- Offizieller Beitrag
Die Fusion zu den ZSC Lions war umstritten, nun wird sie 25 Jahre alt – sie ist eine Erfolgsgeschichte
1997 wurden aus dem ZSC und der Eishockey-Abteilung des Grasshopper-Clubs die ZSC Lions. Trotz damaligem Widerstand von Leuten wie Roger Schawinski hat sich der Zusammenschluss bewährt. Und doch bleibt auch ein Vierteljahrhundert später leise Trauer über den Verlust einer Institution, die nicht mehr ist, was sie einmal war.
Daniel Germann23.03.2022, 04.30 Uhr
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Am 1. April 2000 wird das Hallenstadion zum Tollhaus: Als Lions ist der ZSC nach 39 Jahren wieder Meister.
Michele Limina / Keystone
Am 8. April 1997 ging eine Schockwelle durch die Stadt Zürich. Es war der Tag, an dem die Fusion des Zürcher SC mit der Eishockey-Sektion des Grasshopper-Clubs zu den «Züri-Lions» angekündigt wurde. «Den ZSC den Löwen geopfert», titelte der «Tages-Anzeiger», «Jetzt brüllen die Löwen» der «Blick», «Wo bleibt der ZSC?» die NZZ.
Nie mehr seit der Play-off-Viertelfinalserie 1992 gegen den HC Lugano war der Zürcher Anhang derart erregt. Doch statt wie damals Euphorie trieb ihn nun die nackte Angst um die Existenz des Klubs um, der für viele zu einer Art zweiter Heimat geworden war.
Der damalige ZSC-Präsident Bernd Böhme, ein liebenswerter, aber doch etwas spröder Deutscher, der nie wirklich im ZSC-Universum angekommen war, sah sich nach Bekanntwerden der Fusionspläne Belästigungen ausgesetzt. Gegenüber der NZZ sprach er von «Psychoterror». Ohne grossen Erfolg versuchte sich Böhme als vermittelnder PR-Arbeiter für das neue Produkt.
Ein emotionsgeladenes Kürzel
Am Anfang der Fusion stand eine Biertisch-Idee. Auf der Rückfahrt aus Herisau begab sich die Führung der Eishockey-Sektion des Grasshopper-Clubs zum Schlummertrunk in eine Pianobar in Frauenfeld. Stunden zuvor hatte ihre Mannschaft trotz den finnischen Weltklassespielern Christian Ruuttu und Mike Nieminen im Appenzellerland ein weiteres Mal den Aufstieg in die Nationalliga A verpasst – zum dritten Mal in den letzten drei Jahren. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt. Da sagte Hans-Peter Schwald, einer der finanzkräftigen Männer in der illustren Runde, diese zwei Sätze: «Wir haben das Geld, der ZSC hat den A-Platz. Warum tun wir uns nicht zusammen?»
Ein Vierteljahrhundert später an der Badenerstrasse 600 in Zürich Altstetten. Walter Frey, 78, sitzt im Sitzungszimmer seiner Firma an einem Holztisch. An der Wand hinter ihm hängt ein Porträt seines Vaters Emil Frey, der mit der Gründung einer Reparaturwerkstatt für Automobile 1924 den Grundstein zu jener Firma legte, die mit fast 700 Standorten mittlerweile der grösste Autohändler Europas ist.
Dass die Idee einer Fusion der beiden so gegensätzlichen Zürcher Klubs nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne gehen würde, war Frey von Beginn an klar gewesen. Doch die Heftigkeit, mit der die Debatte ausgetragen wurde, überraschte ihn doch. 25 Jahre später sagt er: «Ich habe den emotionalen Wert des Labels ZSC unterschätzt. Ich ging davon aus, dass der Inhalt und nicht sein Mantel entscheidend ist.»
«Ich glaube, ich darf sagen: Wir sind keine unerfolgreiche Organisation»: Walter Frey (rechts) nach dem Meistertitel 2000.
Walter Bieri / Keystone
Frey ist ein Unternehmer von altem Schrot und Korn, ein Patron im positiven Sinn des Wortes. Er richtet seinen Blick nicht allein auf die Bilanzen, sondern auch auf die Menschen, die hinter ihnen stehen. Werte wie Treue oder Loyalität sind ihm heilig. Einer seiner leitenden Angestellten sagte einmal: «Wenn es nach Herrn Frey ginge, hätten wir heute ein Kader von etwa 200 Spielern. Am liebsten würde er jeden, dem er einmal einen Vertrag bewilligt hat, ewig für unsere Organisation spielen lassen.»
