Display More«Wer diese Liga unterschätzt, macht einen Fehler»: Weshalb es an der Zeit ist, die schweizerische Arroganz gegenüber dem deutschen Eishockey abzulegen
Deutschland ist zu einer Art Eishockey-Angstgegner für die Schweiz geworden. Die inzwischen in der DEL engagierten und früher in der Schweiz aktiven Trainer Serge Aubin und Doug Shedden erzählen von den Vorzügen einer verkannten Liga.
Nicola Berger, Berlin 28.11.2023, 16.30 Uhr
Aus den Boxen dröhnt Johnny Rotten, «No Future», und es könnte nicht passender sein, dass die Sex Pistols, die künstlichste Punk-Band der Geschichte, hier gespielt werden: In Ost-Berlin, dieser eigentlich so subversiven Gegend, die rund um die Mercedes-Benz-Arena aber bis zur Unkenntlichkeit gentrifiziert worden ist.Und No Future, keine Zukunft, ist auch treffend, weil das die überhebliche Schweizer Haltung gegenüber dem deutschen Eishockey ziemlich genau trifft. Wer aus der DEL kommt, das ist das Vorurteil, kann nicht für die National League geeignet sein – egal, ob es sich um Spieler oder Trainer handelt. Die offenbar tief verwurzelte Arroganz hat etwas Eigenartiges. Schliesslich unterliegt das Nationalteam in Pflichtspielen den Deutschen in beständiger Kadenz, zuletzt zwei Mal im WM-Viertelfinal.
Es ist Sonntagnachmittag, die Partie zwischen den Eisbären Berlin und den Iserlohn Roosters ist auch der Vergleich zwischen zwei alten Bekannten: Serge Aubin, 2018 für ein halbes Jahr Coach der ZSC Lions, leitet die Eisbären an. Und Doug Shedden, einst in Zug und Lugano für seine träfen Sprüche legendär, verantwortet Iserlohn.
Die beiden stehen in einer langen Liste von einstigen National-League-Trainern, die in Deutschland gelandet sind: Harold Kreis, vor 15 Jahren mit dem ZSC Meister, firmiert als Nationalcoach. Johan Lundskog, vor Jahresfrist in Bern entlassen, wirkte bis Montag in Mannheim, ehe er auch dort verabschiedet wurde. Sein SCB-Nachfolger Toni Söderholm ist beim Meister München aufgeschlagen. Der bei Gottéron nicht glücklich gewordene Mark French coacht Ingolstadt und wurde 2022/23 als «Trainer des Jahres» ausgezeichnet. Es kommt selten vor, dass einer den umgekehrten Weg macht. Die einzigen NL-Trainer mit DEL-Vergangenheit sind Klotens Interimscoach Larry Mitchell und der Kanadier Geoff Ward in Lausanne.
In Zürich wurde Serge Aubin bei erster Gelegenheit geopfert, um Platz für Arno Del Curto zu schaffenDer Leader Eisbären unterliegt dem Tabellenletzten Iserlohn vor 13 000 Zuschauern 0:3, eine kleine Sensation, und an der Pressekonferenz müssen die beiden Trainer danach eigentümliche Fragen beantworten. Ob Aubin sich vor lauter Frust einen Whiskey gönnen werde, möchte ein Journalist wissen. Und als der befremdet den Kopf schüttelt, fragt ein anderer, ob nicht Shedden zur Feier des Tages eine Flasche öffnen werde. Worauf der als Rotweinconnaisseur bekannte Kanadier entgegnet, was das bitte schön solle, diese Frage, er trinke sowieso nie.
Erhellender sind die Antworten der beiden auf die Frage, wie es um die Qualität in der DEL bestellt ist. Shedden sagt: «Ich habe nie wirklich verstanden, weshalb die DEL in der Schweiz keinen guten Ruf hat. Wir haben oft in der Saisonvorbereitung gegen deutsche Teams gespielt. Und jedes Mal war es ein physischer Abnützungskampf. Jeder weiss, dass die Schweizer das nicht mögen, ihr Spiel beruht auf Schnelligkeit und Talent. Aber das alleine reicht eben nicht. Die DEL ist eine Top-Liga. Mit einer lebendigen Fanszene und ausgezeichneter Infrastruktur. Wer diese Meisterschaft unterschätzt, macht einen Fehler.»
Aubin sieht es ähnlich. Hinter dem als Spieler NHL-erprobten Frankokanadier, 48, liegen bewegte Jahre. Aubin wurde 2017 mit den Vienna Capitals österreichischer Meister und danach mit einem Zweijahresvertrag von den ZSC Lions abgeworben. Im Januar 2019 wurde er eilig entlassen. Nicht aufgrund seines Schaffens. Sondern weil der ZSC der Versuchung Arno Del Curto nicht widerstehen konnte.
