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Immer aufwärts auf der Karriereleiter
Der schwedische Trainer Rikard Grönborg sorgt dafür, dass die ZSC Lions ihren Ansprüchen wieder gerecht werden. Seine Geschichte erzählt von Entbehrungen, Dosenravioli – und einem steilen Aufstieg. Von Nicola Berger
Das Aufregendste, was sich je in Great Falls, Montana, zugetragen hat, ist eine angebliche Ufo-Sichtung aus dem Jahr 1950, wie das Internet weiss. Great Falls hätte sich als Kulisse für David Lynchs Opus Magnum «Twin Peaks» geeignet, aber das Kleinstadtidyll, Ausserirdische und die Natur waren nicht das, was Rikard Grönborg anzog, damals 1998. Der Schwede war gerade 30 geworden und hatte in den USA die Universität abgeschlossen. Er war bereit, zum ersten Mal richtig Geld zu verdienen, eine sechsstellige Summe, irgendwo in der Privatwirtschaft. Doch dann kam der Anruf von den Great Falls Americans, einem Team der American Frontier Hockey League. Grönborg packte seine Sachen, stieg ins Auto und fuhr 15 Stunden durch die Prärie. Denn er war nicht nur bereit für das grosse Geld, sondern auch: für ein Abenteuer.
Die Americans boten ihm 16000 Dollar pro Jahr, ein lächerliches Salär, man kann davon in den USA eigentlich nicht leben. Grönborg nahm den Job trotzdem an, er war ungebunden und dem Reiz des Eishockeys schon vor vielen Jahren erlegen. Heute lächelt er und sagt: «Ich war gerade am College gewesen, ich wusste, wie man sich ohne Geld durchschlägt. Ich weiss ein oder zwei Dinge über Dosenravioli.» Man sollte nicht den Fehler machen, Grönborg für einen Idealisten zu halten, auch wenn er mit seinem grauen Vollbart etwas Subversives ausstrahlt. Er war einfach ein Mann, der Eishockeytrainer sein wollte – und bereit war, dafür Umwege in Kauf zu nehmen.
Es ist ein Mittwoch im November, Grönborg hat in Zürich Oerlikon gerade das Vormittagstraining der ZSC Lions beendet. Er hat es weit gebracht seit den Anfängen in Great Falls. 2006 kehrte er nach Schweden zurück und widerlegte dort auf imposante Art und Weise das «Peter-Prinzip». Das ist einer der Klassiker der nordamerikanischen Managementliteratur und besagt, dass ein Mitarbeiter so lange befördert wird, bis er auf dieser Position überfordert ist und seine Unfähigkeit das ganze Unternehmen belastet. Grönborg aber stieg so lange auf, bis die Karriereleiter nicht mehr weiter führte. Er war im schwedischen Verband: Scout, Assistent, Juniorencoach – und wurde dann Nationaltrainer. 2017 und 2018 gewann er WM-Gold.
Siege gegen die Skepsis
Nun ist er in Zürich gelandet, wo ihm bei der Vorstellung auch Skepsis entgegenschlug. Grönborg ist 51 Jahre alt, aber er hat auf Profistufe noch nie ein Klubteam betreut. Ähnliche Vorbehalte waren in Schweden geäussert worden, als Grönborg das A-Nationalteam übernahm. Einer, der sich daran erinnert, ist Olof Östblom, der Nationalmannschaftsmanager Schwedens. Er sagt: «Es hiess, ihm fehle die Erfahrung. Aber die Kritik ist schnell verstummt, denn Rikard hat einfach Spiele gewonnen.»
Im ZSC ist das ähnlich – das Team ist in seiner Konstanz und Stabilität im Vergleich zur Vorsaison mit dem Fall in die Klassierungsrunde kaum wiederzuerkennen.
Ein paar Monate ist Grönborg erst Trainer, das ist wenig Zeit, um ein Kollektiv auf Kurs zu bringen. Michel Zeiter etwa, als Spieler einmal eine Ikone im ZSC, hat sich bei seinem Amtsantritt im EHC Winterthur «drei bis fünf Jahre» ausbedungen, bis seine Vision umgesetzt und das Play-off möglich sei. Grönborg kann über solche Zeithorizonte nur milde lächeln. In seiner Zeit als Nationalcoach blieben ihm vor Turnieren nur wenige Tage zur Vorbereitung. Carl Klingberg hat sie mitgemacht, 2017, als der Stürmer des EV Zug mit Grönborg Weltmeister wurde. Er sagt: «Grönborg verliert keine Zeit, er ist sehr direkt. Er hat sehr klare Vorstellungen, was er von welchem Spieler erwartet, und kommuniziert das deutlich. Man weiss genau, woran man bei ihm ist.» Die klare, direkte Sprache, die natürliche Autorität: Es sind nicht die klassischen Merkmale der schwedischen Trainingslehre.
