- Offizieller Beitrag
Der FCZ ist ein Meister aus dem Nichts. Wie konnte das geschehen?
Vor einem Jahr war der FC Zürich im Abstiegsstrudel, jetzt feiert er den ersten Meistertitel seit 2009. Eine Reise durch dreizehn holprige Saisons, die mit einem wundersamen Ergebnis endet.
Christine Steffen, Stephan Ramming (NZZ)
Zürcher Fans vor dem Spiel vom Sonntag im Gästesektor des Basler St.-Jakob-Parks – in Erwartung der grossen Feier, die dann nach dem Schlusspfiff tatsächlich ausbricht.
Georgios Kefalas / Keystone
Als Ancillo Canepa im Februar 2009 von der NZZ gefragt wird, ob er ein glücklicher Präsident sei, sagt er: «Glücklich ist ein grosses Wort. Ich würde sagen, ich bin ein zufriedener Präsident.»
Dreizehn Jahre später sagt sein Trainer André Breitenreiter, ebenfalls in der NZZ: «Die Canepas sind derzeit die glücklichsten Menschen in Zürich.»
Bis Ancillo Canepa glücklich werden konnte, musste er ziemlich viel Unglück erdauern. Und noch am Anfang dieser Meistersaison deutete nichts darauf hin, dass ihn das Glück finden würde.
Hat der Trainer Breitenreiter den Stürmer Ceesay wachgeküsst und verzaubert?
Der Klub hat im Sommer 2021 ein weiteres Mal schwierige Monate hinter sich. Zum Abschluss der vergangenen Saison hat die Südkurve mit einem grossen Transparent höhnisch «dem Spitzenclub zum dritten Ligaerhalt in Folge» gratuliert, in Anspielung darauf, wie der Präsident seinen Klub gerne sieht. Der FCZ hat sich mühselig in den 8. Rang gerettet, für den Trainer Massimo Rizzo gibt es keine Zukunft.
Die Zukunft gehört Breitenreiter, der neu in den Verein kommt. Die trübe Vergangenheit ist für ihn deshalb bedeutsam, weil sie nach innen und aussen als Kontrastmittel dient. So nutzt der 48-jährige Deutsche von Anfang an geschickt die Enttäuschungen der letzten Jahre für seine Arbeit. Mit Berufung auf die schwachen Resultate dämpft er Ansprüche. «Wir wissen, wo wir herkommen, wir bleiben schön demütig», wird zur Wendung, die Breitenreiter auch dann benutzt, als der Titel näher rückt.
Bessermacher: der FCZ-Trainer André Breitenreiter.
Ennio Leanza / Keystone
Breitenreiter hilft es zudem, dass er die Saison unter dem Motto «Umbruch» in Angriff nimmt. Der Sportchef Marinko Jurendic verweist immer wieder auf die grosse Zahl von Personaländerungen im Kader und im Staff, er schützt damit den Trainer vor grossen Erwartungen. Es spielt keine Rolle, dass der «Umbruch» bei den Stammspielern gar nicht so gross ist.
Toni Domgjoni, Benjamin Kololli oder Marco Schönbächler sind gegangen. Mit Adrian Guerrero und Nikola Boranijasevic sind zwei neue Spieler für die Aussenbahnen gekommen, Mirlind Kryeziu hat ein halbes Jahr als Leihspieler in Kriens hinter sich. Alle anderen Spieler der Startformation sind schon länger im FCZ. Einer von ihnen ist Assan Ceesay. Er durchläuft eine wundersame Verwandlung.
Drei Jahre lang, mit nur gerade 6 Meisterschaftstoren, hatte sich der Stürmer den Ruf als Fehlinvestition und Chancentod erarbeitet. 2020 hatte man ihn noch ernüchtert in die 2. Bundesliga nach Osnabrück ausgeliehen. Nach 10 Spielen unter Breitenreiter waren Ceesay 8 Treffer und 4 Assists gelungen. Hat Breitenreiter den 28-jährigen Gambier wachgeküsst und verzaubert?
