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Emotionen als Motor
Der FC Zürich ist sportlich abgestürzt. Heute Sonntag geht er als klarer Aussenseiter ins Derby. Die Kritik konzentriert sich auf Ancillo Canepa, den Präsidenten, der auch Sportchef sein will. Wie tickt der Mann, der den FCZ zusammen mit seiner Frau regiert? Von Christine Steffen
Ancillo Canepa legt die Pfeife auf den Tisch, die Stimme wird lauter. «Warum soll ich mich darum kümmern?», fragt er. Es geht um die Kritik nach dem Absturz des FCZ in den letzten Wochen, und darum kümmern könnte er sich, weil sie selten auf Trainer und Spieler zielte, sondern oft direkt auf ihn: den Präsidenten, der auch Sportchef ist. Canepa aber sagt, er habe das gar nicht gross wahrgenommen. Vieles komme von Leuten, die die Fakten nicht kannten.
Der FCZ hat schwere Monate hinter sich: Nach einer miserablen Rückrunde in der letzten Saison mit Urs Meier startete er im Sommer derart schlecht, dass der Trainer nach drei Runden entlassen wurde. Als Nachfolger wurde Sami Hyypiä präsentiert, mit dem die Zürcher ans Tabellenende abrutschten. Man muss nicht bösartig sein, um zu sehen, dass etwas schiefläuft. Canepa aber stützt sich auf das Grundprinzip, das er geschaffen hat: Er unterteilt die Welt in innen und aussen. Diejenigen aus dem inneren FCZ-Zirkel sind informiert, sie kritisieren konstruktiv, sie nimmt er ernst. Die von aussen hingegen - und das sind fast alle - sind ahnungslos und nicht befugt, Einschätzungen abzugeben. Tun sie es trotzdem, muss er sie nicht ernst nehmen.
Keine dreckige Wäsche
Hört man Canepa zu, hat man oft das Gefühl, der FCZ sei eine Institution, die nach ganz eigenen, undurchdringlichen Regeln funktioniert. Sorgt ein Entscheid für Erstaunen - der Zeitpunkt der Entlassung von Meier, die Verpflichtung von Hyypiä -, liegt das allein daran, dass man die Hintergründe nicht kennt. Erklärungen gibt es keine. Canepa sagt: «Ich könnte vieles in drei Sätzen richtigstellen und die Fakten offenlegen. Aber das mache ich nicht. Ich wasche keine dreckige Wäsche.» So ist er der Unverstandene; er nimmt es in Kauf.
Das war nicht immer so. Als es 2012 im FCZ-Verwaltungsrat zum Kräftemessen um die Ausrichtung des Vereins kam, war Canepa enttäuscht, dass seine Rolle in der Öffentlichkeit nicht angemessen gewürdigt wurde. Fragt man Canepa heute, ob er sich damals als Retter des Vereins gesehen habe, sagt er: «Es geht nicht um die Frage, wie ich das sehe. Aber Fakt ist, dass es ohne unsere Intervention den FCZ in der heutigen Form nicht mehr gäbe.» Bedroht sah er den FCZ von der Gruppe um den Vizepräsidenten Gregor Greber, die immer wieder eine andere Linie verfolgt hatte; nicht nur setzte sie gegen den Widerstand von Canepa die Entlassung von Urs Fischer durch, sie wollte die Kräfte auch auf die erste Mannschaft konzentrieren und opfern, was Canepa aufgebaut hatte: die Frauenabteilung etwa oder das Museum. Am Ende verliess die Gruppe den Verwaltungsrat.
Es war ein entscheidender Moment in der Amtszeit des 62-Jährigen, ein Wendepunkt. Er wechselte radikal das Konzept: Das Miteinander wurde von Alleinherrschaft abgelöst, die breite Abstützung zugunsten einer Machtkonzentration aufgegeben. Ancillo Canepa und seine Frau Heliane halten heute 90 Prozent der Aktien. Und Canepa bezog sich nach dem versuchten Umsturz auch bei der Arbeit immer stärker auf die Person, der er am meisten vertraut: seine Frau. Auch für Heliane Canepa war die Erfahrung wegweisend. Vor einem Jahr sagte sie in der NZZ: «Ende 2012 fand ein Bashing einzelner Medien gegen meinen Mann statt. Auch im näheren Umfeld wurde intrigiert. Das hat mich verletzt. Ich wusste ja, wie er Tag und Nacht für den FCZ gearbeitet hat. Wenn man meinen Mann verletzt, verletzt man auch mich.» Sie habe sich engagiert, um ihren Mann zu unterstützen - und sicher auch, weil ein beträchtlicher Teil ihres Vermögens in den Verein geflossen ist. Heute ist sie Delegierte des Verwaltungsrats und in weiteren Gremien vertreten, der FCZ hat sich zu einem Familienbetrieb verengt.
