- Offizieller Beitrag
Mein Senf: Gc steigt ab! Grausam was dort abgeht!
Verloren in der Einöde
Kein Geld, kein Erfolg und umgekehrt – die einst stolzen Grasshoppers sind sportlich und finanziell abgewirtschaftet
VON THOMAS SCHIFFERLE
ZÜRICH Als GC im März letzten Jahres innerhalb von zwölf Tagen vier Spiele verlor, war der damalige Präsident Roger Berbig sichtlich getroffen. «Tiefer dürfen wir nicht mehr fallen», sagte er. Die Mannschaft hielt in der Rangliste den 4. Platz.
Elf Monate später wurde Berbig vom Zentralvorstand, alleiniger Aktionär an der Neuen Grasshopper Fussball AG, in die Flucht geschlagen und durch CEO Urs Linsi ersetzt. Was Berbig einst verhindern wollte, ist unter Linsi eingetreten. Die Grasshoppers sind tiefer gefallen, viel tiefer. Heute Sonntag treten sie in Sitten als Tabellenletzter an.
Wenigstens haben sie sich schon daran gewöhnen können. Seit genau zwei Monaten und sieben Runden liegen sie da, wo sie als Vertreter eines Klubs seiner Grösse und Geschichte nie sein dürften. «Die Arbeit macht Freude», sagt Ciriaco Sforza unverdrossen, «das sieht man doch im Training.»
An diesem Freitagmorgen lässt er in der winterlichen Einöde des Campus auf verkleinertem Feld das schnelle Spiel üben. Er lobt, wenn etwas gelingt, er kritisiert ohne Ausfälligkeit, wenn etwas schlecht ist («einfach einmal schneller studieren, Jungs!»), er nimmt den kleinen Endogan Adili in den Arm, als der aus der Nase blutet. Sforza gibt den Lehrer, der schon seit Wochen sagt, die Situation bereite ihm keine Angst.
«Wer da nicht besorgt ist, ist im falschen Film»
Im ersten Stock des Campus-Gebäudes erinnern Bilder an die alten Zeiten, die nicht nur gut, aber oft eben besser waren. Es sind die Erinnerungen an zahllose Grössen, die den Klub zum Rekordmeister und -cupsieger gemacht haben. Im Büro von Georges Perego ist nichts von emotionalem Frost zu spüren. «Sehe ich aus, als wäre ich unruhig?» fragt der Geschäftsführer Sport.
Seine Haltung steht für das Bemühen im Verein, an die Wende zum Guten zu glauben. Unaufgeregt versucht Perego, den Absturz zu erklären: Wie viele Verletzungen zu negativen Ergebnissen führten, negative Ergebnisse wiederum zu mentalen Zweifeln, und dann, sagt Perego, «braucht es nicht mehr viel». Er steht zur Philosophie, auf Junge zu setzen («Wer A sagt, muss auch B sagen»), erzählt von der gründlichen Analyse, weshalb auch jetzt noch acht Spieler ausfallen («Wir können nicht sagen, dass wir Fehler gemacht hätten»), und will doch eines nicht unterschlagen: «Die Situation ist nicht lustig. Der letzte Platz gibt allen zu denken. Wer da nicht besorgt ist, ist im falschen Film.»
Wer mag bei diesem GC noch investieren?
Auf dem Campus arbeiten sie daran, Lösungen zu finden. Sie glauben daran, sich im Frühjahr zwischen dem «4. und 6. Platz» (Sforza) einreihen zu können. Das mag ja im Optimalfall so sein: wenn all die Smiljanic, Cabanas und Callà wieder fit sind, wenn eben die Routiniers nach monatelangen Absenzen zurück sind, die der überforderten Jugend-forscht-Abteilung den Weg weisen können; wenn vielleicht Rennella die Tore schiesst, die Emeghara trotz bester Chancen nicht gelingen wollen. Aber es heisst schon bei den Lottozahlen: ohne Garantie. Dafür wird auch heute in Sitten Emeghara stürmen, «ich habe doch nicht mehr», sagt Sforza und deponiert den Wunsch bei der Führung nach entsprechender Verstärkung in der Winterpause. Er glaubt, ein Recht darauf zu haben: «Ich bin dem Klub bisher genug entgegengekommen.»