Vielleicht. Vor allem aber hat ihm der Trainer zwei, drei einfache Handlungsprinzipien auf den Weg gegeben: wenig dribbeln, nicht rückwärts spielen und mit Tempo die vertikalen Räume suchen – fertig ist der FCZ-Topskorer. Ceesay ist das augenfälligste Beispiel für einen Spieler, den Breitenreiter mit gutem Auge und feinem Gespür besser und glücklicher gemacht hat. Was für Ceesay gilt, gilt auch für die meisten anderen. Sie wissen, was sie zu tun haben auf dem Platz. Und was sie tun, ist erfolgreich und sieht oft gut aus.
So kommt es, dass Blerim Dzemaili Ende November nach dem 1:0-Sieg gegen die Young Boys im TV-Interview sagen kann: «YB ist individuell die bessere Mannschaft, trotzdem haben wir gewonnen und gesehen, was als Mannschaft möglich ist.»
Teamgeist, positive Dynamik, die Summe ergibt mehr als die Einzelteile zusammen – Dzemaili kennt die einfachen Dinge, die am Ende zum Erfolg führen. Noch im Sommer hatte Dzemaili übers Aufhören nachgedacht. Nun spürt er, dass mit dieser Mannschaft und mit diesem Trainer der persönliche Traum greifbar wird: Mit 36 Jahren nochmals mit dem FCZ Meister werden, wie schon mit 20 und 21.
Denn auch nach der Winterpause hört der FCZ einfach nicht auf zu gewinnen und schreibt weiter an der Geschichte, die niemand geahnt und niemand geplant hat. Dreizehn Jahre mit langwierigen Tiefs, unterbrochen von berauschenden Zwischenhochs im Cup, enden mit dem 13. Meistertitel. Es ist der 3. Meistertitel in der Ära von Ancillo Canepa.
Die Erinnerung an ein Mittagessen mit Uli Hoeness
Die Geschichte des FCZ kann nicht erzählt werden, ohne dass das Präsidentenpaar die tragende Rolle spielt. Es führt den Klub als Familienunternehmen, die enge Verbindung prägt ihn. Im Guten, weil die Canepas eine hohe Verbindlichkeit und ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl haben. Im Schlechten, weil persönlich wird, was professionell sein müsste, und die Emotionalität des Präsidenten langfristige Aufbauarbeit und eine breit abgestützte Struktur zumindest nicht fördert.
Was in den kargen Jahren nach dem Titel von 2009 mit dem FCZ passiert ist, hat viel mit Canepas Anfangszeit im Klub zu tun. Er übernahm 2006 einen euphorisierten Meister, der Trainer Lucien Favre hatte mit dem Sportchef Fredy Bickel und einer aussergewöhnlich talentierten Spielergeneration die Stadt zum Tanzen gebracht. Favre, der genial-besessene Romand, gewann 2007 noch einmal den Titel, bevor er sich zur Hertha nach Berlin verabschiedete. Der vorläufig letzte Meistertrainer war 2009 sein Nachfolger Bernard Challandes.
Canepas Selbstverständnis dessen, was der FCZ ist – ein Spitzenklub –, gründet in jener Zeit. Nie gab es die Idee einer alternativen Identität, obwohl der FCZ vor dem 13. Mai 2006 ein Vierteljahrhundert lang ein Loser-Image zelebriert hatte. Doch Canepa jagt dem Gefühl der Jahre mit Favre nach, den Mittagessen mit Uli Hoeness vom FC Bayern und Emilio Butragueño von Real Madrid, den Champions-League-Abenden, dem begeisternden Fussball jener Zeit.
Der jüngste Titel erinnert an diese Favre-Jahre. Personalentscheide erweisen sich als richtig, es entsteht eine Konstellation, die plötzlich passt: Der kluge Sportchef Jurendic trifft auf den Bessermacher Breitenreiter. Ohne den Erfolg schmälern zu wollen: Er hat etwas Zufälliges, wie es bei glücklichen Fügungen immer ist. Genau darum passt dieser Meistertitel so gut zum FCZ.
