Der einzige Zürcher, den alle mochten
In der Zürcher Pauluskirche verabschiedeten sich 400 Trauergäste vom legendären Radioreporter. Gerührt, aber auch mit einem Schmunzeln schwelgte man in Erinnerungen.
Simon Graf
Publiziert: 16.01.2024, 20:20
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Eine stimmige Abdankungsfeier: Pfarrer Christoph Sigrist spricht über Walter Scheibli.
Foto: Urs Jaudas
Wenn der Pfarrer vom «Tempel» spricht, aber kein Gotteshaus meint, sondern das Hallenstadion, dann weiss man: Das ist keine gewöhnliche Abdankung.
Rund 400 Trauergäste sind an diesem sonnigen, aber frostigen Nachmittag in die mächtige Pauluskirche auf dem Milchbuck gekommen, um von Walter Scheibli Abschied zu nehmen. Bekannt geworden als «Stimme des ZSC».
Auch Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist pilgerte früher als Jugendlicher nach Oerlikon zu den ZSC-Spielen. «Das waren noch Zeiten, als nach dem zweiten Drittel alles voller Rauch war und man den Puck nicht mehr sah», sagt er. «Umso mehr konzentrierte man sich dann auf Walti.»
Für alle war er «der Walti»
Er war für alle immer nur «der Walti», und das ist er auch bei seiner Abdankung. Mit vollem Namen: Walter Otto Scheibli. Einen Steinwurf von der Pauluskirche entfernt war er aufgewachsen, und hatte fast bis zuletzt da gewohnt – bis er nach einer Blutvergiftung für die letzten Monate seines Lebens ins Pflegeheim Bethanien musste. In der Säuglingsstation Bethanien sei Walti am 14. Oktober 1932 zur Welt gekommen, sagt Sigrist. «Nun hat sich der Kreis geschlossen.»
Bei sonnigem, aber frostigem Wetter fanden sich die Trauergäste bei der Pauluskirche ein.
Foto: Urs Jaudas
Mit 91 Jahren verstarb der legendäre Zürcher Radioreporter in den Morgenstunden des 19. Dezember 2023. Einen guten Monat später wurde er nun vormittags im kleinen Kreis beigesetzt und am Nachmittag eine Trauerfeier für ein grösseres Publikum abgehalten. «Für die ZSC-Gemeinde», wie der Pfarrer sagt. Vorne ist ein grösseres Porträt von Scheibli aufgestellt, wie er lächelt.
Man sieht unter den Trauergästen einige mit ZSC-Schals und gelben Pullis, die Scheibli zu tragen pflegte, um seinem Club Glück zu bringen. Der frühere Fifa-Präsident Sepp Blatter ist gekommen, die ZSC-Legende Mathias Seger, der aktuelle Zürcher Captain Patrick Geering, Präsident Walter Frey und Sohn Lorenz, sein Radio-24-Förderer Roger Schawinski und auch Arno Del Curto. Der Bündner bescherte, damals ZSC-Coach, Scheibli mit dem Sieg über das Grande Lugano im Viertelfinal 1992 die emotionalste Stunde als Radioreporter.
Auch der frühere ZSC-Coach Arno Del Curto (rechts) erweist Walter Scheibli die letzte Ehre.
Foto: Urs Jaudas
Peter Scheibli, sein vier Jahre jüngerer Bruder, hat dem Pfarrer einige Erinnerungen aufgeschrieben, die dieser vorliest. Wie sie im TV Oberstrass turnten, Walter aber von einer Karriere als Fussballgoalie in Frankreich träumte. Wie dieser an Heiligabend einmal den Gesang auf der Blockflöte begleitete und bei diesem einen Versuch blieb, weil sein Spiel weniger melodiös war als später seine Radioreportagen. Oder wie er seinem Bruder die Vespa überliess, damit dieser mit seiner Freundin Margrit herumkurven konnte.
Der gelernte Bäcker Walter Scheibli war 23 Jahre alt, als er beim Konsumverein Leiter der Filiale am Berninaplatz wurde. Da lernte er seine spätere Frau kennen. «Weil ihm administrative Arbeiten nicht so lagen», so Bruder Peter, «übertrug er Margrit alles Administrative. Und bald merkte er, dass sie nicht nur administrative Qualitäten besass.» Die beiden wurden ein Paar, hielten das aber während zweier Jahre geheim und siezten sich auf der Arbeit weiter, bis er Aussendienstmitarbeiter bei Nestlé wurde.
Der Zürcher Journalist Thomas Renggli liest einen Rückblick auf Scheiblis Leben vor, mit den einleitenden Worten: «Walter Scheibli hatte eine Sonderstellung.» Und sagte: «Er war der einzige Zürcher, den alle gern hatten. Sogar die Basler und die Berner.» Aber er habe ihm auch schwere Stunden beschert mit seinen Einschaltungen auf Radio 24 von den ZSC-Spielen in den Achtzigerjahren, als man von Meistertiteln nicht einmal träumen konnte. «Wenn man Walti zuhörte, wähnte man sich im Stadion. Und schon bei der ersten Silbe hörte man an seiner Stimme, ob der ZSC ein Tor geschossen oder bekommen hatte.»
Neffe Erich spielt auf der Querflöte
Am liebsten hätte man in der Pauluskirche mit ihrer wunderbaren Akustik nun die Reportage Scheiblis vom legendären Penaltyschiessen 1992 gegen Lugano gehört. Stattdessen gibt es Musik. Scheiblis Neffe Erich spielt auf der Querflöte «Yesterday» von den Beatles, das Ave Maria und «Memory» aus dem Musical «Cats». «Die Stimme des Himmels bringt die Stimme von Walter Scheibli neu in Schwingung», schliesst Pfarrer Sigrist. «Der Match des ewigen Lebens hat begonnen, und mittendrin ist Walti. Halleluja, Amen.»
Eine Trauerfeier, wie sie seinem Bruder entsprochen hätte, sagt der gerührte Peter Scheibli auf dem Weg zum Apéro im Kirchgemeindehaus, wo man in Erinnerungen schwelgt. Er dankt Schawinski, dass er gekommen sei, und dieser sagt: «Normalerweise wird an Abdankungen viel gelogen. Aber hier hat alles gestimmt.» In der Tat. Schon zeitlebens hatte niemand ein schlechtes Wort über Scheibli verloren. Nun wurde er von der Stadt in die Liste der verstorbenen Prominenten aufgenommen.
Am Abend erstrahlt die Pauluskirche in den ZSC-Farben blau-weiss-rot, als Hommage an den passionierten Radioreporter. Vielleicht schaut er ja von oben herab und sieht es. Vielleicht ist er auch zu beschäftigt. Schliesslich hat er seiner Frau Margrit und seinem Sohn Walter j. da oben einiges zu erzählen.