Erneut hat Chris DiDomenico seine Nerven nicht unter Kontrolle – er wird für den SC Bern zur Hypothek
Der SC Bern ist nach der 2:4-Heimniederlage gegen Biel noch zwei Niederlagen vom Saisonende entfernt. Wieder sorgt Chris DiDomenico für Unruhe – und überstrahlt mit seinen Eskapaden die zahlreichen anderen SCB-Probleme.
Nicola Berger, Bern17.03.2023, 05.00 Uhr
Einmal mehr ausser Rand und Band: Der Berner Wüterich Chris DiDomenico.
Peter Klaunzer / KEYSTONE
Wenn Raeto Raffainer, der CEO des SC Bern, und sein Sportchef Andrew Ebbett an diesem Freitagmorgen aufwachen, sollten sie als allererstes einmal dem Universum danken. Dafür, dass Chris DiDomenico vor ein paar Wochen um seine Vertragsauflösung gebeten hat. Und ab der kommenden Saison für zwei Jahre das Problem von Gottéron ist.
DiDomenico, 34, ist Topskorer des grossen, stolzen SC Bern. Und er ist gleichzeitig die grösste Hypothek dieser Organisation. Wiederholt hat er seine Nerven nicht unter Kontrolle. Nicht, dass es für diese Feststellung noch einer Bestätigung bedürft hätte. Aber der Kanadier lieferte sie am Donnerstag bei der 2:4-Heimniederlage im zweiten Spiel der Play-off-Viertelfinalserie gegen den EHC Biel trotzdem. Wenige Sekunden vor Schluss feuerte er den Puck in einem Spielunterbruch auf den am Boden liegenden Verteidiger Viktor Lööv und tat das mit so viel Wucht und Präzision, dass ihm hier und dort vorgehalten wurde, er habe Lööv und nicht das Tor treffen wollen. Kurz zuvor hatte er den Schweden ungeahndet gegen den Kopf gecheckt.
Elik, Antisin, Lapierre: Niemand war so einfach zu provozieren wie DiDomenico in diesen Tagen
Es folgte eine Massenschlägerei, wie DiDomenico sie bereits zuvor anzuzetteln versucht hatte, diesen Eindruck erweckte er jedenfalls. Als sie zu Ende war und DiDomenico sich 27 Strafminuten auf einen Schlag abgeholt hatte, suchte der Kanadier die Konfrontation mit Bieler Betreuern. Der SCB-Medienchef Reto Kirchhofer tat sein Bestes, ihn in die Kabine zu verfrachten.
Auf der Medientribüne musste der Sportchef Ebbett einen Liga-Funktionär beruhigen, in dem er diesem versicherte, er hätte DiDomenico mit einem Satz in die Katakomben höchstpersönlich zur Räson gebracht, wäre dieser noch einmal aus der Garderobentüre getreten. Es waren unwürdige Bilder, und es ist erstaunlich, dass DiDomenico nicht realisiert, wie sehr sie sein ohnehin angeschlagenes Image zusätzlich beschädigen.
Emotionen sind gerade im Play-off im Showgeschäft Eishockey essenziell, sie gehörten zum guten Ton, zur Folklore. Doch DiDomenico überschreitet die Grenzen immer wieder, es wirkt in den letzten Wochen wiederholt so, als hätte er sich nicht mehr im Griff. Als wäre ihm die Fähigkeit zur Frusttoleranz abhandengekommen.
Manchmal schadet er mit seinem Verhalten nur sich selbst. Aber es kommt auch vor, dass er quasi im Alleingang Spiele verliert. So wie im Pre-Play-off beim 1:4 in Kloten, als er für zwei Gegentore verantwortlich zeichnete. Als der SCB diesen augenfällig schwächer besetzten Gegner zwei Tage später in der Belle doch noch bezwang, jubelte DiDomenico beim Stand von 4:0 demonstrativ vor der Klotener Bank.