Seit Jahren erinnert der Klub mit dem instabilen Gefühlshaushalt an einen Teenager. Die Cup-Siege 2014, 2016 und 2018 kontrastieren mit einem verstörenden Abstieg 2016; berauschende Europa-Cup-Partien wie im Oktober 2018 gegen Leverkusen hellen aus dem Nichts lange, lethargische Phasen auf. Die Mannschaft erscheint launisch, obwohl die Besetzung wechselt, die Trainer wirken irgendwann verbrannt und ratlos.
Oft sollen die neuen Coachs die Defizite des Vorgängers wettmachen: Auf den unerfahrenen Urs Fischer folgte 2012 der etablierte Rolf Fringer; als 2015 der No-Name Urs Meier aus dem eigenen Nachwuchs gehen musste, kam Sami Hyypiä, der als Spieler die Champions League gewonnen hatte, aber als Trainer keinen Leistungsausweis hatte. Ganz ähnlich ist das Schema 2021: Der stille Massimo Rizzo, das Klubfaktotum, wird entlassen, dafür bringt der eloquente Breitenreiter Bundesliga-Glanz.
Alle Coachs, die aus dem Nachwuchs kamen, litten unter derselben Last: Sie mussten den Canepas dankbar sein für die Chance, sich zu profilieren. Das schwächte ihre Position. Umgekehrt hielt der Präsident in trotziger Treue oft auch dann noch an ihnen fest, als die Stagnation offensichtlich war. Den Vertrag mit Ludovic Magnin etwa verlängerte Canepa ohne Not im Januar 2020 um zwei Jahre – neun Monate später wurde Magnin entlassen, weil zwischen Trainer und Spielern «gewisse Abnutzungserscheinungen» entstanden seien.
Breitenreiter betont stets, dass es nicht nur der Klub gewesen sei, der ihn ausgewählt habe, sondern dass umgekehrt er sich auch für den Klub entschieden habe. Er schuldet Canepa nichts, es ist die Voraussetzung dafür, dass er dem Chef auf Augenhöhe begegnen kann.
Es ist wohl nicht zuletzt seinem Einfluss und demjenigen des umsichtigen Sportchefs Jurendic zu verdanken, dass Canepa in dieser Saison der Demutslosung folgte und selbst keine Ziele ausrief, als der FCZ in der Winterpause Leader war. Der Umgang des Trainers mit dem Präsidenten zeigt Breitenreiters Qualität auch im Feinstofflichen: Über seinen Anteil am Erfolg spricht er nicht, er stellt immer die Mannschaft in den Vordergrund – und lässt so auch dem Präsidenten Raum.
Wenn kein Geld mehr da ist, hilft Mutter Canepa mit Pasta aus
«Ich kenne niemanden, der mit so viel Herzblut und Leidenschaft Präsident ist», sagte der ehemalige Sportchef Fredy Bickel vor drei Jahren über Canepa in der «NZZ am Sonntag». Er hat recht. Die Canepas verstehen, dass ein Fussballverein mehr ist als die Männer-Profimannschaft. Unter der Führung des Paars wurde der Frauenfussball gross, das Trainingszentrum entstand, es gibt ein Museum, Klubchroniken, einen Film zum 125-Jahr-Jubiläum. Die Erinnerungskultur, die für die Identität und Lebendigkeit eines Vereins essenziell ist, wird gepflegt.
Schwierig wurde es in den letzten Jahren immer dann, wenn Ancillo Canepa aus der Verantwortung, die er trägt, ableitete, dass er für alles zuständig sei – und eigentlich auch alles könne.
Dass sich der FCZ nach 2012 zum Privatprojekt der Canepas verengte, liegt auch am Machtkampf, der im Herbst 2012 im Verwaltungsrat tobt und in dem es um die Ausrichtung des Vereins geht. Der Putsch der Verwaltungsräte scheitert, Canepas Plan, den Verein finanziell breiter abzustützen, ebenso. Ancillo Canepa hat den FCZ gerettet – mit diesem Selbstverständnis führt der Präsident fortan.
