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Ganz allein auf dem Thron
Der FCZ-Präsident Ancillo Canepa macht alles für seinen Verein. Nun hat er den Trainer entlassen, der Sportchef wechselt zu YB, und im Klub rumort es. Warum? Von Stephan Ramming
Ancillo Canepa platzt fast vor Freude. Es ist spät, die Nacht lau. Canepa steht vor der Eingangspforte zu einem Luxushotel. «Einfach unglaublich», sagt der Präsident immer wieder, saugt an seiner Pfeife und erzählt mit glänzenden Augen Geschichten und Anekdoten, die ansteckende Leutseligkeit entspringt seinem Herzen. Er ist stolz, auf seinen FCZ, auf sich. «Komm, da setzen wir uns jetzt drauf», sagt Canepa. Er sieht in der Lobby eine ausgestellte Vespa. Der kleine Mann klettert auf den schicken Roller, der Fotograf knipst. Canepa strahlt und ist der glücklichste Klubpräsident der Welt.
Über drei Jahre ist das her. Der FCZ hat in der Champions League auswärts die AC Milan 1:0 besiegt. Es ist der Höhepunkt in der nun fast sechsjährigen Amtszeit Canepas. Wie ein Gespenst aus der Vergangenheit kehrt der Höhepunkt zurück, als der FCZ-Präsident am letzten Dienstag in sein Museum lädt, um die tags zuvor öffentlich gemachte Entlassung des Trainers Rolf Fringer vor den Medien zu begründen. San Siro? Bernabeu? Allianz-Arena? Meistertitel? Alles weit weg. Es geht um schlechte Nachrichten. Canepa kann nur verlieren. Er ist an seinem Tiefpunkt angelangt.
Es hat sich viel aufgestaut im FCZ. Fringers Entlassung ist nur der Ausfluss einer Gemengelage aus sportlichem Krebsgang, Machtkämpfen, Abgängen und Strukturproblemen. Canepa ist angespannt, er spricht viel und sagt wenig, er weicht aus und wiegelt ab. Sein einsamer Auftritt misslingt gründlich, in den Medien ergiesst sich ein Kübel mit teilweise grober Kritik.
Beim Missbehagen im FCZ geht es aber nicht nur um die Person Canepas, sondern zuerst einmal um Geld - um fehlendes Geld. Früher zückt Canepas Vorgänger Sven Hotz das Portemonnaie und begleicht die Fehlbeträge. Als Canepa im Dezember 2006 FCZ-Präsident wird, will er mit dem Ehrgeiz des Wirtschaftsprüfers den Klub «mit professionellen Strukturen nach betriebswirtschaftlichen Regeln» führen. Heute ist Canepa wieder dort, wo er angefangen hat. Nur zahlt vor allem er selber, Canepa.
Nach der Champions-League-Saison muss der FCZ das Budget zurückfahren; von 26 auf die vor der laufenden Saison kommunizierten 20 Millionen Franken. Im Herbst jedoch beginnen sich ein Liquiditätsengpass und ein grösseres Loch aufzutun. Auf der Geschäftsstelle wird der Stapel unbezahlter Rechnungen immer höher. Canepa, der früher bei Ernst & Young mit dem Lesen von Geschäftsbilanzen Karriere gemacht hat, muss handeln.
Geld und Macht
Im Verwaltungsrat bieten Gregor Greber und Hans Ziegler finanzielle Beteiligung an, doch sie wollen bei Personalentscheiden mitbestimmen und den Klub anders ausrichten. Canepa zögert, die Fronten verhärteten sich. Vor zehn Tagen verliert der Präsident die Geduld und stopft das Loch. Greber und Ziegler verlassen den Verwaltungsrat. Wie viel er zahlt, sei «Privatsache», sagt Canepa. Insider sprechen von vier bis fünf Millionen allein in diesem Herbst und prophezeien fürs Saisonende ein noch grösseres Loch.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass nicht Canepa alleine zahlt, sondern vor allem seine Frau Heliane. Die frühere Managerin des Zahnersatzherstellers Nobel Biocare gehörte gemäss «Bilanz» noch vor kurzem zu den 300 reichsten Schweizern; ihr Vermögen dürfte nach wie vor weit über 100 Millionen Franken betragen. Die 64-Jährige ist seit fast vierzig Jahren mit Canepa verheiratet, besucht die meisten Spiele und ist vom FCZ-Virus ebenso angesteckt wie ihr Mann. «Ich habe mit Heliane gesprochen», lautet der Satz, der zuletzt im kleinen Kreis vom Präsidenten zu hören ist, wenn es um eine heikle Finanzierungsfrage geht. Als am Montag dem Trainer Rolf Fringer die Entlassung verkündet wird, ist Heliane in den Büros am Schanzengraben anwesend. Noch vor anderthalb Jahren wehrt sich Canepa, seine Frau sei «nicht die Gigi Oeri des FCZ. Wir haben ein gemeinsames Portemonnaie. Und ich sehe mich nicht als Mäzen. Ich habe so schon genug bezahlt.» Jetzt zahlt Canepa immer noch. Und er zahlt weiter. Und immer mehr.
Warum tun sich die Canepas das an? Warum führen sie kein unbeschwertes Leben, ohne Ärger, auf Spaziergängen mit ihrem reizenden Hund Kookie, abseits der Öffentlichkeit?
