- Offizieller Beitrag
Die Suche nach der Stecknadel
Von Down bis Latendresse – wie gut ist die Ausländerpolitik von ZSC-Sportchef Edgar Salis? Eine Einschätzung von Simon Graf
Die Ausländersuche ist die wohl spannendste wie heikelste Aufgabe eines Sportchefs im Eishockey. Manch einer lässt sich von wohlklingenden Namen und schönen Statistiken blenden, und weil inzwischen auch die russische KHL viele gute Spieler absorbiert, ist es zusehends schwieriger geworden, Trouvaillen zu finden. Edgar Salis hat, seit er im Januar 2009 als ZSC-Sportchef antrat, 16 Ausländer verpflichtet, davon 13 Nordamerikaner. Der TA beurteilt und benotet sie anhand von fünf Kriterien: offensive Produktivität, Defensivspiel, Verhalten in Schlüsselsituationen, Rolle in der Mannschaft, Erfolg des Teams:
Blaine Down, der Lückenbüsser Das Etikett, ein B-Ausländer zu sein, wurde der flinke Stürmer nie los. Er war zwar gut für Genieblitze, doch ihm fehlten Spielvolumen und Konstanz. So wurde er bald zum Lückenbüsser. Bei Straubing zählt er seit 2012/13 zu den besten DEL-Skorern. 74 Spiele , 27 Tore/28 Assists, 48 Strafm. Note 4–5 Salis: «Er hatte sich eine Chance verdient mit seinen Leistungen in der Champions League und der Nationalliga B.»
Cory Murphy, der Offensive Trotz 48 Punkten in 78 Spielen blieb der Offensivverteidiger einiges schuldig, prägte er das Spiel zu wenig. In seiner zweiten Saison, unter Bob Hartley, durfte er keine grosse Rolle mehr spielen. Ausser in Zürich hat er fast überall reüssiert, aktuell bei Växjö. 78 Spiele, 13 Tore/35 Assists, 34 Strafm. Note 4 Salis: «Er kam mit grossen Vorschusslorbeeren, fand bei uns aber sein Spiel nie richtig.»
Duvie Westcott, der Fehlerhafte Der Kanadier sollte physisch Akzente setzen. Doch er fiel vor allem mit seinen Fehlern auf (–16-Bilanz) und bei MullerNachfolger Gustafsson bald in Ungnade. Auch Kloten wurde mit ihm nicht glücklich, in Hamburg schätzt man ihn nun. 47 Spiele, 4 Tore/18 Assists, 50 Strafm. Note 3 Salis: «Ich war überrascht, dass er sich auf Schweizer Eis so schwertat.»
Owen Nolan, der Altstar Schon vor dem Lockout hatte der ZSC in ihm einen NHL-Star. Nicht mehr der Schnellste, machte dies der 38-Jährige mit seiner Gradlinigkeit wett. In 29 Spielen skorte er 30 Punkte, doch mit seinen Allüren eckte er an. Danach trat er zurück. 29 Spiele, 9 Tore/21 Assists, 55 Strafm. Note 4–5 Salis: «Punktemässig war er gut, aber ich hatte mir von ihm mehr Leaderqualitäten erhofft.»
Jeff Tambellini, der Meisterflügel Eines der wichtigsten Teile im Meisterpuzzle 2012, schnell, torgefährlich und im Playoff sehr mannschaftsdienlich. Was man nicht ahnen konnte: wie sensibel er ist. Als er unter HartleyNachfolger Crawford weniger gehegt und gepflegt wurde, lief er davon. 92 Spiele, 32 Tore/37 Assists, 32 Strafm. Note 5–6 Salis: «Mich freute sehr, wie er im Playoff vom Skorer zum Teamplayer wurde.»
Steve McCarthy, der Meisterschütze Sein Wert ist an Skorerpunkten nicht zu messen. Und doch prägte er den Club mit seinem Meistertor nachhaltig. Mit ihm setzte unter Bob Hartley der Aufschwung ein. Unkompliziert und ein ausgeprägter Teamplayer, aber zuletzt vom Verletzungspech geplagt. 55 Spiele, 5 Tore/14 Assists, 26 Strafm. Note 5 Salis: «Er ist kein Blender, hat aber einen sehr guten Einfluss auf das Team.»
