Vom Thomas Roost über d U20 WM.
U20-WM: Rückschlag für das Welteishockey
Auf direktem Weg von der Randsportart zur internationalen Non-Valeur-Sportart
Während der Gruppenphase der diesjährigen U20-WM haben wir teilweise grossartiges Eishockey gesehen, Aktionen auf höchstem Talent-Niveau, Spiele voller Leidenschaft, ungezügelter Energie und Vorwärtsdrang. Trotzdem muss uns diese WM zu denken geben, denn sie zeigt Ergebnisse, die nicht im Interesse der Entwicklung des Eishockeysports sein können: Steinzeitresultate und erschreckende Niveauunterschiede zwischen den Top 6-Nationen und den «Kleinen». Die Schweiz ist Teil dieses Problems.
Es ist seit Jahrzehnten das richtigerweise anzustrebende Ziel des IIHF, unsere grossartige Sportart auch an der Spitze breiter abzustützen. Nichts ist langweiliger und langfristig ein Interessenkiller, als wenn immer dieselben Nationen top sind und die «Kleinen» kaum je eine Chance auf eine Überraschung haben. Es gibt keine schlimmeren Argumente gegen unsere Sportart, als wenn die Nummern 1-5 der Welt die Nummern 7-10 mit zweistelligen Resultaten und Schussverhältnissen von 50-22, 44-15, 73-10, 43-14, 65-6, 52-15, 50-18 und 50-12 dominieren.
Aus Sicht von Aussenstehenden sind und bleiben wir damit eine Randsportart, eine Sportart, die nur in einer Handvoll von Nationen ernsthaft betrieben wird. Darauf «aufbauend» fordern Journalisten aus dem Mutterland des Eishockeys eine Reduktion der Mannschaften in der Top-Division, eine kurzsichtige Arroganz sondergleichen; polemisch ausgedrückt befinden wir uns damit auf direktem Weg von der Randsportart zur internationalen Non-Valeur-Sportart à la Buzkashi oder Einradhockey. Am Ende spielen nur noch Kanada, USA, Schweden, Finnland und Russland unter sich. Die diesjährigen Resultate sind Wasser auf die Mühlen dieser Stimmen. Wir, die Schweiz, wären dann wie vor 30 Jahren wieder eine 2. Divisionsmannschaft.
Wieso ist die Schweiz Teil dieses Problems?
Die Rhetorik im Schweizer Eishockey hat sich vom schüchtern, bescheidenen «Understatement» hin zu grossmauligen «Quotes» verändert. Ein unaufgeregt selbstbewusster, sachlicher Mittelweg wäre angezeigt. Wenn wir mit einem Team wie der diesjährigen U20-Truppe das Medaillenziel kundtun, dann müssen wir irgendwann auch damit rechnen, dass wir an diesen Aussagen gemessen werden. Ende der Polemik. Sachlich gesehen war die Viertelfinalqualifikation dank der günstigen Gruppenkonstellation und dem Ausfall von Topspielern bei Deutschland ein realistisches Ziel gegen zwei Gegner auf Augenhöhe. Leider waren wir in diesem Jahr aber individuell nicht so gut besetzt, als dass wir als Favorit in diese beiden Direktbegegnungen gestiegen sind.
Ok, gegen die Deutschen, mit ihren schwerwiegenden Absenzen von zwei der vier Stars sowie des Nr.1-Goalies im Team, waren wir am Ende vielleicht ganz leicht in der Favoritenrolle. Ihre verbliebenen Topshots haben es aber gerichtet. Die Deutschen konnten es sich sogar leisten, ihre Stars über mehrere Spiele hinweg mit bis zu mehr als 30 Minuten Eiszeit zu belasten; eine für heutige Massstäbe eher ungewöhnliche Coachingmassnahme, aber in diesem Fall hat es sich ausbezahlt.
Alles in allem (letzte Junioren-WM und NHL-Draftresultate berücksichtigend) ist das Schweizer Junioren-Eishockey nicht dort, wo wir sein wollen: Direkter Verfolger der Top 5. Diese Rolle haben die Tschechen inne. Wir sind lediglich Teil der «Kleinen», auf Augenhöhe mit Deutschland, Slowakei, Weissrussland et cetera. Fatal ist, dass der gefühlte Rückstand auf die Weltspitze wieder grösser wurde. Die diesjährigen Resultate untermauern den grossen Rückstand. Dies entspricht nicht unseren Ansprüchen und schon gar nicht der neuen übersteigert selbstbewussten Rhetorik.
Die Leistung unserer Schweizer U20-Auswahl
Ich kann keine krassen Fehler feststellen, es wäre falsch, zum Beispiel dem Coachingstaff die Schuld für die Nichtresultate in die Schuhe zu schieben. Wir müssen ganz einfach eingestehen, dass die individuelle Klasse unserer Spieler nicht ausreicht, um auf diesem Niveau bestehen zu können. Die Direktbegegnungen gegen die Slowakei und Deutschland hätten mit etwas Glück auch zu unseren Gunsten ausfallen können, diese Niederlagen dürfen wir nicht überbewerten. Hingegen war die Unterlegenheit gegen die Top-Nationen erschreckend; es ist uns kaum je gelungen, klare Torchancen herauszuspielen. Es fehlte an Skills an allen Ecken und Enden.
Wie sind die Aussichten für die nächste U20-WM? Nicht viel besser, wir durchlaufen aktuell tatsächlich nicht nur ein tristes Jahr, sondern eine triste Phase. Hoffentlich ist dies kein nachhaltiger Negativtrend. Um in die Sphäre der Tschechen – als erste Verfolger der Weltspitze – aufzuschliessen fehlt aktuell vieles. Dies muss aber mittelfristig das Ziel sein, es ist realistisch, wenn die Ausbildung der Spieler und Coaches weiter optimiert wird und die diesbezüglichen Budgets mindestens gehalten oder – noch besser – leicht ausgebaut werden können.
Tendenziell glaube ich, trivial ausgedrückt, dass in den letzten Jahren etwas zu viel über Prozesse, Juniorenliga-Strukturen, Konzepte und eindrucksvolle Powerpoint-Präsentationen nachgedacht und zu wenig praktische Detailqualität aufs Eis gestellt wurde. Eine Qualitäts- und Trainingsintensitäts-Konzentration an der Spitze der Leistungspyramide würde vermutlich ebenfalls noch mehr Positives bewirken.
Besorgniserregend sind die Tendenzen, den SIHF zu schwächen; das Gegenteil sollte der Fall sein. Betreffend Ausbildung und Förderung der besten Junioren ist ein nationaler Schulterschluss notwendig. Das Verlierervirus können wir mit dezentraler Clubverantwortung nicht bekämpfen und Impfungen gegen Kanterniederlagen und Stützles sind nicht in Sicht.