Dieser verpasste Titel wird die ZSC Lions noch lange schmerzen
Der EV Zug komplettiert sein grandioses Comeback mit einem 3:1 in Spiel 7. Bekannt für ihre spektakulären Erfolgsstorys, sind die Zürcher diesmal die Leidtragenden.
Die 25-jährige Geschichte der ZSC Lions ist reich an spektakulären Comebacks und Siegen. Nur schon einige Zahlen lassen die Herzen ihrer Anhänger höherschlagen – 59:50, 70:07, 59:58. Das sind die Zeiten, in denen die Meistertore von Adrien Plavsic (2000), Morgan Samuelsson (2001) und Steve McCarthy (2012) fielen. Zweimal drehten die Zürcher ein 1:3 in einem Playoff-Final, zweimal wurden sie in einem Penaltyschiessen Meister. Für einmal waren sie nun auf der anderen Seite: Sie verspielten im Final ein 3:0, mussten den EV Zug vorbei zum Titel lassen.
Es ist eine Niederlage, die sie noch lange schmerzen wird. Noch nie zuvor hatte im Schweizer Eishockey ein Team im Halbfinal oder Final nach einer 3:0-Führung verloren. Es war erst viermal im Viertelfinal passiert, zuletzt in diesem Jahr den Lakers gegen Davos. Aber wer einmal eine Playoff-Serie überstanden hat, ist so stabil, dass er einen solchen Vorsprung nicht mehr aus der Hand gibt. Dachte man.
Zugs mentale Stärke
Es ist nicht so, dass die ZSC Lions nach dem 3:0 auseinandergebrochen wären. Viel müssen sie sich nicht vorwerfen lassen. Das Aussergewöhnliche war, wie die Zuger reagierten: Statt nach drei Niederlagen an sich zu zweifeln, zogen sie einfach weiter ihr Spiel durch, mit einigen Anpassungen. Das war eine bemerkenswerte mentale Leistung. Architekt dieses Comebacks für die Geschichte ist Coach Dan Tangnes, mit Steuermann Jan Kovar und Goalie Leonardo Genoni hatte er zwei Ausnahmespieler, die es ermöglichten.
Gerade in dieser Serie zeigte sich, wie gefestigt dieser EVZ unter Tangnes geworden ist. Ehrfurchtsvoll wird er von einigen sogar als Maschine bezeichnet. Sein Tempospiel ist zu seinem Markenzeichen geworden, und obschon alle wissen, wie die Zuger spielen, finden sie kein Rezept dagegen. Nur zwei Teams hatten es zuvor im neuen Jahrtausend geschafft, den Titel erfolgreich zu verteidigen: die ZSC Lions 2001 in extremis und der SC Bern 2017 unter Disziplinfanatiker Kari Jalonen.
Wie Tangnes zum Sieger wurde
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Zuger ausgerechnet unter einem Trainer zu Siegern wurden, der zuvor in Schweden keine Playoff-Serie gewonnen hatte. Mit seinem feinen Gespür für die Menschen hinter den Spielern und die richtigen Worte sowie seiner Besessenheit, die manchmal an die Oberfläche dringt, veränderte Tangnes die Clubkultur. Die Zuger entledigten sich ihrer Komplexe gegenüber den grossen drei, SC Bern, HC Davos und ZSC Lions.
23 Jahre lang hatten die Zuger auf den Meistertitel warten müssen, nun siegten sie zweimal innert zwölf Monaten. Hatte der Titel 2021 mit verkürzter Halbfinal- und Finalserie und in leeren Stadien noch mit einem Sternchen versehen werden müssen, kann man jetzt nur sagen: Chapeau!
Der EVZ bleibt also das Mass aller Dinge, zumal seine Aura der Unbesiegbarkeit durch sein famoses Comeback im Final weiter wächst. Aber die Konkurrenten werden alles daransetzen, die Zuger wieder einzufangen. In der Westschweiz ist der Hunger nach Erfolg riesig und inzwischen auch das Geld reichlich, um starke Teams zu stellen. Mit dem SCB wird bald wieder zu rechnen sein. Und die ZSC Lions, die in ihre Swiss Life Arena einziehen und da finanziell wie sportlich verbesserte Voraussetzungen haben, wollen diese bittere Niederlage so schnell wie möglich vergessen machen.
Ja wie ist die Saison der Zürcher nun zu bewerten? Diese Achterbahnfahrt, die zuletzt doch wieder in ein emotionales Tief mündete? Die Leidenschaft und das Teamwork, das die ZSC Lions im Verlauf der Playoffs entdeckten, waren mitreissend. Im Final fehlte nur ganz wenig, dann hätten die Zürcher den zehnten Titel ihrer Clubgeschichte gefeiert. Wenn sie dieses Gemeinschaftsgefühl und diese Disziplin mitnehmen in die neue Halle, kommt ihre nächste Chance schon bald.
Wo sind die Jungen?
Wo sie dem EVZ indes weit hinterherhinken, ist bei der Integration von jungen Spielern. Rikard Grönborg coacht auch bei den ZSC Lions, als wäre er ein Nationalcoach: primär darauf bedacht, für das nächste Spiel das bestmögliche Team aufs Eis zu schicken. Der jüngste Zürcher Stammspieler in diesen Playoffs war der 23-jährige Justin Sigrist. Derweil setzte Tangnes auf eine vierte Linie mit Jungen, und diese fiel keineswegs ab, sondern brachte Energie.
Wer wie die ZSC Lions die grösste Nachwuchsorganisation des Landes hat, müsste davon auch profitieren können. Das aktuelle Team besteht zwar immer noch fast zur Hälfte aus ehemaligen ZSC-Junioren. Doch wenn die Zürcher den eigenen Talenten nicht einen Weg aufzeigen, wie sie in die erste Mannschaft gelangen können, wird diese Quelle dereinst versiegen. In der Swiss Life Arena sind das Profiteam und die besten Junioren-Mannschaften neu unter einem Dach – das sollte ein Signal für ein Umdenken sein.
Die wichtigste personelle Frage ist, ob Denis Malgin bleibt oder nochmals einen Versuch in der NHL wagt. Von den Ausländern bleiben nur Justin Azevedo und Garrett Roe, die früheren NHL-Cracks Markus Granlund und Lucas Wallmark werden mit dem ZSC in Verbindung gebracht. Dann bräuchte es noch zwei ausländische Verteidiger. An der spielerischen Klasse wird es den Zürchern nicht mangeln, um nächste Saison wieder anzugreifen. Aber diese vier verpassten Meisterpucks werden noch eine Weile wehtun.