Ancillo Canepa ist Fussball-Fan. Als Stürmer im FC Rüti blieb der grosse Fussball ein Traum, den er sich nun nach dem Umweg über eine erfolgreiche Berufslaufbahn zu erfüllen hofft. In seinem Haus steht die Sammlung kompletter Jahrgänge von Fussball-Heftli, sein Büro ist mit Bildern und Devotionalien ausgestattet. Der Besucher in seinen Geschäftsräumen bereitet dem Gastgeber viel Freude, wenn er fehlerfrei die Daten zu den historischen Fotografien hersagen kann. Dann gerät Canepa ins Feuer, und wer es nicht glauben will, dass er einst selber ein guter Fussballer gewesen sein soll, dem zeigt er die vergilbte Einladung zu einem Probetraining für Jungtalente, die er einmal vom Grasshopper-Club bekommen hat. Unterdessen ist Canepa doch noch im grossen Fussball angekommen, nicht als Spieler, aber als FCZ-Präsident.
Aus jeder Zeile tropft Groll
Der Anfang gleicht einer Adrenalin-Dusche. Canepa übernimmt von Sven Hotz das Amt und erlebt zweimal hintereinander hautnah das Hochgefühl des Titelgewinns, er schnuppert an der Champions League, wird 2009 nochmals Meister und erreicht schliesslich die Gruppenspiele der Königsklasse. Emotionen, grosse Namen, und viel, viel Geld. Canepa geniesst, aber er will auch «mit klugem Bauch» die Weichen stellen für die gedeihliche Zukunft des FCZ. Ein Unternehmen im KMU-Massstab soll der Klub werden, die Zürcher Verkaufsstelle für Fussball-Gefühle, breit abgestützt, eine Heimat für Jung und Alt. Es erscheint eine dicke FCZ-Historie, der Fan-Shop und das Museum öffnen ihre Pforten, der Frauen-, Kinder- und Jugendfussball wird ausgebaut und manches mehr.
Doch der Kern wird faulig. Nach der Begegnung mit seinem Lieblingsklub Bayern München in der Qualifikation zur Champions League im Sommer 2010 kommt Canepa zusehends der Blick auf die erste Mannschaft abhanden, weil er als Vollzeitpräsident und oberster FCZ-Fan die Nase zu dicht auf den Rasen hält und so nur noch Waden statt Spieler sieht. Daneben verzettelt er Kräfte und verpufft Energie mit dem Kontrollieren von Nebenschauplätzen. Im Klub gibt es Stimmen, die Canepa hinter vorgehaltener Hand Selbstdarstellung vorwerfen. Neben ihm scheint keiner stark werden zu dürfen. Vor allem aber schafft es Canepa nicht, Strukturen zu implementieren und Persönlichkeiten zu gewinnen, die den Klub unabhängiger von seiner Person und seinem Geldbeutel machen. Der Versuch mit Greber und Ziegler geht auch deshalb schief, weil Canepa keine Macht abgeben will. Das wird erstmals offenbar, als der Entlassung von Trainer Urs Fischer im März 2012 ein wochenlanges Hickhack vorausgeht.
Die Art und Weise der Entlassung Fischers kommt nicht nur beim Publikum schlecht an, sie stört auch das Vertrauensverhältnis zu Fredy Bickel nachhaltig. Der Sportchef ist für Canepa die wichtigste Bezugsperson im Klub, die Beziehung zu Bickel geht weit über die Besprechung von Transfergeschäften hinaus. Vielleicht will Canepa auch deshalb am letzten Dienstag vor den Medien als einziger beharrlich nicht wahrhaben, dass Bickel faktisch zu den Young Boys gewechselt ist. Ein Beispiel dafür, wie sich Canepa die Realitäten zurechtrückt. Denn einen Tag später wird Bickel in Bern vorgestellt, ein Telefongespräch zwischen Canepa und dem YB-Investor Andy Rihs, der mit Heliane im Verwaltungsrat des Hörgerät-Herstellers Sonova sitzt, regelt die Angelegenheit auch juristisch und finanziell.
Ob er sich die Realitäten schönredet? «Das ist doch Gugus, ein fertiger Habakuk», sagt Canepa jeweils. Doch obwohl er geschmeidig ins technokratische Manager-Deutsch wechseln kann, wenn man ihn etwa auf seine privaten Beteiligungen an den Transferrechten vieler FCZ-Spieler anspricht, kann Canepa persönlich werden, wenn ihm etwas nicht passt. Und er kann sich aufregen, furchtbar aufregen, wie ein Fan über ein Hands, das der Schiedsrichter nicht pfeift. Canepa schreibt am letzten Freitag persönlich eine Medienmitteilung, in welcher er die Kündigung des Nachwuchsleiters Ernst Graf kommentiert. Aus jeder Zeile tropft Groll. Graf hat unlängst einen Leserbrief publiziert, in dem er das Gezerre im Verwaltungsrat kritisiert.
Entlastung im Tagesgeschäft
Eigentlich hätte ein Präsident mit kühlerem Kopf und weniger klugem Bauch anderes zu tun, als Medienmitteilungen zu schreiben. Zum Beispiel einen neuen Trainer suchen. Oder einen Sportchef bestimmen. Oder den Leiter der Nachwuchsabteilung suchen. Oder neue Verwaltungsräte rekrutieren. Denn Canepa sitzt plötzlich einsam auf dem FCZ-Thron.
Immerhin wird ihn künftig in der Person von Claudio Ammann ein CEO im Tagesgeschäft entlasten. Das könnte für ihn, der sowohl die Geschäftsstelle leitet wie auch dem Verwaltungsrat vorsitzt, eine Chance sein, etwas kürzer zu treten. Heliane Canepa sagt 2011 über ihren Mann: «Solange er Spass hat und etwas bewegen kann, kann ich mir kaum vorstellen, dass er je aufhört. Aber allzu lange reizen oder ärgern sollte man ihn trotzdem nicht.»