«Als träfen die New York Rangers auf Huttwil»: Die Sportchefs der ZSC Lions und des EHC Biel im Streitgespräch vor dem Play-off-Duell
«Als träfen die New York Rangers auf Huttwil»: Die Sportchefs der ZSC Lions und des EHC Biel im Streitgespräch vor dem Play-off-Duell
Sven Leuenberger und Martin Steinegger waren im SC Bern acht Jahre lang Teamkollegen. Heute leiten sie mit den ZSC Lions und dem EHC Biel zwei Titelkandidaten, die sich ab Donnerstag im Play-off-Halbfinal gegenüberstehen werden.
Lange galt: Der EHC Biel darf gewinnen, der ZSC muss. Ist das heute anders? Immerhin hat Biel als Zweiter der Qualifikation Heimrecht.
Martin Steinegger: Überhaupt nicht. Zürich ist haushoher Favorit. Es ist ein bisschen so, als träfen die New York Rangers auf Huttwil.
Sven Leuenberger: Jetzt hat Stoney die Seite 10 im Verkaufshandbuch aufgeschlagen: «Wie stelle ich mich als Underdog dar?» Ich sehe zwei Teams auf Augenhöhe. Und durchsetzen wird sich, wer auf den Punkt die beste Leistung abrufen kann. Aus dieser Qualität sind Champions geschnitzt.
Aber die eine Mannschaft kostet eindeutig mehr, jene des ZSC.
Leuenberger: Das ist die einzige Platte, die ihr Journalisten auflegen könnt: Der ZSC hat Geld und alle anderen nicht. Ich bin sicher, dass wir nicht das höchste Budget der Liga haben. Wie viele Trainer stehen in Lausanne momentan auf der Lohnliste? Jedenfalls: Es wird zu wenig gewürdigt, was wir sonst alles machen. Wie viel wir in den Nachwuchs investieren, in unser Frauenteam und in den Breitensport.
Steinegger: Lausanne ist sicher sehr teuer mit dem ganzen Ballyhoo dort. Aber wenn ich die Mannschaft von Sven anschaue, dann ist der ZSC nicht weit davon weg. Das ist kein Geheimnis.
Der ZSC ist das einzige Team, das sich gegen einen Salary-Cap und die Veröffentlichung der Ausgaben für die Spielerlöhne stellt. Was ist das Problem mit der Transparenz?
Leuenberger: Das braucht es nicht. Wir sind für Wirtschaftlichkeit. Und Sie legen Ihren Lohn ja auch nicht offen. Wieso sollten wir das tun? Man muss auch sehen, dass Geld nicht alles ist. Du kannst x Millionen mehr ausgeben als die Konkurrenz, das garantiert keinen Erfolg. Man sieht das überall auf der Welt. Leidenschaft kann man nicht kaufen.
Steinegger: Ich bin klar dafür. Es wäre aufschlussreich, zu sehen, wer wie viel Geld ausgibt, wer gut arbeitet und wer nicht. Heute ist diese Beurteilung sehr schwierig.
Es erstaunt, dass der Salary-Cap nicht eingeführt werden kann, wenn 13 Teams dafür sind und nur eines dagegen.
Steinegger: Das ist eher eine Frage für unsere Chefs. Aber ja, ich finde das auch seltsam.
Der EHC Biel hat seit dem Einzug in die Tissot-Arena von 2015 finanziell grosse Fortschritte gemacht. Ist das Umfeld in Biel mit der Halbfinalqualifikation immer noch zufrieden?
Steinegger: Natürlich gibt es Leute, die vom Final träumen, von einem Titel. Wir haben gerade unseren Punkterekord aufgestellt, da ist das normal. Aber wir wissen schon, woher wir kommen und wo wir stehen. Es war sehr wichtig, dass wir die Viertelfinalserie gegen Bern gewinnen konnten. Bern gegen Biel, das ist eine emotionale Geschichte. Ich glaube, wir hätten das nicht mehr aus den Kleidern gebracht, wenn wir verloren hätten. Was das Finanzielle angeht, haben wir Fortschritte gemacht. Ich muss jetzt nicht mehr überlegen, ob ich irgendwo einen Tresor aufschweissen muss, um einen Transfer zu realisieren. Aber es ist jedem klar, dass wir uns mit dem ZSC nicht auf Augenhöhe befinden. Wenn Sven zum Beispiel einem Spieler wie Dean Kukan ein Angebot macht, dann weiss ich, dass ich das Telefon nicht mehr in die Hand nehmen muss.