Michael Nylander, der Puckverliebte Der ZSC ermöglichte dem 39-Jährigen, nach Rückenproblemen wieder Fuss zu fassen. Nach zwei Monaten zog er weiter nach Kloten. Der ehemalige Weltstar brillierte zeitweise, doch mit seiner Puckverliebtheit verzögerte er das Spiel zu sehr. 15 Spiele, 5 Tore/5 Assists, 8 Strafmin. Note 4 Salis: «Er half uns kurzfristig, aber sein Stil passte nicht zur Philosophie von Bob Hartley.»
Juraj Kolnik, der Rekonvaleszente Nach traumatischen Erfahrungen in Moskau kam er Anfang 2012, um sich fürs Playoff fit zu trimmen. Der NLATopskorer 2008/09 war zwar nur noch ein Schatten seiner besten Tage, doch zum Playoff-Start in Davos schoss er ein wichtiges Tor – sein einziges. 15 Spiele, 1 Tor/4 Assists, 4 Strafmin. Note 3–4 Salis: «Wir hatten gehofft, dass sein lädiertes Knie ganz verheilen würde. Leider war die Zeit dafür zu knapp.»
Gilbert Brulé, der Frustrierte Zürich sollte für ihn ein Neuanfang sein, doch nach 14 Spielen bat er um die Vertragsauflösung. Er kämpfte auf dem Eis und daneben mit Depressionen. Das Risiko, das man einging, zahlte sich nicht aus. Nun versucht er sich in der AHL. 14 Spiele, 0 Tore/6 Assists, 4 Stafmin. Note 2–3 Salis: «Wir hätten mehr Geduld gehabt mit ihm als er mit sich selber.»
Ryan Shannon, der Fleissige Der Amerikaner tut sich in seiner zweiten Saison schwer in der Offensive, ist aber mit seinen Zweiweg-Qualitäten und seiner vorbildlichen Einstellung ein Schlüsselspieler. Erst 30, dürfte er noch einige gute Jahre vor sich haben. 67 Spiele, 16 Tore/34 Assists, 36 Strafm. Note 5 Salis: «Er bringt das, was ich erwartet hatte: Er ist ein guter Läufer und harter Arbeiter mit einem guten Auge.»
Matt Lashoff, der Musikalische Sehr beliebt im Team und ein guter Musiker, aber auf dem Eis keine Bereicherung. Er wirkte in der eigenen Zone oft überfordert und konnte offensiv keine Akzente setzen. Weil er in Übersee keinen Job fand, spielt er nun in Leksand. 61 Spiele, 1 Tor/10 Assists, 57 Strafmin. Note 3 Salis: «Er tat sich lange schwer mit dem hohen Tempo in unserer Liga.»
Dustin Brown, der NHL-Captain Das Engagement des Playoff-Topskorers der NHL war ein Coup, doch der harte Checker war nicht der ideale LockoutSpieler. Er konnte seine Intensität auf den grossen Eisfeldern nie recht entfalten und brauchte Zeit, um den Rhythmus zu finden. Als Persönlichkeit war er aber ein Gewinn. 16 Spiele, 8 Tore/5 Assists, 26 Strafmin. Note 4–5 Salis: «Ich hätte ihn sehr gerne im Playoff für uns spielen sehen.»
Mikko Lehtonen, der Playoff-Gast Ähnlich wie Kolnik kam er angeschlagen (Schulter) und sollte er im Playoff zur Hochform auflaufen. Immerhin schoss er da vier Tore und half, Davos zu bezwingen. Auch beim SCB hat der Finne die hohen Erwartungen noch nicht erfüllt. 17 Spiele, 5 Tore/6 Assists, 2 Strafmin. Note 4–5 Salis: «Zu jenem Zeitpunkt war Lehtonen die beste Option für uns.»