Fehlender Stil und ein schlechter Sieger zu sein, das ist eine Sache. Mangelnde Selbstbeherrschung eine andere. Die Gegner haben dabei oft leichtes Spiel; es hat in der jüngeren Geschichte der Nationalliga keinen Akteur gegeben, der so einfach zu aus dem Konzept zu bringen war. Nicht einmal notorische Enfants terribles wie Todd Elik, Misko Antisin und Maxim Lapierre. Es genügt der Anflug einer Provokation oder vermuteten Ungerechtigkeit, damit DiDomenico den Fokus verliert. Es ist vermutlich kein Zufall, dass der Stürmer in seiner Karriere erst einen Titel gewonnen hat: 2013 in Italien mit Asiago. Im Play-off ist Disziplin gefragt, Solidarität, Zusammenhalt. DiDomenicos Ausbrüche aber sind vor allem das: kurzsichtig und egoistisch.
Eine Mitschuld daran, dass DiDomenico in den letzten Wochen ausser Rand und Band geraten ist, trägt der Trainer Toni Söderholm. Einer, der diese Meinung ungewohnt offen vertritt, ist Hubert Waeber. Der Präsident Gottérons sagte vergangene Woche in einem Interview, sein Trainer Christian Dubé habe es geschafft, DiDomenico zwei Spielzeiten lang zu führen. Und schob dann nach, dass das etwas sei, was «in Bern zwei Trainer nicht auf die Reihe bekommen haben.»
Waebers Worte waren als Lob für den angeschlagenen Dubé gemeint. Aber eine bissige Spitze in Richtung des ewigen Rivalen Bern stellten sie trotzdem dar. Wobei es interessant zu beobachten sein wird, ob Waeber in ein, zwei Jahren noch immer so redet. Rund um die Liga gibt es eine wachsende Anzahl an Entscheidungsträgern, die sagen, sie würden sich DiDomenico niemals in die Kabine holen. Der Coach eines National-League-Teams sagte der NZZ kürzlich, DiDomenico sei untrainierbar, ein Ärgernis. Er raube seinem Team so viel Energie, all die Tore und Assists machten das nicht wett.
Der Trainer Söderholm hat es verpasst, DiDomenico zu disziplinieren
Noch aber ist er die Sorge von Söderholm. Der 44-jährige Finne war im November auf den entlassenen Johan Lundskog gefolgt und ist seither den Nachweis schuldig geblieben, die richtige Wahl gewesen zu sein. Der ehemalige Nationaltrainer Deutschlands coacht erstaunlich konservativ. Und bei DiDomenico vertraute er auf eine Flut von Einzelgesprächen, deren Wirkung mal Tage, mal Wochen anhält, ehe die Probleme wieder aufflammen.
Konsequenzen hatten seine Disziplinlosigkeiten nie, nicht seine Eskapaden, seine Puckverluste, seine Hochrisikopässe, nicht die eigenmächtige Verlängerung von Einsatzzeiten. Eigentlich hätte Söderholm dem Kanadier schon im Januar einen Denkzettel verpassen müssen. Heute erhält der SCB die Quittung dafür, dass er es nicht gewagt hat. Es ist möglich, dass beide Parteien noch froh darum sein werden, einen Passus in den eigentlich bis 2024 gültigen Vertrag eingebaut zu haben, wonach die Zusammenarbeit zum Saisonende per beidseitiger Option vorzeitig beendet werden kann.
So lasterhaft DiDomenico derzeit auftritt: Der 0:2-Rückstand in der Viertelfinalserie ist nicht nur ihm anzulasten; es dürfte im Team einige Protagonisten geben, die gar nicht unglücklich darüber sind, dass die Eruptionen des Vorkämpfers die Schlagzeilen beherrschen. Der Torhüter Philipp Wüthrich verschuldete am Donnerstag zwei Gegentreffer, die designierten Führungsspieler Tristan Scherwey, Simon Moser und Joël Vermin bleiben wie schon in der Qualifikation weit unter jenem Leistungsvolumen, das angesichts ihrer Lohnklasse erwartet werden darf.
Die SCB-Probleme sind vielschichtig, es fragt sich, ob sie in den nächsten Tagen noch zu beheben sind; schon am Dienstag könnte die Saison zu Ende sein. Immerhin hat der SCB mit dem Abgang DiDomenicos dann eine Sorge weniger.