Die Zürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart wollte Härte gegen Fangewalt zeigen. Doch nun kippt der Statthalter ihren umstrittenen Entscheid
Mathis Kläntschi bezeichnet die Sperrung der FCZ-Fankurve als rechtswidrig. Er versetzt damit auch dem Kaskadenmodell der Schweizer Behörden einen Schlag.
Fabian Baumgartner20.06.2025, 15.09 Uhr 4 min
Karin Rykart reagierte mit Härte. Als es nach dem Heimspiel des FC Zürich gegen den FC Basel am 21. Januar 2024 zu Ausschreitungen gekommen war, verfügte die grüne Zürcher Sicherheitsvorsteherin eine Sperrung der Südkurve, der Fankurve des FCZ. Betroffen war das zehn Tage später stattfindende Heimspiel des Klubs gegen Lausanne-Sport.
Die Massnahme war Teil des sogenannten Kaskadenmodells, mit dem die Behörden schweizweit härter gegen Fangewalt vorgehen wollten.
Doch nun hat der Zürcher Statthalter Mathis Kläntschi einen Entscheid gefällt, der das Modell ins Wanken bringt. Er urteilte, die Sperrung der Südkurve im Stadion Letzigrund Ende Januar 2024 sei nicht verhältnismässig gewesen. Doch ganz fallenlassen will auch Kläntschi das Modell nicht.
Der Statthalter musste sich mit dem Fall befassen, weil sich der FC Zürich gegen den Entscheid des Sicherheitsdepartements zur Wehr gesetzt hatte. Der Verein verlangte in einem Rekurs eine Neubeurteilung der Massnahme durch Kläntschi.
Ausschreitungen bei Risikospiel als Auslöser
Rykarts Massnahme war eine Reaktion auf Ereignisse am 21. Januar 2024. Nach dem Heimspiel hatten rund einhundert gewaltbereite FCZ-Ultras die Polizei angegriffen. Die Einsatzkräfte wurden dabei mit brennenden Fackeln, Rauchpetarden, Feuerwerk, Steinen und Flaschen beworfen. Zudem schoben die Gewalttäter Abfallcontainer auf die Fahrbahn, um die Strasse zu blockieren.
Die Polizei reagierte mit Gummischrot und Wasserwerfern. Die Scharmützel dauerten auch dann noch an, als die Züge mit den Basler Gästefans den nahe gelegenen Bahnhof Altstetten längst verlassen hatten.
Die Behörden sprachen danach von einem völlig sinnlosen Gewaltexzess. Die Attacken auf die Einsatzkräfte seien aufgrund ihrer Intensität als gravierend einzustufen, hielten sie in der Mitteilung fest. Sie reagierten deshalb mit dem Auslösen des Kaskadenmodells. Das Modell sieht abgestufte Massnahmen vor, um schweizweit einheitlich auf Ausschreitungen reagieren zu können. So sollen zum Beispiel Fankurven geschlossen werden, wenn es zuvor zu Fackelwürfen, Ausschreitungen und Verletzten gekommen ist.
Doch die Schliessung der Südkurve war laut dem Statthalter nicht korrekt.
In seiner 27-seitigen Verfügung vom 17. Juni hat Mathis Kläntschi den Rekurs des FC Zürich gutgeheissen. Er hält darin fest, die angeordnete Sperrung der Südkurve sei nicht verhältnismässig gewesen. Der Entscheid von Rykarts Sicherheitsdepartement sei rechtswidrig. Er auferlegt der Stadt deshalb auch die Verfahrenskosten.
Im Zentrum von Kläntschis Entscheid steht der damalige Gast aus Lausanne. Das öffentliche Interesse an einer Sektorensperrung sei in diesem Fall nur gering gewesen, denn bei dieser Affiche sei es in der Vergangenheit nie zu Ausschreitungen zwischen den Fangruppierungen gekommen.
Das zeigte sich auch beim Match selbst: Anhänger des Waadtländer Klubs kauften im Vorfeld sogar Tickets, damit FCZ-Fans beim Match mit ihnen im Gästesektor des Letzigrunds mitfiebern konnten. Rund 3000 Zürcher Fans befanden sich schliesslich im Gästesektor.
Für Statthalter Kläntschi ist klar, dass die Interessen und Grundrechte der zahlreichen durch die Massnahme eingeschränkten, friedfertigen Matchbesucher mehr hätten berücksichtigt werden müssen. Es gehe zwar von jedem Fussballspiel ein gewisses Sicherheitsrisiko aus, doch das könne nicht als Rechtfertigung dafür dienen, für beliebige Spiele einschneidende Massnahmen anzuordnen.
Kläntschi bilanziert deshalb: «Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die grundsätzlich zulässige Massnahme im vorliegenden Kontext wie eine Kollektivstrafe anmutet.»
Ein Grundsatzentscheid gegen das Kaskadenmodell ist sein Entscheid jedoch nicht. Denn der Statthalter lässt durchblicken, dass seine Einschätzung bei einem Hochrisikospiel möglicherweise anders ausgefallen wäre.
Ein solches gab es tatsächlich, und zwar nur gerade drei Tage nach den erwähnten Ausschreitungen beim Spiel gegen den FC Basel vom 21. Januar 2024. Doch ausgerechnet bei dem Derby gegen den Stadtrivalen GC, bei dem es immer wieder zu Gewalteskalationen kommt, verzichtete das Sicherheitsdepartement auf eine Sektorensperrung.
Rykarts Departement argumentierte, für den FCZ wäre die Zeit zu knapp geworden, um die Auflage umzusetzen. Man habe sich deshalb entschieden, die Massnahme erst für das darauffolgende Spiel anzuordnen. Für Kläntschi ist diese Argumentation nicht nachvollziehbar, wie er in seiner Verfügung festhält.
Stadt prüft einen Weiterzug
Der Entscheid des Statthalters ist ein weiterer Schlag für die Befürworter des umstrittenen Kaskadenmodells. Dieses wurde ursprünglich zwar von der Swiss Football League und den Behörden gemeinsam propagiert. Inzwischen sind die Akteure aber hoffnungslos zerstritten, Fanorganisationen machen offen Stimmung gegen das Modell.
Wie es nun in Zürich weitergeht, ist unklar. Der FC Zürich schreibt in einer Stellungnahme, man nehme den Entscheid des Statthalters mit Genugtuung zur Kenntnis. «Kollektivstrafen sind im Grundsatz rechtswidrig und abzulehnen.» Es brauche einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten. Diesen Weg werde man nun entschlossen weiterführen.
Beim Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich heisst es auf Anfrage lediglich, man werde die Verfügung nun prüfen und dann entscheiden, ob man die Sache an die nächsthöhere Instanz weiterziehen werde.
Macht Kläntschis Entscheid Schule, hätte das Folgen in der ganzen Schweiz. Denn auch in anderen Kantonen könnten Sektorensperrungen nachträglich als widerrechtlich beurteilt werden. In Basel etwa wurde die Muttenzer-Kurve bei einem Heimspiel gegen Yverdon gesperrt. Auch dieser Match fällt nicht in die Kategorie der Hochrisikospiele.
Ebenso wie der FC Zürich hat auch der FC Basel Rekurs eingelegt. Wie der «Blick» schreibt, wollen die Basler Schadenersatz einfordern, sollte das Urteil zu ihren Gunsten ausfallen.