für diese Art Umgang von Trainern. Das gelte ja nicht nur im Eishockey, sagt Cunti und stellt die rhetorische Frage: «Arbeitest du besser unter einem Chef, der dich ständig kritisiert, oder unter einem, der dich unterstützt?»