In einem Geschäft, das sich heute ausschliesslich an Erfolgen orientiert, lebt er die Werte, die ihm sein Vater einst eingetrichtert hatte. Mit 25 Jahren übernahm er die Leitung des Unternehmens. Bei der Schlüsselübergabe bat der Senior, weiterhin ein Büro und eine Sekretärin am Firmensitz zur Verfügung zu haben. Walter Frey nahm ein Blatt Papier, unterschrieb es blanko und sagte: «Schreib auf, was immer du willst.» Der Vater nahm das Blatt, zerriss es und antwortete: «Wir zwei, wir brauchen keinen Vertrag. Dein Wort reicht.»
Es ist möglicherweise Freys kleine, persönliche Tragödie, dass nur wenige ihn und seine persönliche Seite wirklich kennen. Als langjähriges Führungsmitglied des Grasshopper-Clubs verkörperte er all das, was der hartgesottene Kern aus dem dritten Rang des Hallenstadions so leidenschaftlich ablehnte. Frey ist wohlhabend, privilegiert und bis zu einem gewissen Punkt auch unnahbar. Im Umfeld seiner Mannschaft sieht man ihn selten. Von den Spielern, die seine Enkel sein könnten, spricht er als «Herr Andrighetto», «Herr Malgin» oder «Herr Hollenstein».
Frey ist Teil jenes Zürcher Establishments, gegen das eine ganze Generation Ende der 1960er Jahre Sturm lief. Aufgewachsen an der Susenbergstrasse am Zürichberg, heute wohnhaft in Küsnacht, hat er nur wenig gemeinsam mit dem harten Kern der ZSC-Anhänger. Dass er schon lange vor der Fusion Mitglied im Klub war, wissen die wenigsten.
In den ersten Partien der neuen ZSC Lions in der Saison 1998/99 wurde er im Hallenstadion mit «Frey raus!»-Transparenten empfangen. Um Grenzen abzubauen, setzte er sich mit seinem Sohn in den dritten Rang unter das Hallenstadion-Dach. Man habe ihm dort Bier und «Zigarettli» angeboten, von denen man nicht genau gewusst habe, was sie neben Tabak sonst noch enthalten hätten.
Frey stört, dass man dem, was er aufgebaut hat, in der Stadt und den Medien bis heute nicht den Respekt entgegenbringt, den er sich wünscht. Er sagt: «Man kann möglichst gute Voraussetzungen schaffen. Doch die Leidenschaft, das Spielglück, all das, was den Sport so interessant und faszinierend macht, kann man weder planen noch kaufen.»
71 Mannschaften, 1376 Spieler
Zum Gespräch hat Walter Frey ein Dossier mitgebracht. Auf einem Zettel hat er zuvor zusammenstellen lassen, wofür seine ZSC Lions stehen: 71 Mannschaften, 1376 Spieler, 6 Meistertitel und die Siege in der Champions Hockey League 2009 und im Victoria-Cup im selben Jahr gegen die Chicago Blackhawks. Nicht ohne Stolz sagt er: «Weltweit spielen 85 Spieler, die in unserer Organisation gross geworden sind, in einer der Topligen. Ich glaube, ich darf sagen: Wir sind keine unerfolgreiche Organisation.»
Der Autohändler und SVP-Stratege Walter Frey im Jahr 2016.
Christoph Ruckstuhl
Keine unerfolgreiche Organisation? Das ist pures Understatement. Der alte ZSC war ein Verein, der seine Kraft weniger aus den drei Titeln aus der Eishockey-Vorzeit als aus seinen krachenden Niederlagen schöpfte. Nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich balancierte er ständig am Abgrund.
Ernst Meier war eine der Schlüsselfiguren im Klub, auch bei der Fusion. Der Unternehmer wirkte als Präsident der Sponsorenvereinigung Club 21 im Hintergrund. Jahr für Jahr deckte er mit seinen Kollegen einen Teil der Defizite, die der Klub produzierte. Man lebte von der Hand in den Mund. Doch Meier wusste schon damals, dass der ZSC irgendwann kollabieren musste. Es fehlte am Geld und an professionellen Strukturen. An dem Morgen, an dem Meier erstmals mit der Idee der Fusion konfrontiert wurde, rief ihn der ZSC-Finanzchef Fritz Eichenberger an und sagte: «Ernst, wir können die Spielerlöhne nicht mehr bezahlen. Du musst wieder Geld sammeln.»
