- Offizieller Beitrag
Meine Eltern waren geschockt
Am 9. Juni wird über eine Verschärfung des Hooligan-Konkordates abgestimmt. Zwei FCZ-Anhängerinnen haben nach heutigem Konkordat ein Rayonverbot bekommen. Sie erzählen, wie es dazu gekommen ist.
Von Daniel Schneebeli
Zürich – Es geschah an einem Samstag im Dezember 2010. Der FC Zürich hatte in Luzern 1:1 gespielt, und der FCZ-Fanzug traf nach dem Match um 21.11 Uhr im Zürcher HB ein. Mit an Bord waren Lilly Forster und Amelie Heer (Namen geändert), zwei 17-jährige Mädchen aus dem Kanton Zürich, regelmässige Besucherinnen in der Südkurve, wie sie sagen.
Weil an diesem Abend im Fanlokal Studio-Wellness an der Aemtlerstrasse noch ein FCZ-Fest mit Trikotverkauf stattfand, formierten sich im HB rund 100 Fans zum Marsch zur Aemtlerstrasse, Lilly und Amelie schlossen sich dem Zug an. Kaum war die Gruppe losgezogen, vermummten sich einige Leute aus der Gruppe, zückten Spraydosen und begannen, Scheiben und Hauswände mit FCZ-Parolen zu «verzieren». Die beiden jungen Frauen, die nach eigenen Angaben den Weg zum Fanlokal allein nicht gefunden hätten, beteuern: «Wir haben uns korrekt verhalten.»
Tags darauf berichteten die Zeitungen über den «Saubannerzug», bei dem ein Schaden von rund 70 000 Franken entstanden war. Die Polizei habe dem Treiben mit einem kurzen Gummischroteinsatz ein Ende gesetzt und 30 Personen verhaftet, hiess es. Unter ihnen waren auch Lilly und Amelie, die «einfach nur mitgelaufen sind».
«Grobe Polizisten»
«Plötzlich hörten wir einen Knall», erinnert sich Amelie. Daraufhin seien alle durcheinandergerannt, «und wir hinterher». In einer Garageneinfahrt wurde die Gruppe eingekesselt. Nach etwa einer Stunde forderten die Polizisten «Minderjährige und Frauen» auf, vorzutreten. Lilly und Amelie waren damit doppelt angesprochen. Die Polizei durchsuchte sie und fesselte ihnen die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken. «Das war alles ziemlich grob», sagt Lilly. Dann wurden sie mit einem Einsatzwagen auf die Urania-Wache gebracht, wo sie fotografiert und dann getrennt in eine Zelle gesteckt wurden. Fragen wurden keine gestellt. Etwa um Mitternacht rief ein Polizist nach Hause an. «Meine Eltern waren geschockt», sagt Lilly.
Als die Frauen die Wache mit Amelies angereistem Vater verlassen konnten, hatten sie keine Ahnung, was jetzt weiter passieren würde. Niemand hatte sie nach eigenen Aussagen informiert oder sie über ihre Rechte aufgeklärt.
Neun Monate Rayonverbot . . .
Einen Monat lang geschah dann nichts, und Lilly und Amelie glaubten schon, die Sache sei gelaufen. Dann flatterte im Januar 2011 die «Vorladung als beschuldigte Person» ins Haus. Auf dem Posten wurden Fingerabdrücke und DNA-Proben genommen, und nach einer Befragung wurde den Frauen die Strafe mitgeteilt: Gestützt auf das Hooligan-Konkordat erhielten sie ein Rayonverbot von Januar bis September 2011. In dieser Zeit durften sie sich an Spieltagen in Zürich nicht beim Stadion Letzigrund aufhalten – und, was für die Frauen noch schlimmer war, auch nicht um den HB und nicht um den Bahnhof Stadelhofen. «Das war eine Riesenstrafe», sagt Lilly. Denn am Wochenende war damit der Ausgang in Zürich praktisch gestrichen.