Das Experiment scheiterte bekanntlich krachend: Der ZSC verpasste unter Del Curto die Play-offs; der sechsfache Meistercoach hat danach nie wieder einen Posten als Cheftrainer übernommen, und der ZSC wartet trotz üppigem Budget noch immer auf den zehnten Meistertitel der Klubgeschichte.
Aubin übersteht auch das Verpassen der Play-offs
Aubin dagegen ist in Berlin 2021 und 2022 Meister geworden. Und er hat im letzten Winter eine beispiellose Krise überstanden, ohne Schaden zu nehmen. Die Eisbären verpassten erstmals seit 22 Jahren die Play-offs, und doch blieb der Trainer im Amt. Der Sportchef Stéphane Richer sagt: «Wir haben immer an Serge geglaubt. Jetzt zahlt er das Vertrauen zurück und zeigt, dass er ein Top-Trainer ist.» Gerade ist Aubins Vertrag bis 2026 verlängert worden.
Kurz gerät Aubin ins Schwärmen. Was diese Stadt alles zu bieten habe. Wie er manchmal seine Joggingrunden unterbrechen müsse, weil er gerade wieder an einem historisch signifikanten Ort vorbeilaufe. Aubin ist in Berlin weich gelandet, er will sich nicht beklagen. Zum ZSC sagt er nur: «Ich hätte mir gewünscht, dass der Klub ein bisschen mehr Geduld hat.»
In Berlin ist das offenkundig anders. Aubin beschreibt die Eisbären als «vielleicht besten Job in Europa». Was keine Hybris ist. Und verschmerzen lässt, dass die Saläre für Trainer in der DEL 40 bis 50 Prozent unter dem Schweizer Lohnniveau liegen. Bei den Spielern ist es ähnlich – in der National League verdienen Top-Spieler bis zu 800 000 Franken pro Jahr. In der DEL variieren die Verdienste zwischen 60 000 und 250 000 Franken.
Das Anschutz-Imperium sorgt in Berlin für StabilitätDie Eisbären gehören zu den finanzstärksten Klubs Deutschlands, sie sind Teil der Anschutz Entertainment Group (AEG), die in der Schweiz einst Genf/Servette kontrollierte und zu der unter anderem die vom «Forbes»-Magazin mit 1,3 Milliarden Dollar kotierten Los Angeles Kings gehören. «Infrastrukturell haben wir hier NHL-Standard. Die Leute aus LA sind sehr involviert», sagt Aubin.
Seine guten Beziehungen nach Kalifornien kamen ihm zupass, als vor Jahresfrist alles schieflief: Aubin hatte einst schon die Hamburg Freezers trainiert, noch ein AEG-Team, bei welchem das Unternehmen 2016 allerdings quasi über Nacht den Stecker zog. Die Millionenmetropole Hamburg ist gegenwärtig nicht mehr in den obersten drei Ligen vertreten.
Und doch gedeiht die DEL prächtig. In Köln strömen im Schnitt mehr als 17 000 Menschen an die Spiele, und das deutsche Eishockey produziert derzeit in weit höherer Kadenz Talente, die beim NHL-Draft selektioniert werden, als die Schweiz. Aubin sagt, in dieser Hinsicht helfe die Vorgabe der Liga, dass alle Teams mindestens drei U-23-Spieler pro Partie einsetzen müssen.
«No Future», nölt Johnny Rotten. Der lag in seinem Leben schon ziemlich oft falsch. Was das deutsche Eishockey angeht, trifft die Zeile definitiv nicht zu.
Dann warten wir mal ab, ob Aubin den Schalter jetzt wieder in die andere Richtung drehen kann. Ich war am Freitag gegen die DEG sowie am Sonntag gegen Iserlohn im Stadion. Man waren die Eisbären schlecht. Hatte ich mir den Sieg der DEG am Freitag nur schön geredet oder schön getrunken mit Jagertee auf dem kleinen Weihnachtsmarkt an der Arena ? Auch wenn die DEG kompakt stand und ein überragender Haukeland im Tor, da fehlte jegliches Tempo der Eisbären, verletzte Spieler hin oder her. Seit der Pleitenserie der Eisbären, 6-9 gegen Wolfsburg, 1-4 gegen die DEG und 0-3 gegen Iserlohn in 3 Heimspielen, war ja kein Spielbetrieb. Also an der Kraft konnte es nicht liegen. Und schwups ist man nicht mehr erster sondern dritter. Mal schauen.