Meier, ein Ur-ZSCler und bis heute so etwas wie die Seele des alten Klubs, war von der ersten Minute an klar: Das Angebot von Walter Frey und seinen GC-Kollegen war eine Art Rettungsanker, den der Klub unbedingt ergreifen musste. Heute sagt er: «Niemand kann sagen, wie sich die Geschichte weiterentwickelt hätte. Doch ich glaube, dass es für den ZSC über kurz oder lang keinen Platz im professionellen Eishockey mehr gegeben hätte.»
Mit seiner Meinung stiess Meier auf den vehementen Widerspruch der Basis, für die das stete Auf und Ab des Klubs, die kurzen Momente des Hoffens, die eher früher als später in den nächsten bösen Absturz mündeten, zu einer Art Lebenselixier geworden waren. Der harte Kern der Anhänger traf sich im «John Bull Pub», das nur einen Steinwurf vom Hallenstadion entfernt an der Überlandstrasse in Schwamendingen liegt und zu einer Art Widerstandsnest der Fusionsgegner wurde. Man diskutierte Protestmassnahmen – von Spielboykotten über eine Unterschriftensammlung bis zu einem Trauermarsch durch die Stadt.
Beat D’Altri war damals der Präsident des Fanklubs. Er sagt: «Die Pläne trafen uns wie ein Schock. Wir waren uns bewusst, dass eine solche Fusion auch eine Chance sein kann. Aber der Wegfall der drei Buchstaben ZSC, dieser neue Name Zürich-Lions, das alles bedeutete für uns den Verlust dessen, für das wir bisher gelebt und unser Geld ausgegeben hatten.»
Die Protestbewegung fand in Roger Schawinski eine mächtige und laute Stimme. Der Medienunternehmer verkörpert das pure Gegenteil von Walter Frey. Er hat sein Leben zu einer Art Lauf gegen das Establishment gemacht. Mit seinem Piratensender Radio 24 brach er das Monopol der SRG und veränderte die Schweizer Medienlandschaft nachhaltig. In der «Sonntags-Zeitung» vom 11. Mai 1997 wetterte Schawinski: «Walter Frey hat sich bereits die Zürcher SVP, den Hockeyklub GC, Radio Z und die Zeitung ‹Züri-Woche› gekauft – überall mit relativ wenig Erfolg. In Zürich sollte man nicht alles kaufen können.»
Roger Schawinski war gegen die Fusionspläne.
Gaetan Bally / Keystone
Schawinski war zwar ein regelmässiger Gast im Hallenstadion, aber nicht eingeschriebenes und damit stimmberechtigtes Mitglied im Klub. Der ZSC-Ehrenpräsident Fredy Duttweiler schlug vor, ihn direkt in den Verwaltungsrat zu wählen, zog diesen Antrag aber zurück, als er realisierte, dass er damit wohl chancenlos wäre. An einer chaotischen Mitgliederversammlung am 26. Mai 1997 im Zürcher Stadthof 11 verhinderten der ZSC-Präsident Bernd Böhme und der Klubjurist Anton Blatter, dass noch vor der Abstimmung über die Fusion und die Namensänderung neue Mitglieder aufgenommen wurden. Schawinski wartete vergeblich vor der Türe auf seinen Auftritt.
Unter den 490 Anwesenden im Saal kam es zu tumultartigen Szenen. Erst ein Antrag, Ernst Meier zum Tagespräsidenten zu wählen, entschärfte die geladene Stimmung und nahm den heillos überforderten Böhme aus der Verantwortung. Meier rief zur Vernunft auf und beschwichtigte die Mitglieder, indem er darauf hinwies, dass im Hallenstadion kaum je jemand «Züri-Lions, Züri-Lions» skandieren werde. Der ZSC bleibe der ZSC.
Die Mitglieder stimmten der Fusion mit überwältigender Mehrheit zu. Doch Schawinski schmollte weiter und drohte damit, das ganze Geschäft mit dem Gang vor ein ziviles Gericht zu verhindern. Frey zerstreute seine Befürchtungen später an einem gemeinsamen Essen. «Herr Schawinski», sagt er heute, «geht gern in die Extreme. Doch man muss ihm zugutehalten, dass er damit auch viel erreicht hat. Vor ihm haben selbst die einheimischen Medien immer eine gewisse Distanz zu Zürich gehalten. Man schämt sich nicht, Zürcher zu sein. Man spricht aber nicht gerne darüber und hält sich zurück. Es ist wohl ein zwinglianischer Zug, den wir verinnerlicht haben.»
