«Ich würde nie in eine Fankurve gehen»
Der neue Ligapräsident Heinrich Schifferle ist überzeugt, dass sich die Probleme mit Constantin und Tschagajew regeln lassen – viel mehr beschäftigen ihn die Gewaltexzesse im Schweizer Fussball.
Mit Heinrich Schifferle sprachen Peter Bühler und Ueli Kägi
Heinrich Schifferle, weshalb sind Sie der richtige Ligapräsident?
Ich weiss, um was es geht als Präsident: Wir müssen der Liga wieder ein Gesicht verleihen, ein Profil. Wir brauchen mehr Akzeptanz.
Die Glaubwürdigkeit der Liga hat in den letzten Monaten gelitten . . .
. . . das ist leider so, aber die Liga ist unverschuldet in diese Situation geraten. Trotzdem müssen wir konsequenter und entschlossener auftreten, unsere Aussenwirkung verbessern.
Was heisst das konkret?
Es gibt ja nicht nur Sion, Xamax oder die Pyrodiskussion, es gibt doch auch viel Positives: Basel spielt international eine starke Rolle, der FCZ teilweise auch, die Meisterschaft ist spannend, die Stadien sind gut gefüllt, die Liga hat einen für Schweizer Verhältnisse sehr lukrativen Fernsehvertrag abgeschlossen . . . Nur: Wir haben sogar den Abschluss des neuen TV-Vertrags nicht ohne Misstöne über die Bühne gebracht.
Das tönt nach einem Vorwurf an Ihren Vorgänger Thomas Grimm.
Das Komitee ist nicht als Einheit aufgetreten, es war kein Team. Es gab zu viele Einzelgänger, es wurden Informationen unterdrückt.
Es gab zwischen dem Komitee und Grimm auch im Fall Sion unterschiedliche Auffassungen, sonst wäre Grimm das Dossier nicht entzogen worden. Haben Sie mit weiteren Mitgliedern des Komitees Grimm systematisch demontiert, um selbst Präsident werden zu können?
Nein, ganz und gar nicht. Ich bin ein Teamplayer, ich respektiere die Meinung anderer. Aber Fakt ist: Auch im Fall Sion wurde das Komitee von Grimm nicht immer transparent informiert. Das Vertrauen hat auf Dauer einfach etwas gelitten. Aber zerstritten waren wir nie.
Sie werden sich schnell um die aktuellen Problemfälle kümmern müssen: Xamax, Sion und das offenbar nicht zu verhindernde Abbrennen von Pyros in den Stadien. Wie sieht Ihre Prognose zur Fortsetzung der Geschichte in Neuenburg aus?
Könnten Sie mir etwas Kaffeesatz bringen (schmunzelt)? Ich weiss es nicht. Wir müssen hoffen, dass der Klub bis zur Winterpause Teil der Super League ist. Und ich gehe davon aus, dass sich eine Gruppierung in Neuenburg formiert, die den Verein im Winter übernimmt. Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Xamax verschwindet.
Um einen nächsten Fall Xamax zu verhindern, führt die Liga ein zusätzliches Lizenzverfahren ein, wenn ein Klub den Besitzer wechselt. Hätten nicht ohnehin alle Alarmglocken läuten müssen, wenn eine Person wie Tschagajew einen Schweizer Klub übernimmt?
Das haben sie ja, doch wir hatten keine Möglichkeit zur Intervention. Der frühere Xamax-Besitzer Bernasconi hatte den Klub verkauft. Die Liga erfuhr erst danach, wer neuer Eigentümer ist. Herr Tschagajew ist Tschetschene, er stammt aus einem anderen Kulturkreis und lebt mit anderen moralischen Grundsätzen, die mit unseren Wertvorstellungen wohl nur schwer vereinbar sind. Wenn er nun aber in der Schweiz wirtschaftet und einen Klub führt, muss er die Regeln des Landes einhalten.
Hat sich im Fall Sion die Situation beruhigt, weil das Walliser Kantonsgericht nun die Lizenzen der sechs Spieler für ungültig erklärt hat?
Ich bin froh, dass der Entscheid so ausgefallen ist, er hat der Liga recht gegeben. Nun warten wir auf den Entscheid der Disziplinarkommission und werden sehen, ob für den FC Sion sieben Spiele mit Forfaitniederlagen enden.
Wie wird der Entscheid ausfallen?
Ich benötige schon wieder Kaffeesatz . . . Die Frage ist: Müssen die superprovisorisch verfügten Spielerlizenzen rückwirkend für ungültig erklärt werden? Mein subjektives Rechtsempfinden sagt mir, dass die Spieler während einer gewissen Zeit qualifiziert waren. Deshalb würde ich es richtig finden, die Partien so zu werten, wie sie auf dem Rasen endeten.
Als Ligapräsident müssen Sie ein Interesse haben, mit Sion-Präsident Constantin das Gespräch zu suchen und sich mit ihm zu verständigen.
Das ist so, ja. Ein Ligapräsident muss Kontakt mit allen Exponenten haben, das ist für mich eine der wichtigsten Aufgaben. Das wird bei Constantin nicht so einfach, weil mein Französisch nicht besonders gut ist und ich sein Französisch nicht besonders gut verstehe.
