- Offizieller Beitrag
Grosser Schritt an der Junioren-WM
Sie sind jung und geduldig – und haben damit Erfolg
Das U-20-Team von Marco Bayer gefällt an der WM in Kanada mit nüchternem Eishockey. Damit qualifizierte es sich für die Viertelfinals vom Montag.
Kristian Kapp (TA)
Publiziert: 31.12.2022, 19:56
Der Turm in der Abwehr: Lian Bichsel (links) behauptet den Puck gegen den Slowaken Robert Baco.
Foto: Ron Ward (Keystone)
Die U-20-Weltmeisterschaft hat sportlich einen guten Ruf. Es ist keine Übertreibung, wenn vom spektakulärsten Eishockey überhaupt die Rede ist. Junge Spieler, die genau das tun wollen: Spielen. Und dies auf bereits beeindruckendem Niveau und mit viel Tempo, da viele NHL-Draftees mittun. Es kommt nicht selten vor, dass taktische Fesseln abgelegt werden und sich Partien entwickeln, die den Fans kaum Zeit zum Durchschnaufen lassen.
Die Schweiz überzeugt dieses Jahr quasi mit dem Gegenteil: Nüchternes Eishockey. Wenn festgehalten werden kann, dass die Mannschaft von Trainer Marco Bayer gegen Finnland (3:2-Sieg nach Verlängerung) und zumindest ein Drittel lang gegen die USA (1:5) für ereignislose Spiele mit wenigen Chancen und Schüssen sorgt, dann ist dies ein Kompliment. Es war in den letzten Jahren eher die Norm, dass die grossen Nationen gegen die Schweiz zu sehr vielen Torschüssen kamen.
Dieses Unspektakuläre, es ist aus der Not geboren. Im Aufgebot sind nur gerade zwei Verteidiger zu finden, die bereits Stammspieler in einer höchsten Landesliga sind. Das ist normalerweise kein gutes Zeichen vor einem Turnier. Dass Bayer auf ein defensives Teamspiel setzt, ist darum verständlich. Wie gut die Mannschaft dies umsetzt und dabei dennoch nicht passiv oder destruktiv wird, ist die bislang erstaunlichste Erkenntnis.
Und so qualifizierte sich die Schweiz nach nur zwei Spielen für die Viertelfinals. Die Niederlage danach gegen die USA spielte keine Rolle. Gegen die Nordamerikaner zeigte es sich phasenweise aber, was passiert, wenn die Schweizer nachlässig werden: Dann können die Top-Gegner brillieren – und skoren. Die Reaktion gelang: Mit dem 4:3 gegen die Slowaken nach Penaltyschiessen (nach 1:3-Rückstand) beendeten die Schweizer am Samstag die Gruppenphase gar mit einem weiteren Sieg.
Lian Bichsel als Ausnahmespieler
Bayer sagt: «Nur mit unserem Defensivverhalten und unserer Kompaktheit haben wir eine Chance.» Und: «Unsere Philosophie lautet ‹Team über allem›. Diese leben wir und setzten sie bislang erfolgreich um.» Weil es im aktuellen Jahrgang im Offensivbereich an Top-Talent auf Weltklasse-Level mangelt, hat Bayer die Mannschaft entsprechend zusammengestellt: «Wir wollen das am härtesten arbeitende Team sein. Auch dazu braucht es die richtigen Spieler, die das umsetzen können.»
Wer nur schon die Highlights von Spielen der Top-Nationen und die Skills gerade in der Offensive und im Abschluss sieht, stellt schnell einen grossen Unterschied zu den Schweizern fest. Dies zeigte sich vor allem im wichtigen zweiten Spiel gegen Lettland und einen sehr defensiv eingestellten Gegner. In solchen Partien würden herausragende Individualisten hilfreich sein, um mit Geniestreichen ein Abwehrbollwerk zu knacken.
Erfolgreicher Zweikampf: Der Schweizer Captain Attilio Biasca lässt den Amerikaner Lane Hutson stehen.
Foto: Ron Ward (Keystone, The Canadian Press)
Die Schweiz siegte gegen den Gruppenletzten darum «bloss» mit 3:2 nach Penaltyschiessen und auch glücklich, weil sie den Ausgleich sehr spät erzielte – aber gleichzeitig auch verdient, weil sie Geduld bewies und sich ein Chancenplus herausspielte.
Es passt zu diesem Team, dass mit Lian Bichsel einer auf unspektakuläre Weise herausragt. Bichsel ist einer, der in einer höchsten Männerliga spielt, in Schweden bei Leksand. Der 18-Jährige, grosse (1,96 m) und schwere (98 kg) Verteidiger ist der bislang letzte Schweizer Erstrunden-Draft in der NHL. Kein Blender, aber ein sehr solider, nüchtern und hart spielender Abräumer, der auch die Ruhe und Klasse hat, den Puck aus der Gefahrenzone zu tragen: Bichsel ist Bayers wichtigster Einzelspieler im ansonsten betont homogenen Kollektiv.
Speziell dabei: Zuletzt rumorte es zwischen Bichsel und dem Schweizer Eishockeyverband: Für die letzte Junioren-WM, die wegen Corona in den Sommer 2022 verschoben wurde, war Bichsel nicht aufgeboten worden. Er wollte nach einem für ihn stressigen Sommer mit dem NHL-Draft direkt ans Turnier anreisen und die Vorbereitung mit der Mannschaft auslassen. Erst kürzlich haben sich Bayer und Bichsel ausgesprochen.