- Offizieller Beitrag
Was haben die ZSC Lions in dieser Saison schon gelernt? Nichts
In knapp drei Monaten hat sich der Meister unter den Strich gespielt. Es ist, als ob der Titelgewinn nie stattgefunden hätte. Im Alltag der Zürcher ist fast alles wieder so, wie es schon im tristen letzten Jahr war.
Ulrich Pickel (NZZ)
Die Tabelle der National League bietet einen selten eigenartigen Anblick. Die ZSC Lions, Lugano und Davos, drei der vier Teams, die seit der Jahrtausendwende Meister wurden, liegen unter dem Strich. Nur der Vierte im Bunde, Bern, ist fernab aller Sorgen auf Platz eins. In Lugano wackelt der Trainerstuhl schnell, wenn die Punkte fehlen, in Davos hat die Krise sogar zum Rücktritt von Arno Del Curto nach 22 Jahren geführt.
Die ZSC Lions aber, der Meister dieses Frühlings, werden an ihrem Trainer Serge Aubin so lange festhalten, wie es nur geht. Der Kanadier kam erst auf diese Saison hin nach Zürich, er wurde mit einem Zweijahresvertrag plus Option auf ein drittes Jahr ausgestattet.
Die Play-offs – ein Ausreisser?
Trotzdem könnte auch Aubin in absehbarer Zeit blühen, was dem Schweden Hans Wallson Ende Dezember letzten Jahres widerfuhr: die Entlassung. Die Zürcher sind nach Niederlagen gegen Davos, Bern und Biel unter den Strich gerutscht. Nun steht eine Woche der Wahrheit an: am Dienstag zu Hause gegen Freiburg, am Freitag in Langnau und am Samstag wieder zu Hause gegen Genf/Servette. Sollten diese drei Spiele gleich ablaufen wie die letzten, könnte die Situation eine Eigendynamik annehmen. Dass Aubin nach knapp drei Monaten in eine solche Situation geraten ist, erstaunt. Er versucht nichts Aussergewöhnliches. Grob gesagt, will er dem Team in erster Linie eine solide Defensive beibringen, ihm daneben aber auch Räume für die Entfaltung des offensiven Potenzials lassen. Doch was er auf der taktischen und personellen Ebene auch unternimmt: Es schlägt nicht richtig an.
Aubin ist kein charismatischer Verkäufer. Er wirkt nicht überfordert, und er verfügt über ein profundes Fachwissen. Es gibt auch keine Hinweise, dass er über keinen Draht zu seinen Spielern verfügt beziehungsweise dass er diesen verloren hat. Der Kanadier kommuniziert geradlinig und aufrichtig. Am letzten Freitag, nach dem 1:4 gegen Bern, sprach er von einer inakzeptablen Leistung und fügte an: «Wir müssen aufwachen.» Diese Art von Kritik muss eine Mannschaft ertragen können.
Allein, die Mannschaft erwacht nicht. Betrachtet man diese und die letzte Saison zusammen, ergibt sich ein irritierendes Bild. Die meiste Zeit über taten sich die ZSC Lions schwer, unterbrochen wurde diese lange Zeit von ein paar Wochen, in denen sie 12 von 18 Spielen gewannen. Das waren die Play-offs. Diese schienen bessere, stabilere Zeiten zu verheissen. Aber jetzt ist die Mannschaft wieder gleich weit wie vor einem Jahr; die Play-off-Wochen wirken wie ein einsamer Ausreisser.
Die Spieler sagten vor dem Saisonstart unisono, sie wollten alles tun, um eine erfolgreichere Qualifikation als in der letzten Saison zu erleben. Nun klaffen Anspruch und Wirklichkeit einmal mehr auseinander. Die ZSC Lions sehen aus wie eine Mannschaft ohne Lernkurve. Es fehlt am Eigenantrieb, an der Energie, sich selber anspornen und das Leistungsniveau hoch halten zu können.
Die Zürcher haben einen neuen Trainer, einige neue Spieler, einige Verletzte und viele Vertragsverhandlungen im Hintergrund. Doch andere Klubs haben solche Herausforderungen auch. Und sie kommen besser damit klar als der Meister. Dessen Prominenz ist mit sich selber beschäftigt: Denis Hollenstein, Drew Shore, Simon Bodenmann, Fabrice Herzog, Reto Schäppi oder Chris Baltisberger – mehr als ein paar gute Momente hatte noch keiner von ihnen. Dasselbe gilt für Roman Wick, Roman Cervenka oder Pius Suter, die derzeit verletzt sind. Auch um Jérôme Bachofner ist es nach einem Hoch ruhiger geworden. Raphael Prassl ist regelmässig der beste Stürmer.
Was ist mit Pettersson los?
Am anderen Ende der Skala steht Fredrik Pettersson. Der Schwede ist Jahr für Jahr ein Skorer vom Dienst, doch jetzt steht er nach zwölf Spielen bei drei Toren, davon war eines ein Penalty und eines ein Treffer ins leere Tor. Was ist los mit Pettersson? Empfand er es als Majestätsbeleidigung, dass Aubin ihn im Zuge der Ausländerrotation einmal für zwei Spiele pausieren liess und an seiner Stelle den Verteidiger Maxim Noreau am Flügel einsetzte? Offiziell heisst es, Pettersson habe den damaligen Entscheid des Trainers hingenommen, ohne Begeisterung, aber professionell. Das mag stimmen. Oder auch nicht. Der Fall Pettersson ist ein Krisensymptom, ebenso wie die Tatsache, dass am Samstag in Biel der GCK-Leihspieler Tim Ulmann die einzigen beiden Tore schoss und dass er zusammen mit Mattia Hinterkircher der Einzige war, dem ein dynamisches Spiel und ein sichtbares Aufbäumen gegen die Niederlage gelang.
Die Zürcher sind aus der Champions League und aus dem Schweizer Cup ausgeschieden. In der Meisterschaft haben sie sich in knapp drei Monaten unter den Strich gespielt. Aubin hat recht, wenn er sagt: «Wir müssen aufwachen.» Der Meister-Bonus ist verspielt. Die ZSC Lions können sich keine flache Lernkurve mehr leisten. Sie haben jetzt nur noch eine Möglichkeit, die Qualifikation ohne grösseres Chaos über die Bühne zu bringen: Sie müssen sich zusammenraufen, intern in der Kabine und im Verhältnis zu ihrem Trainer.