- Offizieller Beitrag
ZSC-Stürmer Chris Baltisberger
Wie der Verschmähte zum Playoff-Helden wurde
Die letzten Wochen durfte Chris Baltisberger kaum mehr spielen, nun brachte er die ZSC Lions mit seinem 1:0-Overtime-Tor zurück in die Serie gegen Biel. Eine Zürcher Feel-Good-Story.
Simon Graf
Publiziert heute um 09:06 Uhr
So strahlt ein Matchwinner: Chris Baltisberger nach seinem Overtime-Siegtor gegen Biel.
Foto: Walter Bieri (Keystone)
Chris Baltisberger juckte es in den Beinen, aber er konnte nichts tun. «Ich sah, wie meine Teamkollegen in der Overtime müde vom Eis krochen, und war selber voller Energie. Diese Energie versuchte ich irgendwie auf sie zu übertragen.» Er munterte seine Kollegen verbal auf, klopfte ihnen auf die Schultern. Und insgeheim hoffte er, dass sich Coach Rikard Grönborg irgendwann wieder seiner erinnern würde. Frisch war er, er hatte an diesem Abend keine acht Minuten gespielt.
Die erste Verlängerung verbrachte Baltisberger komplett als Zuschauer, in der zweiten tippte ihn Grönborg dann tatsächlich auf die Schulter. Er eilte aufs Eis, hatte einige gute Aktionen und überzeugte seinen Coach, der ihn kurz danach gleich wieder rausschickte. Baltisberger übernahm in der Vorwärtsbewegung einen Pass des Finnen Tommi Kivistö, stürmte in die Offensivzone, drückte ab und traf exakt ins Lattenkreuz. Der 78. Torschuss war endlich ein Treffer, das 1:0 in der 89. Minute entschied das aufwühlende Spiel.
Ausgerechnet Baltisberger! Es sind Geschichten, die nur das Playoff schreibt. Der 30-Jährige war zuletzt in Ungnade gefallen bei Grönborg, spielte in den vergangenen Wochen kaum mehr. Für Spiel 1 der Viertelfinalserie gegen Biel durfte er sich zwar umziehen, aber er spielte im Hallenstadion keine Sekunde. Seine Eiszeit in den letzten sieben Spielen nach Minuten: 8:16, 5:49, 0:00, 0:00, 6:01, 0:56, 1:02. Das muss frustrierend sein.
Zitat«Im Playoff gilt umso mehr: Es kommt nicht auf die Grösse deiner Rolle an, sondern auf deine Grösse in der Rolle.»
Chris Baltisberger
Der Stürmer sagt dazu: «Im Playoff gilt umso mehr: Es kommt nicht auf die Grösse deiner Rolle an, sondern auf deine Grösse in der Rolle.» Ein kluger Satz, den man sich zuerst durch den Kopf gehen lassen muss. Baltisberger fährt fort: «Jeder hat seine Aufgabe. Der Ersatzgoalie, der eine unglaubliche Stimmung macht. Der Staff, der uns mit Milchreis versorgte in der Overtime. Oder Gery (Büsser, der Teamarzt) mit seinem Zaubertrank.»
Baltisberger blickt auf eine schwierige Saison zurück. Sein Comeback nach 252 Tagen und einem komplizierten Schienbeinbruch gab er im vierten Saisonspiel Mitte September und schoss dabei gleich ein Tor. Doch monatelang kämpfte er danach um seine Form. Lange schenkte ihm Grönborg das Vertrauen, zuletzt nicht mehr. «Ich nehme die Rolle, die ich bekomme», sagt Baltisberger. «Ich hatte ein gutes Gespräch mit dem Coach. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen.»
Und was sagt Grönborg? «Ich bin sehr happy für Chris, dass er das Siegtor erzielt hat. Er ist ein emotionaler Leader in der Garderobe und auf der Bank. Umso schöner ist es fürs Team, dass er das Spiel entschieden hat.» Und vielleicht auch ein Zeichen, dass man die Kämpfertypen wie Baltisberger nie unterschätzen sollte, sie gerade im Playoff an Wert für die Mannschaft gewinnen. In der Garderobe, aber eben auch auf dem Eis.
Es ist für Baltisberger nicht das erste Overtime-Siegtor im Playoff. 2018 entschied er das vierte Finalspiel gegen Lugano mit dem 3:2 in der 75. Minute. Damit verschaffte er den Zürchern drei Meisterpucks. Den dritten verwerteten sie.
Der erste Sieg gegen Biel war nun einmal ein Schritt zurück in diese Serie, die zuvor so gar nicht für die Zürcher gelaufen war. «Dieses dritte Spiel war ein Hinweis, wie wir spielen müssen, sagt Baltisberger. «Wir haben ein paar Dinge angepasst, das hat man auch gesehen. Die Defensive ist unser Fundament, darauf konzentrieren wir uns. Offensiv haben wir so viele Qualitäten, das kommt automatisch.»
Endlich wieder Hühnerhaut
Mit seinem Tor sorgte Baltisberger dafür, dass es am Donnerstag zumindest nochmals ein Spiel im Hallenstadion gibt. Er schwärmt von der elektrisierenden Atmosphäre, als das Team für die zweite Overtime aus der Garderobe kam. «Es war unglaublich, so laut! Ein Hühnerhaut-Moment. So etwas haben wir schon lange nicht mehr erlebt.»
Die Choreo der Fans vor dem Spiel habe ihm nochmals vor Augen geführt, dass der Abschied aus dem Hallenstadion anstehe. «Aber darauf haben wir definitiv noch keine Lust. Wir wollen hier spielen bis zum Schluss.»