Billigtransfers, meist auf Leihbasis, hat er nur tätigen können, seit er im Sommer 2009 zu GC kam. Wenige haben bleibenden Eindruck hinterlassen. Ein paar sind schon wieder weg, Strasser, Afonso und Basha, ein paar lassen an ihrer Tauglichkeit für die Super League zweifeln, wie Lang, Emeghara, Lenjani, Graf. Das spricht nicht gerade für Sforzas Auge. Perego eilt zu Hilfe und bittet um Bewährungszeit für die jungen Neuen. Er redet vom langfristigen Denken. Nur weiss auch er: «Die Probleme haben wir kurzfristig.»
Dabei ist das Sportliche nur das eine Problem. Es ist nichts als die Konsequenz des anderen: des fehlenden Geldes. Diese Geschichte ist alt und endlos. Über 140 Millionen Franken verlor der Verein allein von 1998 bis Sommer 2010.
5 Millionen fehlen ihm Saison für Saison, um die Ausgaben von 16 Millionen zu decken. Diesmal schloss er das Loch dank der Verkäufe von Seferovic, Ben Khalifa und Zarate. In den drei Jahren zuvor hatte Verwaltungsrat Heinz Spross dafür gesorgt, 15 Millionen dürfte er bislang verloren haben. Ende dieser Saison soll endgültig Schluss sein mit seiner Grosszügigkeit. Er will danach nur noch über den Gönnerklub Blue Label rund 2 Millionen Franken beschaffen.
GC redet pausenlos von Investoren, die gesucht würden. Konzepte werden entwickelt und sind bestenfalls für den Abfallkorb von Präsident Urs Linsi. Wer mag schon an eine Marke glauben, die sportlich und wirtschaftlich derart abgewirtschaftet ist, die einen Campus als Klumpfuss hat, der jährlich gegen 3 Millionen verschlingt, die diesen Herbst schon wieder 1 Million Minus gemacht hat, die wohl noch bis zum SanktNimmerleins-Tag auf ein neues Stadion wartet, die keine markanten Köpfe in der Führung hat – wer mag da also noch investieren?
Wie eine Schallplatte mit einem Sprung
Linsis Aufgabe wäre es, Lösungen zu finden. Das Gerücht hält sich, dass er seinen 250 000-FrankenJob aufgibt, wenn er bis zum Februar und dem Abgabetermin der neuen Lizenzunterlagen so erfolgreich ist wie bislang: nämlich gar nicht. Eine Gruppe aus Gönnern will sich in den nächsten Tagen beraten. Ihr Ziel ist es, einen Fünfjahresplan zu entwerfen. Es tönt wie eine Schallplatte mit Sprung.
Die U-18 ist punktloser Letzter, die U-16 auch, die U-15 ist Zweitletzter. Die Zukunft ist auch im Nachwuchs unerfreulich. Und Perego sagt mit Blick auf die Profis: «Es ist jetzt absurd, darüber zu reden, wo wir die Saison beenden. Wir müssen einfach einmal vom letzten Platz wegkommen. Wenn wir nur schon Neunter sind . . .»
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«Auf der Führungsebene herrscht die kumulierte Inkompetenz»
Zwischen scharfer Kritik und Besorgnis um die Zukunft: Exponenten mit GC-Vergangenheit oder GC-Verbundenheit äussern sich zur Krise
«Sforza im Regen»
Andy Egli, langjähriger GC-Spieler
«Ich habe GC in den letzten Wochen ein paar Mal beobachtet und muss schonungslos feststellen: Ich bin zeitweise erschrocken über den gebotenen Fussball. In der momentanen Zusammensetzung fehlt dem Team die Substanz, um bessere Spiele zu zeigen und bessere Resultate zu erreichen. Es ist lobenswert, dass GC den Weg mit jungen Spielern geht. Aber mit Jugend allein ist im Spitzenfussball nichts zu gewinnen.
Sicher, es gibt bei GC auch ältere, routiniertere Spieler, einen Smiljanic, einen Cabanas, einen Salatic. Sie alle haben ihre Geschichte: Smiljanic war schon in seiner Zeit in Basel öfter verletzt, und auch die Knieprobleme von Cabanas sind nicht neu. Mich wundert es nicht, dass sie mit zunehmendem Alter immer verletzungsanfälliger werden. Eine lange Karriere fordert immer ihren Tribut und verbraucht den Körper. Smiljanic ist 34-jährig, Cabanas bald 32. Salatic ist erst 25, aber auf gutem Weg zu einer Leaderfigur. Aber er verlässt den Verein zum Saisonende ja.