Auch Ernst Meier hatte anfänglich Zweifel, ob eine Fusion der beiden ungleichen Eishockey-Klubs funktionieren kann. Er spricht heute von einem «Jahrhundertprojekt». Wer verstehen will, wie stark der Zusammenschluss die DNA des Klubs verändert hat, der muss die Geschichte und die Seele des alten ZSC kennen. Über Jahre definierte er sich über das Chaos, das ihn umwehte. Der Journalist und damalige Fifa-Medienchef Guido Tognoni war von 1984 bis 1987 im Nebenamt Chef der Technischen Kommission im ZSC. Im weissen VW Golf mit grossem Klubsignet an der Seite kurvte er durchs Land und suchte mit einem Budget von rund zwei Millionen Franken nach Spielern, die bereit waren, sich dem Ärgernis ZSC auszusetzen.
Die Trainingsbedingungen waren miserabel, die sportlichen Perspektiven eher noch schlechter. Man stieg auf und umgehend wieder ab. Es gibt in der Geschichte dieses Klubs mehr legendäre Niederlagen als Siege. Die wohl legendärste datiert aus dem Frühjahr 1988, als der ZSC in den Aufstiegs-Play-offs der Nationalliga B als haushoher Favorit am HC Ajoie scheiterte, das erste Heimspiel der Serie verlor er im Hallenstadion 1:6.
Die Zuschauer und Spieler litten gleichermassen. Es kam vor, dass nach einem besonders missglückten Zürcher Abend aus den Rauchschwaden des dritten Rangs ein Stuhl Richtung Eisfläche heruntersegelte. Je weiter weg man vom Eis sass, desto besser war die Stimmung. Man trank, rauchte und kiffte, als gäbe es kein Morgen.
Im Vergleich dazu, was an einem chaotischen Abend im Hallenstadion abging, waren Dante Alighieris «Inferno» Kinderzeichnungen. Beat D’Altri sagt: «Das Hallenstadion war eine Art rechtsfreier Raum. Hier wurde geduldet, was in jedem anderen Stadion der Schweiz umgehend einen massiven Polizeieinsatz ausgelöst hätte. Die Spieler rochen nach dem Match mehr nach Rauch und Bier als nach Schweiss.» Das Publikum verhöhnte sie während des Spiels und versöhnte sich anschliessend in einer Bar am Bucheggplatz mit ihnen.
Nur wer die krachenden Niederlagen gegen den HC Ajoie, die bedeutungslosen Derbys gegen den EHC Dübendorf und all die Demütigungen gegen den EHC Kloten miterlebt hat, kann nachvollziehen, was der Sieg in der Play-off-Viertelfinalserie 1992 gegen den HC Lugano für den Klub und seine leid- erprobten Anhänger bedeutete. Die Serie war der pure Klassenkampf. Perfektion traf auf Chaos, Reichtum auf Armut, Kunst auf Handwerk. Nicht zuletzt war es aber auch das Duell zwischen dem schwedischen Eishockeyprofessor John Slettvoll und dem Bündner Autodidakten Arno Del Curto.
Del Curto trifft auf Krutow
Del Curto wird im Umfeld des Klubs bis heute fast schon madonnenhaft verehrt. Seine missglückte Rückkehr ins Hallenstadion im Frühjahr 2019 ist aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen. Der Engadiner war für diesen Klub eine Art Befreier. Schon im Winter 1975/76 hatte er eine Saison für den ZSC in der Nationalliga B gespielt. Dann hospitierte er unter dem Trainer Alpo Suhonen im Hallenstadion und leitete für den Finnen das Sommertraining und auch den einen oder anderen Match.
Arno Del Curto im November 1991 an der ZSC-Bande: Der Befreier wird heute fast wie ein Heiliger verehrt.
Karl Mathis / Keystone
Im Winter 1991/92 löste Del Curto den Tschechen Pavel Wohl beim ZSC als Trainer ab und traf dort auf Wladimir Krutow. Krutow war und ist eine Legende im internationalen Eishockey. Über Jahre war er ein fester Bestandteil des sowjetischen Superblocks, der jeden Gegner in Sekundenschnelle in seine Einzelteile zu zerlegen wusste. Nach dem Weltmeistertitel 1989 erhielt er die Freigabe für den Westen und schloss sich den Vancouver Canucks in der NHL an.
Doch den Schock des Wechsels vom spartanischen Leben hinter dem Eisernen Vorhang in den ungezügelten Konsum an der kanadischen Westküste verkraftete Krutow nie. Er überforderte ihn. Als Krutow nach Zürich kam, war er noch ein Schatten seiner selbst. Del Curto sagt: «Als ich Krutow zum ersten Mal traf, war er derart übergewichtig, dass er sich kaum selber die Schlittschuhe binden konnte, weil ihm der Bauch im Weg stand.»