Leuenberger: Ja, weil ich in den Verhandlungen so gute Argumente bringe. (Lacht.)
Steinegger: Eher, weil meiner Tastatur ein paar Dezimalstellen fehlen. (Lacht.)
Dafür ist in Zürich der Druck grösser.
Leuenberger: Alle reden davon, wie ausgeglichen die Liga sei. Aber bei uns heisst es, dass wir in fünf Jahren zwei Mal Meister werden müssen. Ich war nie besonders gut in Mathematik, aber ich frage mich schon, wie das aufgehen soll.
Die Trainer, der strenge Marc Crawford im ZSC und der feinfühlige Antti Törmänen bei Biel, wirken wie ultimative Gegensätze.
Leuenberger: Törmänen war Coach in Bern, als ich dort Sportchef war. Die beiden sind nicht so verschieden, wie viele vielleicht denken. Beide geben eine klare Linie vor.
Aber man kann sich nur schwer vorstellen, dass Törmänen in der Kabine so laut wird, dass er sich am nächsten Tag bei der Mannschaft entschuldigen muss.
Steinegger: Das vielleicht nicht. Der Ton bei Törmänen ist am Ausgangspunkt wahrscheinlich ein bisschen sanfter. Aber er kann schon sehr bestimmt werden. Ich kenne Crawford nicht, ich habe nie mit ihm gearbeitet. Aber auch er hat sich ja offensichtlich entwickelt, sonst wäre er nicht mehr im Geschäft. Man kann heute nicht wie vor 20, 30 Jahren einem Spieler in den Hintern treten.
Stimmt der Eindruck, dass die Verhältnisse in Biel etwas harmonischer und familiärer sind?
Steinegger: Wir sind ein eingespieltes Team, es gibt im Umfeld recht wenig Veränderungen – sei das auf der Geschäftsstelle oder im Verwaltungsrat. Mit dem CEO Daniel Villard arbeite ich mehr als zehn Jahre zusammen. In dieser Zeit haben wir uns immer wieder einmal gezankt, so hart, dass im Büro fast die Scheren herumgeflogen wären. Inzwischen haben wir geschaut, dass sich unsere Büros ausserhalb der Wurfdistanz befinden. Im Ernst: Es gibt bei uns dieses Grundvertrauen untereinander, das ist sehr viel wert. Man lässt die Sportabteilung in Ruhe arbeiten. Es ist auch in Ordnung, wenn ein Transfer einmal nicht passt.
Beide Teams verfügen über einen ausländischen Weltklassetorhüter: Simon Hrubec in Zürich, Harri Säteri in Biel. Inwiefern hat die Erhöhung des Ausländerkontingents auf diese Saison hin die Liga verändert?
Leuenberger: Unsere Organisation war gegen diese Erhöhung, wir finden auch, dass die Liga 12 und nicht 14 Teams umfassen sollte. Die zwei zusätzlichen Ausländer haben vor allem den kleineren Teams geholfen, weil sie nun mehr Kadertiefe haben. Nicht unterschätzen sollte man die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine: Da wurden viele interessante Spieler zu erschwinglichen Preisen auf den Markt geschwemmt.
Steinegger: Wir haben sicher von der Erhöhung profitiert. Ich glaube nicht, dass wir ohne unseren Goalie den zweiten Platz erreicht hätten.
Schon in der letzten Saison trafen Ihre Teams im Play-off aufeinander, damals im Viertelfinal, den Biel trotz 2:0- und 3:2-Führung verlor. In den letzten fünf Duellen gab es nur 14 Tore. Können wir in der Serie nun Ähnliches erwarten, angesichts der hohen Qualität der Torhüter?
Steinegger: Das würde mich nicht überraschen.
Leuenberger: Ich bin kein Freund davon, Statistiken zu rezitieren. Das ist passiert und ist somit Vergangenheit. Was zählt, ist die Gegenwart. Aber das Szenario halte ich für möglich. Unsere grösste Stärke ist die Defensive, wir hatten in dieser Saison keinen einzigen Spieler unter den Top-20-Skorern der Liga. Ich gehe davon aus, dass sich durchsetzen wird, wer am meisten Spieler aus den hinteren Reihen hat, die aufblühen. Leute, die man bisher in der Saison weniger gesehen hat.
Sie waren im SCB während vieler Jahre Teamkollegen. Mit Christian Dubé, der heute Gottéron vorsteht, und Alex Chatelain, der bis 2020 SCB-Sportchef war, gibt es eine auffallende Häufung von Spielern, die später Schlüsselpositionen im Schweizer Eishockey bekleideten. Ist das Zufall?