Wenn ich Trainer von GC wäre, dann hätte ich Mühe, den rigorosen Sparkurs mitzutragen. Ich finde, Ciri Sforza wird im Regen stehen gelassen, ja, man kann sogar sagen, dass er verheizt wird – genau wie die vielen jungen Spieler. Diese sind dem Druck nicht gewachsen, sie haben mentale Probleme, sie tragen das GC-Leibchen als schwere Bürde mit auf das Feld. Nur so kann ich es mir erklären, weshalb ein junger Spieler wie Emeghara in der Partie gegen Sion den Ball mutterseelenallein vor dem Tor danebensetzt. Seine Knie haben gezittert, deshalb hat er nicht getroffen. Die meisten Jungen bei GC sind psychisch noch nicht in der Verfassung, um auf dem Niveau der Super League zu bestehen.
Mich beschleicht je länger, je mehr das Gefühl, dass auf der Führungsebene die kumulierte Inkompetenz herrscht. Die Niederlagen werden in der Chefetage schöngeredet, vor allem vom Präsidenten, es wird von besseren Zeiten, die bald kommen werden, fabuliert. Und der Trainer lehnt sich nicht dagegen auf, er haut nie auf den Tisch. Das ist zwar loyal, aber schwer nachvollziehbar.
Ich kann nicht begreifen, dass im einflussreichen und gewiss wohlhabenden Umfeld von GC niemand bereit ist, Kapital einzuschiessen. Wenn es nicht gelingt, Investoren zu finden, dann sehe ich schwarz. So wie es jetzt aussieht, spart sich der Verein ins Verderben. Es ist ein schlechtes Signal, dass man sich Salatic nicht mehr leisten kann, es war schon ein schlechtes Zeichen, dass man den Torhüter Yann Sommer nicht halten konnte. GC war vor dieser Saison offenbar nicht bereit, sich an den Lohnkosten für den vom FC Basel ausgeliehenen Goalie zu beteiligen. Und jetzt sitzt er in Basel auf der Bank. Wie schade für GC, wie schade für das Ausnahmetalent Sommer! Der Abstieg ist sehr gut möglich. Die untersten Äste des Baumes brennen schon lichterloh. Für den Klub wäre es ein Desaster. Und mich persönlich würde ein Abstieg schmerzen. Ich spielte elf Jahre für GC und wurde mit dem Verein viermal Meister und viermal Cupsieger. Ich wohne nun zwar schon seit 16 Jahren in Bern, aber ich werde nie YB-Fan werden. Mein Herz schlägt für immer für GC!»
«Keine Schadenfreude»
Fredy Bickel, FCZ-Sportchef
«GC zahlt die Quittung für die seit langem fehlende Kontinuität in der Führung. Der letzte Meistertitel von 2003 wurde mit dem Geld der Investoren Gut und Gerber erkauft, danach blieben die grossen Erfolge aus. Viele Leute, darunter einige gut betuchte, haben sich in den letzten Jahren vom Klub abgewendet. Nun fehlt das Geld, und GC ist gezwungen, zu sparen. Die Strategie, auf Gedeih und Verderb auf junge Spieler zu setzen, tönt zwar gut – wenn die Erfolge aber ausbleiben, kommt schnell Kritik auf.
GC muss erkennen, dass es nur mit jungen Spielern nicht geht. Es hat das Pech, dass gleich mehrere Routiniers verletzt sind. Und mit Salatic verlässt nun im Sommer noch ein Schlüsselspieler den Verein. Ich finde, GC hätte ihn unbedingt halten müssen. Es wäre ein positives Zeichen gewesen: Seht her, wir glauben an uns! Seht her, wir leben noch!
Zwei Siege in 16 Spielen der Super League können nicht der Anspruch des Rekordmeisters sein. Nun muss GC aufpassen, dass sich die Negativspirale nicht weiter dreht. Wenn das Kader vollständig ist, dann ist diese Mannschaft sicher kein Abstiegskandidat. Aber das Kader ist eben nie vollständig. Und deshalb ist die Situation nicht ungefährlich. Genau wie die immer wiederholte Aussage der Führung: «Es kommt schon gut mit GC!» Wichtig ist, dass sich die entscheidenden Leute in einem Verein nicht ständig selber etwas vormachen.