Doch Grönborg wurde in den USA sozialisiert, in einem Land, in dem man ohne Entschlossenheit und Durchsetzungskraft nicht auskommt. Fast zwei Jahrzehnte hat Grönborg dort gelebt, er besitzt den US-Pass, schloss dort einen Bachelor in Journalismus und einen Master in Management ab, seine Frau ist Amerikanerin. Steckt im Trainer Grönborg mehr USA als Schweden? Der Manager Östblom sagt: «Nein. Seine grosse Stärke ist, dass er das Beste aus den beiden Kulturen auf sich vereint.»
Im ZSC scheint seine Art anzukommen, der Verteidiger Severin Blindenbacher sagt: «Er gibt eine klare Linie vor und fordert viel. Die Intensität bei uns ist sehr hoch. Ich merke das selber: Wenn man es im Training ein paar Tage etwas ruhiger angehen lässt, fällt man im Vergleich zu den anderen Spielern sofort ab.»
Die NHL-Ambitionen
Die Frage ist, wie lange Grönborg dem ZSC erhalten bleiben wird. Das Klubmanagement versucht ja seit Jahren, auf dem Trainerposten etwas Kontinuität zu schaffen. Doch in diesem Jahrhundert blieb einzig der Kanadier Marc Crawford länger als zwei Jahre, von 2012 bis 2016. Zwei Winter, das ist auch der Zeitrahmen, für den Grönborg sich versprochen hat. Aus seinen NHL-Ambitionen hat er nie ein Hehl gemacht, auch wenn er heute sagt: «Ich fühle mich wahnsinnig wohl in Zürich, ich will so lange bleiben, wie der Klub mich will. Über die NHL sage ich nur, dass es viele europäische Trainer gibt, die das Format hätten, in der Liga zu coachen.»
Bevor er eine Übereinkunft mit dem ZSC fand, verhandelte Grönborg auch mit den Buffalo Sabres – und mit dem HC Davos. Er sagt, er habe Respekt gehabt vor der Aufgabe; als er Erkundungen über die ZSC-Organisation einholte, habe ihm jemand gesagt, es handle sich um «den schwierigsten Job in Europa». Die Einschätzung muss von jemandem abgegeben worden sein, der noch nie etwas vom HC Lugano gehört hat, aber es zeigt, welchen Ruf der ZSC inzwischen hat, weil es in den letzten Jahren kaum jemand geschafft hat, die sehr hohen Ansprüche von Klub und Umfeld zu befriedigen. Grönborg sagt: «Den ZSC und mich verbindet, dass wir sehr hohe Erwartungen haben.»
Im Fall Grönborgs war das schon bei den Junioren der Great Falls Americans so. Zu den Spielern, die der Coach damals betreute, gehört Patrick Dwyer, ein Stürmer, der es später in die NHL und für die USA an eine WM schaffte. Er sagt: «Grönborg hatte grossen Anteil an meiner Karriere. Er hatte für alles einen Plan und wusste genau, wie er uns weiterbringen konnte. Er ist ein erstklassiger Lehrer.» Dwyer ist inzwischen Assistenztrainer der Charlotte Checkers in der Farmteamliga AHL, er sagt, Grönborg sei eine Inspiration dafür, wie er selber als Coach arbeite.
Auch Grönborg zehrt von den Erfahrungen aus Montana. Er sagt: «Ich habe dort wahnsinnig viel gelernt, ich war dort nicht nur Trainer, sondern bereitete auch die Ausrüstung vor und schrieb die Medieninformationen. Es half mir, ganzheitlich zu denken.» In Zürich ist es anders, im ZSC gibt es für fast alles Spezialisten. Grönborg sagt, seine Aufgabe sei eher die eines Managers: Informationen abwägen und dann Entscheidungen treffen. Er liegt damit oft richtig – so wie damals, als er in Great Falls unterschrieb und Dosenravioli essen musste. Die Entbehrung hat sich gelohnt: Er ist zu einem der bestbezahlten Trainer ausserhalb Nordamerikas aufgestiegen. Und es wirkt nicht so, als sei sein Aufstieg abgeschlossen.
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