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Die Underdogs der Tampa Bay Rays – Aschenputtel auf der Resterampe des Baseballs
Die Baseballer der Tampa Bay Rays haben das drittkleinste Budget der Liga – und greifen trotzdem nach dem World-Series-Titel. Ihre Geschichte erzählt von Romantik, von Desperados – und davon, was geschehen kann, wenn man kühl rechnet.
Nicola Berger (NZZ)
2007 haben die Tampa Bay Devil Rays das Wort Devil aus ihrem Namen streichen lassen, aber teuflisch gut sind sie eigentlich erst jetzt. Tampa steht verblüffenderweise in der World Series und greift im Play-off-Final der Major League Baseball (MLB) gegen die Los Angeles Dodgers nach dem ersten Titel der Klubgeschichte.
Tampa ist ein Sorgenkind der Liga, seit Jahren reissen die Gerüchte nicht ab, dass das Team in eine andere Stadt verpflanzt werden könnte, nach Montreal etwa. Denn das Interesse an den Rays ist überschaubar, das Stadion Tropicana Field liegt in St. Petersburg so abgelegen, dass sich viele Menschen im Grossraum Tampa nicht die Mühe machen, eine Partie zu besuchen. 2019 lag der Zuschauerschnitt bei 14734 Besuchern. Das ist weniger, als in der Schweiz der SC Bern anlockt – und gut dreimal weniger Eintritte, als die Los Angeles Dodgers zählen, der Krösus der Liga. Anders als die Schwergewichte der Liga haben die Rays keinen lukrativen TV-Vertrag, sie sind in der MLB nicht mehr als Füllmaterial. Eigentlich. Denn letzte Woche musste Brian Cashman, der General Manager der stolzen New York Yankees, des Baseball-Teams mit der grössten globalen Strahlkraft, eingestehen: «Momentan sind die Rays eine bessere Franchise, als wir es sind.»
Die teuren Stars der Dodgers
Das ist bemerkenswert, denn die Yankees, von den Rays im Play-off gerade eliminiert, lassen sich ihr Kollektiv im Vergleich mehr als dreimal so viel kosten. Die Rays haben mit 28,2 Millionen Dollar die dritttiefsten Lohnkosten der Liga, dies für ein 28-Mann-Kader. Es ist ein Betrag, mit dem die Dodgers knapp ihre zwei teuersten Stars zahlen können, Mookie Betts und Clayton Kershaw.
Nun haben die Rays die deutlich zahlungskräftigere Konkurrenz trotzdem düpiert; die Underdogs von Tampa Bay schreiben auf der Resterampe gerade eine erstaunliche Cinderella-Story. Die Rays sind zu grossen Teilen eine Ansammlung von Desperados, anderswo verkannt und geopfert. Ein Beispiel dafür ist Charlie Morton, der beste Werfer der Rays, dem die miserabel gemanagten Philadelphia Phillies vor drei Jahren lieber ein Buyout von einer Million zahlten, damit er nicht mehr für sie spiele. Philadelphia hat das Play-off trotz grössten finanziellen Anstrengungen schon wieder verpasst, während Morton nach dem Titel greift. Es gibt viele Charlie Mortons bei den Rays – Tampa Bay ist so etwas wie eine moderne Version der Oakland Athletics um die Jahrtausendwende, die mit dem «Moneyball»-Prinzip kompensierten, was ihnen an Geld fehlte. Sie vertrauten auf die Kraft von «Analytics», von vertieften Statistiken – wie jetzt auch die Rays. «Moneyball» wurde später mit Brad Pitt verfilmt und zu einem Hollywood-Blockbuster.
«Wall Street Journal» jubiliert
Das «Wall Street Journal», das mediale Flaggschiff des Turbokapitalismus, jubilierte, die Rays würden «mit der Effizienz eines Hedge-Fund» operieren und «Unschärfen im Markt sofort ausnutzen». Vielleicht ist das nicht der schlechteste Vergleich – die Teambesitzer Stuart Sternberg und Matthew Silverman verdienten ihre Millionen einst als Investmentbanker bei Goldman Sachs.
Es wäre einfach, den Erfolg der Rays als zufällig abzukanzeln, als Produkt einer in jeder Hinsicht aussergewöhnlichen Saison. Die Qualifikationsphase betrug nur 62 statt 162 Spiele, es waren keine Zuschauer zugelassen, der Spielplan war teilweise eine Zumutung, die Play-off-Serien werden in neutralen Stadien ausgetragen. Aber mit Zufall hat das alles nichts zu tun – die Rays gehörten schon 2019 zur Elite der Liga, damals mit dem tiefsten Budget der Liga.
Die Frage ist, ob sich die Rays krönen können, gegen den Favoriten Los Angeles, der seit 32 Jahren nichts mehr gewonnen hat und seit Jahren grösste Anstrengungen unternimmt, daran etwas zu ändern. Es hätte etwas Romantisches, sollte Tampa Bay der Coup gelingen, es wäre ein Signal für die anderen vermeintlich schwachen MLB-Teams –einschliesslich der Rays gibt es noch immer sechs titellose Organisationen.
Und es würde auch den Aufstieg von Tampa Bay, einer sozial schwachen und von einer hohen Kriminalitätsrate geplagten Metropolregion, zur sportlichen Hauptstadt der USA bedeuten. Im Eishockey haben die Lightning gerade den Stanley-Cup gewonnen, die Footballer der Buccaneers erleben mit dem Quarterback Tom Brady eine Renaissance. Der Rest des Landes kann froh sein, stellt Tampa kein Basketballteam.