Marc-André Bergeron, der Spezialist Geholt, um das Powerplay anzukurbeln, und gefürchtet für seinen harten Schuss, blieb er bislang einiges schuldig. Doch seine Tendenz wies zuletzt nach oben. Gut möglich, dass er das Schweizer Eishockey unterschätzt hatte. 13 Spiele, 1 Tor/8 Assists, 6 Strafmin. Note 4–5 Salis: «Er brauchte Zeit, um sich ans grössere Eis zu gewöhnen. Aber er ist auf einem guten Weg.»
Ryan Keller, der Arbeiter Spektakulär ist er nicht und auch nicht der Schnellste, aber einer, der Abend für Abend hart fürs Team arbeitet. Zuletzt bewies er vermehrt die Abschlussqualitäten, die man sich von ihm verspricht. Seine Vita zeigt, dass er ein PlayoffSpieler ist. 13 Spiele, 5 Tore/2 Assists, 6 Strafmin. Note 4–5 Salis: «Er kann und wird für uns noch viele Tore schiessen.»
Guillaume Latendresse, der Hüne Der sanfte Riese versteht es meisterlich, den Puck an der Bande abzudecken und sich vor dem Tor zu behaupten. Doch zuerst muss er einmal dorthin kommen. Bisher hatte er Mühe mit dem Tempo und der Orientierung auf grossem Eis. 6 Spiele, 1 Tor/1 Assist, 16 Strafmin. Note 3–4 Salis: «Es ist zu früh, um ihn zu beurteilen. Aber ich mache mir um ihn nicht gross Sorgen.»
Mit fünf Legionären schnitt fast ein Drittel ungenügend ab, nur drei erreichten ein Gut oder Sehr gut (Tambellini, McCarthy, Shannon). Die Zwischenbilanz fällt zwiespältig aus, obschon die aktuellen Ausländer natürlich die Chance auf eine Verbesserung haben. «Gewisse Entscheidungen waren sicher nicht die glücklichsten», räumt Salis ein. «Das Problem ist, dass bei einem Ausländer noch mehr schwer abzuschätzende Faktoren reinspielen als bei einem Schweizer: Wie geht er mit der fremden Kultur um? Wie funktioniert er im Team? Wie sieht sein Familienleben aus?»
Entscheidend sei auch, wann man einen Spieler verpflichte. «Shannon hatten wir schon lange im Blickfeld. Aber wenn man im Oktober reagieren muss, muss man nehmen, was der Markt hergibt.» Seine nordamerikanische Ausrichtung erklärt Salis mit der Nationalität seiner Trainer. «Aber wenn ein Schwede besser ist als ein Kanadier, nehmen wir den Schweden. Die Nationalität ist für uns nicht entscheidend.»
Auffällig ist auch, dass die Mehrheit der Ausländer, die er verpflichtete, eine Verletzungsgeschichte hat. Salis begründet dies mit der Entwicklung dieses Sports: «Wenn man alle Teams durchgeht, findet man nur wenige Spieler, die noch nie richtig verletzt waren. Hockey ist eben ein Kontaktsport, der mit sehr hohem Tempo ausgeführt wird.»
Der Bündner betont, dass es die Philosophie der ZSC-Organisation sei, die Mannschaft um die Schweizer aufzubauen, nicht um die Ausländer. Diese sollen das Team möglichst gut ergänzen. Dabei achte er nicht primär auf Skorerpunkte. Die Essenz sei für ihn: «Wann ist ein Ausländer gut? Für mich ist er das, wenn er die Mannschaft besser macht, auf welche Weise auch immer.» Das Paradebeispiel ist für ihn Gates Orlando, der Bern und Lugano mit seinem Kämpferherz zum Titel führte. «Für mich ist er von den Feldspielern der beste Ausländer, der je in der Schweiz war. Der individuell beste war, von den Lockout-Spielern abgesehen, Slawa Bykow. Aber Fribourg gewann mit ihm nie den Titel. Das Ganze muss eben stimmen.»
Die letzte Saison war, was die Ausländer betraf, mit den überstürzten Abgängen von Brulé und Tambellini eine turbulente für den ZSC. Man darf gespannt sein, wohin die Reise mit den aktuellen Ausländern geht – und welche Geschichten sie noch schreiben.
© Tages Anzeiger