Seine Frau Heliane kommt auch offiziell ins Boot, das Paar übernimmt 90 Prozent des Aktienkapitals und unterhält den FCZ mit privaten Millionen. Wie viele es sind, wissen nur sie. «Mehr als 10, weniger als 100», sagte Ancillo Canepa 2020 gegenüber dem «Schweizer Monat».
Präsidentenpaar mit Hund: Die Canepas spazieren im Mai 2017 auf der Allmend.
Goran Basic / NZZ
Dass Canepa glaubt, einen Fussballklub sportlich führen zu können, hat auch mit seiner Biografie zu tun. Der KV-Stift der Textilmaschinenfabrik Rüti machte eine bemerkenswerte Selfmade-Karriere: Er krampfte sich hoch bis in die Geschäftsleitung von Ernst & Young, dort verantwortete er den Untersuchungsbericht zum Niedergang der Swissair. Auf dem Weg nach oben half Mutter Canepa mit Pasta aus, wenn beim jungen Ehepaar am 20. des Monats das Portemonnaie leer war.
Heliane Canepa wird später als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet, 2007 erscheint sie in der «Bilanz» auf der Liste der Reichsten der Schweiz. Harte Arbeit führt zum Erfolg, und was man anpackt, gelingt – diese Erfahrung prägt die Canepas. Doch im Fussball sind sie in einem Business tätig, das nervös ist und irrational.
Das Vakuum, das Canepa um sich geschaffen hat, mündet am 25. Mai 2016 im Tiefpunkt seiner Amtszeit: Der FCZ steigt nach einer konfusen Saison unter dem überforderten Trainer Hyypiä ab. Es ist eine tiefe Krise, und sie ist selbstverschuldet: Der Verein hat statt einer tragfähigen Struktur einen Präsidenten, der sich zunehmend isoliert hat, einen einsamen Chef, der in seiner Loge sitzt, während die Fans im Stadion toben vor Enttäuschung.
Opfergabe nach dem Abstieg 2016: der Cup-Pokal vor der Südkurve.
Ennio Leanza / Keystone
Das Präsidentenpaar übernimmt sofort Verantwortung, das ist die andere Seite der engen Verflechtung mit dem Klub. Es stabilisiert den Verein. Weder wird das Budget reduziert noch die Geschäftsstelle verkleinert. Dabei helfen die rund drei Millionen Franken, die der FCZ als Cup-Sieger in der Europa League einnimmt. Das Ziel ist klar: sofortiger Wiederaufstieg. Er gelingt nach einer Reise durch die Challenge League, die sich wie eine Verschnaufpause anfühlt.
Die Canepas ziehen Konsequenzen aus dem Abstieg: Thomas Bickel wird als sportlicher Leiter eingesetzt (ehe er 2020 durch Jurendic ersetzt wird). Doch besser wird vorerst nichts. Der Klub nutzt sich in der Endlosschlaufe von Erwartung und Enttäuschung ab. Der FCZ ist, was er nie sein wollte: ein mittelmässiger Super-League-Klub, weit weg vom schönen Spiel, das Canepa so liebt.
Bis zu dieser Saison, bis zu diesem Titel, bis zu dieser Party.
Was wird nun geschehen mit dieser Meistermannschaft, was vor allem mit dem Trainer, der sie so viel besser gemacht hat? Er sei kein «Wappenküsser», hat André Breitenreiter gesagt und damit gemeint, dass er wenig gibt auf Treueschwüre und Vereinsromantik. Er ist Pragmatiker, er kennt das Geschäft und weiss, dass seine Arbeit auch in Deutschland aufmerksam verfolgt wird.
Breitenreiter und seine Spieler waren am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Diese Zeit ist vorbei. Und niemand ahnt, was die neue Zeit bringt – ausser dass sie anders sein wird als die vergangene.