- Offizieller Beitrag
Ein Spalier von Mittelfingern
Die Finalserie der ZSC Lions gegen Lugano hat ihre alte Rivalität wieder angeheizt. Heute Samstag kehren die Zürcher erstmals zurück ins Tessin – es ist vielleicht gerade das, was sie brauchen.
Simon Graf
Auf der Fahrt nach Lugano dürften heute bei einigen ZSC-Cracks wohlige Erinnerungen aufkommen an jenen Freitag Ende April, als in der Resega der Titel ausgespielt wurde. «Als wir von der Autobahn kamen, empfingen uns die Lugano-Fans schon mit ausgestreckten Mittelfingern», sagt Chris Baltisberger. «Und vor der Halle tobten sie. Nicht nur Jugendliche, auch Familienväter und Opas. Wir waren richtige Hassobjekte.» Der Sturm draussen kontrastierte zur Ruhe im Car. «Alle waren in sich gekehrt, wollten sich nicht ablenken lassen. Es herrschte schon eine gewisse Anspannung.»
Die ZSC Lions hatten zwei Meisterpucks verspielt, alle Vorteile schienen bei Lugano zu liegen. «Nach Spiel 6 unterhielten wir uns in der Garderobe», erinnert sich Dave Sutter. «Wir sagten uns, es sei doch eine wunderbare Sache, ein siebtes Spiel um den Titel spielen zu dürfen. Das erlebt man nicht oft. Diese Denkweise gab uns viel Energie.»
In diesem Moment habe sich die mentale Stärke des Teams gezeigt, sagt Kevin Klein. «Wir hatten einige schwierige Spiele in dieser Serie, aber an jenem Abend waren wir grundsolide. Natürlich angefangen bei Lukas Flüeler.» Der Goalie feierte einen weiteren Shutout in einem siebten Spiel, Captain Patrick Geering steuerte das wegweisende Führungstor zum 2:0-Sieg bei.
Ohropax beim Einlaufen
Die Dynamik habe sich nach dem 3:3 in der Serie nochmals total verändert, glaubt Chris Baltisberger. «Wir führten in diesem Final 2:0, die Luganesi waren bald einmal mit dem Rücken zur Wand. Diese Rolle lag ihnen besser als die der Favoriten.» Der Flügel erinnert sich auch daran, wie laut es in der Resega war an jenem Abend: «Ich musste beim Einlaufen Ohropax in die Ohren stecken, weil ich empfindliche Ohren habe.» Dass Lugano die emotionalsten Fans der Liga hat, darüber besteht für ihn kein Zweifel. Nicht, dass ihn das stören würde: «Diese Atmosphäre stachelt einen an, gibt einem Energie. Man weiss, man muss kämpfen wie verrückt.»
Klein wollte eigentlich mit dem Eishockey aufhören, nach dem Meistertitel liess er sich dazu überreden, noch eine Saison anzuhängen. Hätte er auch weitergespielt, wenn der ZSC jenes siebte Spiel verloren hätte? «Wahrscheinlich schon», sagt der 33-Jährige. «Meine Entscheidung hatte nichts damit zu tun, dass wir gewonnen hatten. Es ging darum, das Beste zu tun für die Familie. Ich blieb nach dem Titel ja noch einen Monat hier, weil die Kids noch in der Schule waren, und genoss die Zeit mit Familie und Freunden. Meinen Söhnen gefällt es hier, sie lernen Deutsch. Der Ältere kann schon gut Konversation machen.»
Dave Sutter unterschrieb einen Dreijahres-Vertrag beim ZSC, weil er einmal Schweizer Meister werden wollte. Nun schaffte er es gleich in der ersten Saison. «Die Qualifikation war schwierig, aber im Playoff zeigten wir, dass wir ein wahres Team sind, in dem jeder für jeden kämpft», sagt er. So zu spielen, sei nun auch das Ziel in der Regular Season. Es ist noch nicht wunschgemäss gelungen.
Es liegt etwas in der Luft
In der Resega ist heute Pettersson erneut überzählig und Marti nach seiner Sperre zurück. «Lugano kommt für uns gerade recht», glaubt Chris Baltisberger. «Man spürt, dass zwischen uns etwas in der Luft liegt. In den Jahren zuvor war schon noch eine gewisse Rivalität zu spüren gewesen, aber nicht mehr so wie früher. Durch diese Finalserie ist sie wieder so richtig geweckt.»
Er freue sich auf die Kabine in Lugano, wo die ersten Festivitäten stattfanden und er mit der Trompete den Sechseläutenmarsch spielte. Inzwischen zählt auch «Happy Birthday» zu seinem Repertoire, und er übt ein neues Lied für die Garderobe. Was es ist, will er noch nicht verraten. Der Sechseläutenmarsch wird inzwischen auch beim Intro im Hallenstadion gespielt, und Baltisberger erhielt eine Anfrage, ob er für eine Elektroversion Trompete spiele. «Ich muss es mir noch überlegen», sagt er und schmunzelt. «Um bereit zu sein fürs Tonstudio, muss ich schon noch ein paar Stunden üben.»
Noch prägender als die Ankunft in Lugano war für den 27-Jährigen die Rückfahrt: «Das Schöne daran, auswärts Meister zu werden, ist der intime Moment, den man auf der Rückfahrt als Team hat. Der ganze Druck, die ganze Last fallen von dir ab. Du weisst, die Saison ist vorbei und du hast es geschafft. Das ist etwas vom Schönsten, was man erleben kann als Mannschaft.» (Tages-Anzeiger)