Leuenberger: Nicht unbedingt. Es gab in Bern eine Leistungskultur, die ansteckend und prägend war. Du musstest im Training jeden Tag alles geben. Bei Renato Tosio hat schon ein Blick gereicht, und du wusstest, was es geschlagen hat. Ich bildete mit Pietro Cunti eine Fahrgemeinschaft. Einmal hat er zu mir gesagt: Heute spielen wir gegen Ajoie. Entweder wirst du zum besten Spieler gewählt, oder du kannst nach Hause laufen. Zum Glück wurde ich tatsächlich Best Player. Was ich sagen will: Es war ein spezielles Umfeld, für das nicht alle geschaffen waren. Wer sich nicht anpassen konnte, war nach einer Saison weg. Heute würde man vielleicht von Mobbing sprechen.
Steinegger: Man sieht rasch, ob einer dafür geschaffen ist, Trainer oder Sportchef zu werden. In Bern hatten wir viele dieser Typen. Wahrscheinlich hatten wir auch darum viel Erfolg. Aber na ja, vielleicht waren wir auch einfach nicht gescheit genug, um etwas anderes zu lernen.
Da Sie sich so lange kennen: Sind Sie Freunde?
Steinegger: Es gibt sicher ein Vertrauensverhältnis. Ich kann ihm Dinge erzählen, die ich sonst nicht erwähnen würde.
Leuenberger: Das würde ich unterschreiben. Ihm stelle ich sicher eher im Vertrauen eine Frage als einem anderen Sportchef.
Sie arbeiten beide seit mehr als zehn Jahren als Sportchef, waren kurzzeitig auch Trainer. Sind Sie Manager geblieben, weil die Jobsicherheit auf diesem Posten höher ist?
Leuenberger: Wenn du einmal an der Bande gestanden bist, weisst du, was für einen Kick dir das geben kann. Als Sportchef kann es vorkommen, dass du dich irgendwann hilflos fühlst. Es ist deine Mannschaft, dein Coach, deine Organisation. Aber es gibt ziemlich wenig Leute, mit denen du deine Sorgen teilen kannst. Und am Spieltag liegt es nicht in deiner Hand. Das ist als Trainer anders. Ich würde nicht ausschliessen, dass ich das nochmals mache, auf welchem Niveau auch immer.
Steinegger: Mich hat es immer gereizt, Trainer zu sein. Aber ich habe Familie und Kinder. Vor zehn Jahren wollte ich mir das nicht antun, mich auf einen Schleudersitz zu setzen. Wahrscheinlich ist das der Schweizer Bünzli in mir. Du hast wenig Kontrolle. Heute ist es anders, aber ich suche es nicht aktiv. Und die Uhr tickt, da mache ich mir keine Illusionen. Anderseits: Manchmal geht es schneller, als man denkt. Irgendeinisch fingt ds Glück eim.
Schlucken Sie manchmal leer, wenn Sie heute Verträge verhandeln? In dem Wissen darum, wie wenig Sie im Vergleich dazu als gestandene Nationalspieler einst verdienten?
Steinegger: Eigentlich nicht. Klar ist es ein grosser Unterschied von heute zu vor 20 Jahren. Aber noch einmal 20 Jahre zurück war es krasser, da haben die Spieler praktisch nichts verdient. Und man muss auch sagen: Die Anforderungen an die Spieler heute sind umfassender, als sie das bei uns waren, es wird eine ganz andere Verfügbarkeit und Professionalität verlangt. Du kannst dir wenig erlauben. Hätte es bei uns Social Media gegeben, wir wären gar nicht mehr aus den Schlagzeilen gekommen.
Inwiefern unterscheidet sich die heutige Spielergeneration von jener aus den 1990er Jahren?
Steinegger: Klar gibt es da Unterschiede. Aber Sven und ich sind wahrscheinlich auch darum so lange in diesem Geschäft, weil wir anpassungsfähig sind. Die Generation Y hat andere Treiber, als wir sie hatten. Geld ist wichtiger, das Denken vielleicht ein bisschen egoistischer. Das ist der Lauf der Zeit. Der Sport ist auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Manchmal habe ich Fragezeichen. Aber du kannst es nicht ändern. Du kannst nicht einfach in die Garderobe laufen und sagen: «Hey, früher war es im Fall so und so.» Da lachen dich die Spieler aus.