Doch es kam noch schlimmer. Es folgte der Termin beim Jugendrichter. Nach einer kurzen Anhörung verurteilte er sie wegen Landfriedensbruch, «weil sie an einer öffentlichen Zusammenrottung teilgenommen hatten, bei der gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen wurden». Der Richter hielt den Mädchen zugute, dass sie selber keine Sachbeschädigung begangen hätten. Strafe: fünf Tage soziale Hilfsleistungen bedingt, dazu 140 Franken Verfahrenskosten. Lilly und Amelie mussten dafür mit ihrem Lehrlingslohn geradestehen, das hatten beide mit ihren Eltern vereinbart. Dazu mussten sie sich auch an den Anwaltskosten beteiligen, was am Ende bei beiden über 1000 Franken ausmachte.
. . .und zwei Jahre Stadionverbot
An Amelie ging der Stress nicht spurlos vorbei: «Ich bekam in der Schule plötzlich Mühe.» Und in der Lehre musste sie – wie Lilly auch – ständig lügen. Denn aus Angst vor dem Verlust der Stelle hatten die beiden ihre Verurteilung verschwiegen. Wenn sich der Lehrmeister nach dem FCZ-Match erkundigte, brauchten sie immer eine Ausrede, warum sie diesmal nicht dort gewesen waren.
Lilly und Amelie beteuern, dass sie sich ans Rayonverbot gehalten haben. Im Sommer 2011 freuten sie sich auf das Ende der Strafe. Sie kauften sich bereits eine neue FCZ-Saisonkarte. Doch dann kam der nächste Hammer: In einem Brief teilte der Schweizerische Fussballverband den Mädchen mit, dass sie auf Antrag des FC Zürich und der Zürcher Stadtpolizei zu einem dreijährigen Stadionverbot verurteilt worden seien. Später wurde das Verbot zwar auf zwei Jahre reduziert, was die Sache für die 18-jährigen Frauen nicht viel besser machte. Bis im März 2013 durften sie in der Schweiz kein Fussball- und kein Eishockeystadion mehr betreten. «Das war einfach extrem ungerecht, wir hatten ja überhaupt nichts getan», sagt Amelie.
Ihre 300-fränkigen Saisonkarten konnten sie nicht nutzen. Vom FCZ erhielten sie das Geld nicht zurück und hörten auch nichts mehr von ihrem Lieblingsclub – bis Februar 2012. Lilly und Amelie wurden zu einem runden Tisch aufgeboten. Der FCZ wollte den jungen Frauen, und auch den anderen Verurteilten vom «Saubannerzug» im Dezember 2010, eine «zweite Chance» geben. Versuchsweise durften sie wieder zu den FCZ-Heimspielen, mussten sich zur Kontrolle vor dem Match aber bei den FCZ-Offiziellen anmelden. Nach einer halbjährigen Probezeit wurde das Stadionverbot im Juli 2012 frühzeitig aufgehoben. Lilly und Amelie dürfen wieder zu den FCZ-Spielen. In der HooliganDatenbank sind sie aber noch mindestens bis Ende 2013 vermerkt.
Erfolgreich vor Gericht
Gegen das Urteil des Jugendrichters wegen Landfriedensbruchs haben beide Frauen beim Bezirksgericht rekurriert – erfolglos, wie 22 andere Betroffene auch. Lilly und Amelie gaben danach auf, weil sie nicht noch mehr Kosten auf sich nehmen wollten. Sieben Personen haben den Fall aber ans Verwaltungsgericht weitergezogen. Fünf von ihnen erhielten Recht, bei zwei wurde nicht auf die Beschwerde eingetreten, weil das Rayonverbot bereits abgelaufen war.
Lilly und Amelie stehen im Moment in den Abschlussprüfungen, vom Rayonund Stadionverbot haben sie an ihrer Lehrstelle bis heute nichts erzählt.
© Tages Anzeiger
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Mein Senf:
Ich frage mich, warum wir ein Konkordat brauchen, wenn schon heute solche Dinge wie oben geschehen.
Mit einem Rechtsstaat hat dies IMHO nichts mehr zu tun!
Nur wer sich durch alle Instanzen kämpft bekommt vielleicht so etwas wie "Recht"!
Leider ist dies kein Einzelfall (bei weitem nicht!), und es kann jedem passieren der mit dem FCZ (oder einem anderen Club) als Fan unterwegs ist!