Würden Sie einen Präsidenten wie Constantin nicht am liebsten verhindern?
Weshalb?
Weil er nicht zu bändigen ist, über Monate hinweg die Gerichte beschäftigt und der Glaubwürdigkeit des Schweizer Fussballs schadet.
Wenn Constantin nicht ist, kommt ein anderer. Ich habe im Fussball eines gelernt: Ein rational denkender Mensch engagiert sich gar nicht im Fussball. Sie müssen eine gewaltige Portion Herzblut und Idealismus mitbringen. Sie müssen auch ein wenig verrückt sein, positiv verrückt. Wenn Sie ein solches Amt antreten, wissen Sie, dass Sie wirtschaftlich keinen Erfolg haben können. Fussball und wirtschaftlicher Erfolg, das schliesst sich praktisch aus – auch wenn sich in diesem Geschäft viele Leute bewegen, die in ihrem Berufsleben Unternehmen erfolgreich nach wirtschaftlichen Kriterien führen.
Wieso ist das so?
Es gibt, von UBS-Chef Ermotti abgesehen, derzeit kaum einen Schweizer Firmenchef, der täglich in der Zeitung erscheint. Im Fussball aber sind die Führungsfiguren immer im Fokus, jeder Entscheid wird kommentiert. Sie haben gar keine Zeit, um jeden Schritt von der Öffentlichkeit unbemerkt und sorgfältig vorzubereiten. Und damit können selbst die vernünftigsten Leute nicht umgehen. Die meisten von ihnen haben nicht genug Gelassenheit, um das Geschäft rational zu führen. Und trotzdem: Genau diese Leute brauchen wir im Fussball.
Können Sie Constantin zur Vernunft bringen?
Nein, das ist nicht möglich. Aber möglich und wichtig ist, den Dialog mit ihm zu suchen.
Wie muss die Liga mit der Pyro-Problematik umgehen?
Ich bin nun schon viele Jahre in diesem Geschäft, schon lange im Komitee, und wenn ich eine Lösung hätte, hätte ich sie längst präsentiert. Ich habe schon seit langem riesige Angst vor dem, was in diesen Fankurven passiert. Ich würde nie in eine Fankurve gehen. Weshalb ist das so? Lassen Sie mich mit unseren Namen ein Beispiel machen: Kägi zündet Pyros und alle sagen: Der Kägi, der kann das. Jetzt kommt aber von hinten der Bühler, er hat zwei Becher Bier in der Hand, stolpert, stösst Kägi und vor Kägi steht Schifferle.
Haben Sie trotzdem einen Lösungsansatz?
Für mich gibt es nur einen Weg: Identifizierung der Einzeltäter und Bestrafung – und zwar so, dass die Täter nächsten Tag am Arbeitsplatz fehlen. Die Strafen müssen schnell ausgesprochen werden.
Weshalb lehnte die Liga den Nulltoleranzantrag von GC-Präsident Leutwiler ab?
Ich finde den Antrag grundsätzlich gut, aber auch genauso falsch. Alle von uns möchten, dass im Stadion keine Pyros mehr gezündet wird. Nur ist die Lösung, die Leutwiler vorschlägt, unrealistisch, nicht durchführbar.
Was wäre, wenn der Antrag durchgekommen wäre und jedes Spiel beim ersten Abbrennen von Pyros abgebrochen werden müsste?
Dann gäbe es keine reguläre Partie mehr. Es gibt in den Kurven doch immer Leute, die es toll finden, wenn sie einen Spielabbruch provozieren können. Die ihren Spass daran haben, wenn GC oder der FCZ 50 000 Franken Busse bezahlen müssen. In meinen Augen haben wir den Fankulturen und Fankurven über lange Zeit eine zu grosse Bedeutung beigemessen, die Kurven haben eine zu grosse Macht.
Es sind auch die Leute, die für Atmosphäre und Stimmung in den Stadien sorgen.
Aber brauchen wir eine solche Atmosphäre? Es ist schön, wenn wir sie haben. Doch es gibt auch sehr viele Leute, die gerne friedlich und gemütlich mit der Familie einen Match schauen. Es ist nicht nötig, dass die Kurve überbordet.
Wir sprechen über Tschagajew, Sion und Spielabbrüche. Was ist der Reiz daran, Ligapräsident zu werden?
Vielleicht ist es Masochismus (lacht). Nein, im Ernst: Ich mag Aufgaben, die reiz- und anspruchsvoll sind. Die Fälle mit Constantin und Tschagajew werden sich regeln. Mich stören die Gewaltexzesse und das Zünden von Pyros viel mehr.
Sie sind für drei Jahre gewählt. Wie sieht der Schweizer Spitzenfussball nach Ihrer ersten Amtszeit aus, was sind Ihre Ziele?
Dass immer ein Schweizer Klub in der Champions League und ein anderer in der Europa League mitspielt, dass wir kein Gewaltproblem mehr haben und volle Stadien – aber so wird es nicht sein. Ich kann den Fussball nicht verändern. Aber wenn es mir gelingt, an gewissen Fronten eine Beruhigung zu erwirken und die grossen Probleme wenigstens ansatzweise zu lösen, dann wäre das gut.