Das Geld des Ehepaars hält den Verein über Wasser. Um die 30 Millionen Franken soll es in den FCZ gesteckt haben, eine Zahl, die Canepa weder bestätigt noch dementiert. Fragt man ihn, ob er das Gefühl habe, sein Engagement werde zu wenig gewürdigt, sagt er, das beschäftige ihn nicht. Aber er erwähnt die vielen positiven Feedbacks, «in der täglichen Arbeit, in der Stadt, im Restaurant, beim Einkaufen». Es sind die freundlichen Gesten, auf die er die Aufmerksamkeit lenkt - manchmal so ausschliesslich, dass man das Gefühl hat, er lebe in einer Parallelwelt, die er sich mit seiner Frau zimmert. Die beiden sind ein starkes Paar, sie verlassen sich so unbedingt aufeinander, dass man sich fragen kann, wie offen sie sind für Impulsive von aussen, wie bereit, das System frischen Blicken auszusetzen. Die Canepas haben zwar viele Kontakte über den FCZ; privat leben sie zurückgezogen, die Karriere kam immer vor den Freunden. Frühere Angestellte des Vereins erzählen, sie seien nie bei den Canepas zu Hause in Rüschlikon gewesen, auch nicht nach vielen Jahren. Canepa sagt, sie hätten Freunde, «aber sicher nicht extensiv», privat suchten sie Ruhe.
Die Kritik in den letzten Wochen richtete sich auch direkt auf Canepa, weil es kaum jemand anderen gibt, der Verantwortung trägt. Die erstaunlichste Ausweitung der Kompetenzen betraf das Amt des Sportchefs. Vielleicht erklärt Canepas Biografie, warum er, der Mann für die Zahlen, glaubt, dass er eine Fussballmannschaft zusammenstellen kann. Canepas Geschichte ist die eines bemerkenswerten Aufstiegs: Er krampfte sich vom KV-Stift in der Textilmaschinenfabrik Rüti hoch bis in die Geschäftsleitung von Ernst & Young, dort verantwortete er den Untersuchungsbericht zum Niedergang der Swissair. Als junges Ehepaar hatten die Canepas wenig. Am 20. des Monats sei das Portemonnaie oft leer gewesen, hat Ancillo Canepa einmal erzählt, seine Mutter habe dann mit Pasta ausgeholfen.
Heute sind beide Millionäre, 2007 stand Heliane Canepa auf der Liste der reichsten Schweizer der «Bilanz». Sie wurde mehrmals als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet. Das Paar hatte erfahren, dass harte Arbeit zum Erfolg führt und dass gelingt, was es anpackt. Mit diesem Selbstverständnis führt es den FCZ - nur dass das Umfeld ein irrationaleres ist als die Wirtschaft und dass man die Kontrolle komplett abgeben muss an elf Männer auf dem Rasen. Es seien die schlimmsten 90 Minuten der Woche, sagt Canepa.
Als Canepa 2006 kam, war der FCZ gerade Meister geworden, es war eine Euphorie um den Klub, eine Energie, die auch Canepa mitriss. Er machte kein Hehl daraus, wo er hinwollte: in die Champions League, zu den Grossen. Sie sind im Winter 2015 weit weg. Und Canepa macht, was er nach der Ära Sven Hotz nie wollte: den Klub als Patron führen und finanzieren. Fragt man ihn, woher er heute die Motivation nehme, lässt er einen gar nicht ausreden. «Wenn man eine Führungsfunktion ausübt und Verantwortung hat, dann fragt man sich nicht laufend, wo hole ich Motivation! Das gehört zur Verantwortung, die man übernommen hat. Da wirft man nicht beim ersten Widerstand den Bettel hin. Das würde nicht zu meinem Charakter passen!», ruft er. Wenn er einen Job übernommen hat, dann setzt er sich zu hundert Prozent ein, «auch wenn es regnet, schneit und einem der Wind ins Gesicht bläst». Verantwortungsgefühl sei das, «auch als ich als Rekrut Teller waschen musste, wollte ich, dass sie am Ende sauber sind. Das ist mein Charakter.» Nicht nur Pflichtgefühl gehört zu seinem Charakter, sondern auch Begeisterungsfähigkeit.
Canepa kann sich ganz verschreiben, er tat es bei Yassine Chikhaoui, er tut es bei jedem neuen Trainer. Bei der Vorstellung von Hyypiä sagte er, er habe den Finnen zwei Wochen zuvor zum ersten Mal getroffen, habe aber das Gefühl, er kenne ihn schon viel länger. Umgehend stellte er Hyypiä, einem Mann mit begrenzter Erfahrung, eine Carte blanche aus. Nach den Entlassungen zeigt sich Canepa enttäuscht von den Trainern und nicht von seiner Entscheidung. Obwohl: Einmal habe er sich bei der Trainerwahl «täuschen lassen», gibt Canepa zu, es braucht nicht viel Phantasie, um zu erraten, dass er Rolf Fringer meint.
Mehr Luft
Canepa ist ein emotionaler Mensch, und so führt er den Klub, «hoffentlich auch!», ruft er. «Wenn du in deinem Beruf keine Emotionen zeigst, dann bleib besser zu Hause. Es braucht Emotionen. Wer das kritisiert, versteht nichts vom Leben!» Die Emotionen passen wunderbar in die Welt, in der er sich bewegt. Als der FCZ im September in Basel zu Gast war und ein Spielabbruch drohte, ging Canepa zur Beruhigung auf die Ränge. Ein Bild zeigt ihn beim Jubeln mit der Südkurve; ein Fan im Gewand des Funktionärs. Die Begeisterung macht ihn zugänglich, sie hat viel Gutes entstehen lassen: das Museum, die FCZ-Chronik.
Sie ist aber auch der Feind eines Plans. Für eine Strategie braucht es einen kühlen Kopf. Mehr Leute mit Sachverstand würden mehr Reibung bedeuten - aber auch mehr Anregung. Mehr Ansprechpersonen bringen mehr Luft für alle. Der FCZ würde sie brauchen.