Die Hockeyclubs brüskieren ihre Fans
Um auf die Rückerstattung der Saisonabos zu verzichten, sind die Fans gut genug. Doch bei der Zukunft der Liga werden sie übergangen. Nun wehren sie sich.
Simon Graf, Kristian Kapp, Philipp Muschg
Publiziert heute um 06:30 Uhr
0 Kommentare
Karikatur: Felix Schaad
Es muss Liebe sein. Zum achten Mal in Serie zog die höchste Schweizer Eishockeyliga im vergangenen Winter am meisten Zuschauer in Europa an. Über 7000 pro Partie, die Geisterspiele der letzten Runden ausgeklammert. Die Clubs sind zu Recht stolz darauf – und doch setzen sie diese Liebe nun ohne Not aufs Spiel. Derweil die Zuschauer den Stadien wegen der Corona-Pandemie fernbleiben müssen, basteln die Clubs an einer Ligareform, die bei der Fanbasis auf breite Ablehnung stösst.
WEITER NACH DER WERBUNG
So provozierten die Pläne einer Erhöhung auf zehn Ausländer und der Abschaffung des Abstiegs kurz vor Weihnachten einen noch nie da gewesenen Schulterschluss unter den Fanszenen: 18 von ihnen protestierten in einem längeren Statement gemeinsam gegen die Vergrösserung der Ausländerkontingente und die Verringerung der Durchlässigkeit zwischen den Ligen. Verbunden mit der Drohung des Liebesentzugs, falls man nicht erhört werde.
Die Erklärung wurde unterstützt von Fanclubs von acht National-League-Clubs, auch des SC Bern (Curva Bern, Szene Bern) und des EV Zug (Herti Nordkurve Zug), welche die Treiber dieser Reformen sind. Explizit gutgeheissen werden in diesem Paper indes die Pläne eines Financial Fairplay, also Salärbeschränkungen pro Team.
Die Fans verhalten sich in diesen schwierigen Corona-Zeiten sehr solidarisch mit ihren Clubs. So erklärten beim SC Bern, der mit Sport und Gastro gleich doppelt gestraft ist, rund zwei Drittel der Saisonabonnenten, ganz oder teilweise auf eine Rückerstattung zu verzichten. Auch bei den anderen Clubs dürften jene, die ihr Geld zurückfordern, in der Minderheit sein. Beim HC Davos sammelten die Fans überdies fast 100’000 Franken. Doch wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht, werden die Supporter schnöde übergangen.
«Mit zehn Ausländern könnten sich viele nicht mehr mit dem Club identifizieren.»
Remo Pinchera, Fandelegierter HCD
Remo Pinchera ist seit 1992 HCD-Fan und seit elf Jahren Fandelegierter des Rekordmeisters. Er sagt: «Wenn du die Fans zu stark verärgerst, kommen sie vielleicht wirklich nicht mehr.» Ihn treibt vor allem das Thema «zehn statt vier Ausländer» um. Er sagt: «Ich bin ganz klar dagegen.» Die meisten HCD-Fans würden so denken: «Mit zehn Ausländern könnten sich viele nicht mehr mit dem Club identifizieren. Lieber ein 20-Jähriger, der ein paar Fehler mehr macht, als Ausländer, die nur kurz wegen des Geldes zum Club kommen.»
WEITER NACH DER WERBUNG
Darum suchten die HCD-Anhänger das Gespräch mit dem Club. Am 2. Januar informierten CEO Marc Gianola und Sportchef Raeto Raffainer eine Handvoll Vertreter der Ultras. Am 16. Januar ist eine Video-Konferenz mit allen Davoser Fanclub-Präsidenten geplant, an der auch Verwaltungsratspräsident Gaudenz Domenig teilnehmen wird. «Wir werden uns bei den Punkten einbringen, für die wir kein Verständnis haben», sagt Pinchera.
«Sollte die Reform so durchkommen, es könnte einen Graben aufreissen zwischen den Clubs und den Fans.»
Sven Treichl, Fanszene ZSC
Bei Fragen wie der Trikotfarbe werde die Meinung der Fans eingeholt, sagt Sven Treichl von der «Fanszene ZSC». «Aber hier werden wir einfach übergangen. Sollte die Reform so durchkommen, es könnte einen Graben aufreissen zwischen den Clubs und den Fans.» Der feine Unterschied bei Treichl: «Seine» ZSC Lions stemmen sich als einziger der zwölf National-League-Clubs gegen die Erhöhung der Ausländer.
Die Fanszene Langnau wandte sich Anfang Jahr noch in einem offenen dreiseitigen Brief («Diese Ligareform wird unserem Sport nicht gerecht») eindringlich an die Clubführung der SCL Tigers. Dabei wird nicht nur die Erhöhung der Ausländer, sondern auch die Abschaffung des Abstiegs gegeisselt. Gerade ein Club wie die SCL Tigers lebe auch vom sportlichen Überlebenskampf. Da zu reüssieren, sei wie ein kleiner Meistertitel. Falle dieser weg, fehle ein wichtiges Spannungsmoment. Zudem sei ein Abstieg auch eine Chance, sich wieder neu aufzustellen.
Der Brief schliesst mit den Worten: «Das Bekenntnis zum Verzicht der Rückerstattung von Saisonabonnenten ist rechtlich nicht bindend. Hoffen wir also, dass es sich nicht viele doch noch anders überlegen.» Die Mahnung wirkte. Verwaltungsratspräsident Peter Jakob liess tags darauf auf der Website ein Interview mit sich publizieren, in dem er festhielt, vieles sei falsch interpretiert worden. Da aber Stillschweigen vereinbart worden sei, könne er zur Kritik nicht im Detail Stellung nehmen. Immerhin: Für Donnerstag wurde die Fanszene «Sektor 46» zu einem Gespräch mit der Clubführung eingeladen.
Abseits stehen bei der Ligareform die Swiss-League-Clubs, doch betroffen sind sie ebenso. So unterzeichneten auch sechs Fanbewegungen der zweithöchsten Liga das Statement. Sie stört vor allem, dass die National League eine geschlossene Gesellschaft werden möchte. «Was bringt ein B-Meistertitel, wenn man nicht aufsteigen kann?», sagt Samuel Renggli von den Supporters Longvalley, einer Fanvereinigung des SC Langenthal, stellvertretend für diese Bewegungen. «So wird den Swiss-League-Clubs die Perspektive geraubt. Es gehört zu unserer Sportkultur, dass man auf- und absteigt.»
Noch im Januar dürften die National-League-Clubs den Aktionärsbindungsvertrag unterschreiben, in dem die Rahmenbedingungen festgeschrieben werden. Dass ein Last-Minute-Austausch mit Fans noch etwas Substanzielles verändert, ist unwahrscheinlich. Kommt dazu, dass die noch viel zahlreichere Gruppe von Hockey-Interessierten, die nicht in Fanclubs organisiert sind, in dieser Frage gar keine Stimme hat.
Dass die Liga ihr Produkt so massiv verändert, ohne mit den Konsumenten Rücksprache zu halten, ist ein Spiel mit dem Feuer. Zumal in diesen Corona-Zeiten, in denen es gilt, die Zuschauer wieder in die Stadien zu locken, wenn die Pandemie vorüber ist. Vielleicht kann sich die National League schon bald nicht mehr damit brüsten, die Liga mit den meisten Zuschauern in Europa zu sein.
Bin ja mal gespannt, ob die Clubs wirklich gegen die Fanszene agieren. Bin nicht der Meinung, dass dies so easy ist, weil die ja so oder so ins Stadion kommen werden.