Ich habe eine Vergangenheit bei GC. Ich verspüre wegen der Misserfolge absolut keine Schadenfreude. Für den FCZ ist es am besten, wenn wir in der Tabelle auf Platz 1 sind, und GC knapp dahinter auf Platz 2. Dann nämlich lebt der Fussball in Zürich.»
«Provinzteam»
Frank Baumann, Werber
«Als Jugendlicher war ich Fan von GC, ich identifizierte mich jahrelang mit dem Verein, auch als Mitglied. Aber heute? Anhänger und treue Seele ist nur noch mein Sohn. Früher hätte es geschmerzt zu sehen, wenn GC in eine solche Lage geraten wäre. Heute stelle ich bei mir eine Gleichgültigkeit fest. Vor einem Jahr war ich das letzte Mal im Stadion und langweilte mich nur. Ich habe den Überblick verloren: Spieler kommen und gehen, nur in Sachen Frisuren gibt es Ähnlichkeiten. Die Typen fehlen, Charakteren wie früher ein Odermatt oder Grob. GC möchte eine Mannschaft mit internationaler Ausstrahlung haben, versprüht aber den Charme eines Provinzteams. Mir kommt es jedenfalls so vor.
Jetzt stellt sich die Frage, was man anstellen muss, um die Marke aufzumöbeln. Wenn sich eine Schoggi nicht mehr verkauft, bringt es nichts, die Verpackung zu ändern, der Inhalt muss anders werden, anstelle von Pflaumen braucht es knackige Nüsse. Vielleicht würden Kampagnen helfen, zum Beispiel sagen die Spieler: ‹Verlieren wir das nächste Spiel, lassen wir uns alle Vollbärte wachsen.› Oder: ‹Wir singen auf dem Paradeplatz, wenn wir die nächste Niederlage einstecken.› Die Spieler müssen sich in den Hintern klemmen! Das sind spontane Einfälle und zugegeben nicht ganz ausgereift. Aber Dinge in diese Richtung würden doch das Interesse einer breiteren Zuschauermasse wecken. Und muss für die Spieler Ansporn sein, eben nicht zu verlieren. Es muss Leben in den Laden zurückkehren.
Meines Erachtens sollte man auch über die Fusion mit dem FCZ nachdenken, so schwer das fallen mag. Aber es würde Sinn machen. Schauen wir nach Basel: Der FCB demonstriert uns, was mit nur einer starken Mannschaft in einer Stadt möglich ist.»
«Keine Wirkung»
Hansruedi Hasler, Berater bei GC
«Am 14. April legte ich dem Verwaltungsrat ein Paket mit 35 Vorschlägen vor, um den Handlungsbedarf bei GC aufzuzeigen. Aus meiner Zeit beim Verband war ich gewohnt, dass Ideen mit Hand und Fuss möglichst rasch umgesetzt werden. Bei GC merkte ich eines schnell: Es darf nichts kosten. Den U-21-Trainer haben wir zwar gewechselt, gut. Aber viele andere Projekte wie etwa das Scouting oder Partnerschaften konnten nicht optimiert werden. So kommen wir nicht wie gewünscht vorwärts. Es ist unbefriedigend, wenn keine Wirkung spür- und sichtbar ist.
In meinen ersten elf Monaten bei GC haben wir nicht das erreichen können, was ich mir vorgestellt habe. Aber das hat nichts mit den Verantwortlichen zu tun, sondern einzig und allein damit, dass sich nichts bewegen lässt, weil das Geld fehlt. Bis zum Februar muss eine Lösung in Aussicht sein. Sonst mache ich mir ernsthafte Sorgen um GC. Und dann muss vermutlich sogar die 1. Liga in Betracht gezogen werden. Die Finanzprobleme müssen schnell und langfristig gelöst werden, wenn man nicht dauernd von der Hand in den Mund leben will. Dass auf die Jungen gesetzt wird, ist grundsätzlich richtig. Ich arbeite auch sehr gern mit Talenten. Ciriaco Sforza stellt sie auch immer sehr gut auf die Spiele ein. Aber so wie jetzt ist das Team eindeutig zu jung. Es braucht auch ein Gerippe mit Routiniers. Diesbezüglich hatten wir Pech mit den vielen Verletzten. Cabanas, Smiljanic und Callà werden schmerzlich vermisst. Nur weiss ich nicht, ob sie in der Rückrunde wieder da sein werden. Und das beunruhigt mich schon ein wenig.»
PETER M. BIRRER,PETER BÜHLER