Kolumne Mathias Seger* erklärt, welche Typen ein erfolgreiches Team ausmachen
Energie à la Obelix
Falls ich mich nicht verzählt habe, teilte ich in der NLA bisher mit 250 Spielern die Garderobe. An einige Namen mag ich mich nur noch diffus erinnern. Kein Wunder: Alleine in der Krisensaison 2005/06 gingen beim ZSC 12 Ausländer ein und aus. Wir hatten einen Amerikaner, einen Kanadier, einen Finnen, einen Norweger, einen Schweden, einen Slowaken, einen Tschechen . . .
Privat umgibt man sich gerne mit Menschen, die ähnlich ticken, die vielleicht auch in einer ähnlichen Lebenssituation stecken wie man selbst. Aber in einer Garderobe ist das Umfeld vorgegeben. Da bekommst du einen Auszug aus allen möglichen Charakteristiken und Mentalitäten. Das ist auch, was mich stets am meisten gereizt hat am Teamsport: zu beobachten, wie so viele Persönlichkeiten aufeinanderprallen. Und zu sehen, welche Typen es braucht, damit sie als Gruppe zusammenfinden.
Harry Rogenmoser in Rapperswil-Jona gehörte 1996 zu meinen ersten prägenden Leadern. Er war jemand, den ich als 18-Jähriger zuvor nur aus dem Fernsehen gekannt hatte. Er war der Captain, der absolute Chef, der Einheimische, den alle kannten. Und er kannte jeden. Er war in alle Prozesse im Club involviert. Wenn in der Geschäftsleitung etwas Wichtiges beschlossen wurde, trug er den Entscheid danach der Mannschaft vor. Es waren noch urchigere Zeiten, gradliniger, hierarchischer. Aber ich lernte da, wie man sich Akzeptanz verschafft.
Später traf ich auch bei den ZSC Lions auf eine solche Identifikationsfigur: Michel Zeiter verkörperte den Club wie kein Zweiter, was ihn auch zum Feindbild der Gegner machte. Vielerorts machte man sich lustig über seine weissen Schlittschuhe, nervte sich über seine saloppe Art, beleidigte ihn. Und er stand hin, absorbierte diese Negativität und hielt uns anderen so den Rücken frei. Dabei war er auch der, der am meisten über sich selbst lachen konnte. Ich fand das wunderbar.
Der wichtigste ZSC-Transfer
Dann sind aber auch jene unglaublich wichtig, die nicht mit Worten, sondern mit Taten auf dem Eis voranschreiten. Der Amerikaner nennt es «leading by example». Wenn man überlegt, wie viel Stabilität uns Ari Sulander brachte. Er ist bis heute der wichtigste Transfer in der Geschichte der ZSC Lions. Der Schritt vom Liftteam zum Meister ist vor allem ihm zu verdanken.
Sulo hatte eine Ausstrahlung im Tor, die sich auf die Vorderleute übertrug. Als Spieler wusstest du: «Es können Fehler passieren. Aber mit ihm hinten drin wird es nicht kacheln.» Und mit diesen Gedanken im Kopf beging man eben gerade weniger Fehler.
Sulander oder auch ein Claudio Micheli und ein Edgar Salis führten durch ihre Gelassenheit in heiklen Situationen, andere führen durch ihre Energie: Ich staune etwa, wie Andres Ambühl auch heute noch in jedem Einsatz lossprintet, seine Gegenspieler nie in Ruhe lässt. Unermüdlich. Er erinnert mich an Obelix, der als Kind in den Zaubertrank fiel und seither unheimliche Kräfte besitzt. Bei Ambühl war es wohl ein Topf Bündner Gerstensuppe.
Es gibt Leader wie Mark Streit, der allein schon wegen seiner Geschichte angesehen ist. Jeder weiss, was er für einen Weg hinter sich. Wie er sich dank Fleiss und Willenskraft nach oben gehievt hat. Und es gibt Leader wie Severin Blindenbacher, die den Mut aufbringen, in der Kabine aufzustehen und zu sprechen, wenn etwas nicht stimmt. Das Bild vom Lebemann und Träumer, das viele von ihm haben, kann ich überhaupt nicht bestätigen.
Das alles sind bekannte Namen. Und ihr Einfluss war und ist auch von aussen zu sehen. Aber man darf die anderen nicht vergessen, die Unscheinbaren. Die Spassvögel etwa. Wie Matthias Schoder, der als Nummer 2 hinter Sulander eine undankbare Aufgabe hatte. Aber er motzte nie. Er war immer positiv, machte Sprüche, munterte auf. Ein Fels in der Brandung.
Oder die Partytiger. Wenn man ausgehen wollte, musste man früher nur Pascal Tiegermann nachlaufen, der wusste, wos abging. Rolf Schrepfer oder Thomas Ziegler waren stets für einen geselligen Umtrunk zu haben. Solche Typen erschaffen den sozialen Kitt in einem Team. Man muss sehen: Als Profi verbringt man neben dem Eis mehr Zeit zusammen als auf dem Eis.
Die Gesellschaft hat sich gewandelt, der Individualismus ist viel ausgeprägter geworden. Dennoch ist es schön, zu sehen, dass die Typen von einst auch heute noch existieren: Ein Patrick Geering trägt das Herz am rechten Fleck, als Schwamendinger hat er die ZSC-DNA verinnerlicht. Er hat viel mit diesem Club erlebt, und die Erfahrungen lassen ihn als Leader heranreifen.
Oder ein Chris Baltisberger. Er ist ein Gutelaunetyp, der richtig aufblüht, wenn er etwas fürs Team tun kann: ein Geschenk zum Geburtstag eines Mitarbeiters, ein signiertes Trikot für einen Fan oder einen Streich zur Belustigung der Kollegen. Notfalls halt auf meine Kosten. Wie einmal, als er alle meine Schläger versteckte und mir stattdessen nur einen alten Holzstock hinstellte. Mir blieb nichts anderes übrig, als damit das ganze Training zu bestreiten. Notabene mit jenem Stock, den ich Baltisberger einst geschenkt hatte, als er noch ein Kind war.
* ZSC-Captain Mathias Seger schreibt diese Saison Kolumnen im «Tages-Anzeiger».