Del Curto trieb Krutow auf die Finnenbahn beim Dolder. «Ich stand auf der einen Seite, seine Ehefrau auf der anderen. Und immer wenn Wladimir schwer keuchend daherkam und schlappzumachen drohte, riefen wir: ‹Dawai, dawai, dawai›.»
Krutows Zerfall, sein Leiden auf dem Eis verursachten bei Del Curto fast körperliche Schmerzen. Doch die Zuschauer schlossen Krutow wohl gerade deswegen umgehend ins Herz. Seine Unvollkommenheit machte ihn innerhalb von wenigen Wochen zu einem echten ZSCler. Und im Penaltyschiessen der vierten und letzten Partie der Viertelfinalserie gegen den HC Lugano machte er sich in Zürich unsterblich. In fast schon majestätischer Ruhe und mit der Mobilisierung der letzten Sauerstoffreserven pflügte er sich durch die Rauchschwaden und düpierte Luganos Goalie Christophe Wahl.
Dass es im Prinzip nicht Krutow, sondern sein Landsmann Sergei Prijachin war, der den Match und die Serie beendete, ist heute vergessen oder wird zugunsten einer angemessenen Heldenverehrung vielleicht auch wissentlich unterschlagen. Nach Krutows Penalty war die Serie für das Publikum entschieden. Das Hallenstadion, ja die ganze Stadt stürzte in eine mehrtägige Ekstase. Del Curto sagt: «Wildfremde Menschen schütteten sich Bier über den Kopf, rissen sich die Kleider vom Leib und schnitten sich die Krawatten ab.»
Beat D’Altri war mittendrin im Tumult. Er sagt: «Wir haben da zum ersten Mal an etwas gerochen, was wir zuvor nicht kannten. Wir hatten Erfolg. Das hat etwas ausgelöst.» Das war nicht nur gut für den ZSC. Mitzuspielen und gelegentlich einen unerwarteten Sieg zu feiern, reichte auf einmal nicht mehr. Der Klub tätigte Transfers von begabten Schweizer Spielern und verpflichtete Edgar Salis, Claudio Micheli oder Andy Ton, die er sich im Prinzip nicht leisten konnte, und legte damit den Grundstein für die Fusion nur fünf Jahre nach dem Play-off-Rausch gegen Lugano.
Selbst leidenschaftliche ZSC-Anhänger und Kritiker der ersten Stunde wie Guido Tognoni oder Beat D’Altri anerkennen heute, dass der Zusammenschluss mit der Eishockey-Sektion der Grasshoppers in der Retrospektive das Beste war, was dem ZSC passieren konnte. Skeptiker wie Roger Schawinski, die Walter Frey unterstellten, er wolle sich zum Budgetpreis einen Nationalliga-A-Klub unter den Nagel reissen, sahen sich später eines Besseren belehrt. Wie viel Frey bis heute in die Lions investiert hat, ist nicht bekannt. Aber billig ist die Übernahme des ZSC für ihn bestimmt nicht geworden.
Ankunft von Wladimir Krutow mit Sohn Alexei Ende 1990.
Str / Keystone
Die ZSC Lions sind heute eine Macht im Schweizer Eishockey und einer der ersten Titelanwärter in den Play-offs, die sie am Mittwoch gegen den EHC Biel beginnen. Und doch ist ein Stück des alten ZSC verlorengegangen. Die Stimmung im Hallenstadion ist nicht mehr, wie sie einmal war. Die Zuschauer sind verwöhnt nach den 6 Titeln in den letzten 22 Jahren, die Erfolge haben dem Klub jenes Image geraubt, das ihn einzigartig machte.
Selbst Walter Frey sagt, dass es den Groove, den das alte Hallenstadion ausgezeichnet hat, nicht mehr gebe. Das mag mit dem Umbau der Arena 2004 und 2005 zusammenhängen. Frey sagt: «Doch ich denke, auch das Publikum hat sich verändert. Die Zuschauer in den alten ZSC-Zeiten waren geprägt vom Geist der 1968er Generation, die gegen das Establishment rebelliert und den Marsch durch die Institutionen angetreten hatte.»
Frey tut sich schwer damit, dass man ihn zum reinen Geldgeber, zum Mäzen reduziert, der mit seinem Geld einen notorisch erfolglosen und defizitären Klub konkurrenzfähig gemacht hat. Er sagt: «Natürlich will auch ich immer gewinnen. Doch wichtiger noch ist mir, dass man sieht: Da steckt ein ehrliches Bemühen dahinter. Hier wird etwas aufgebaut.» Deshalb hat er die Zahlen mitgebracht: 71 Mannschaften, 1376 Spieler, eine ganze Liste von Titeln – und diesen einen Satz: «Wir sind keine unerfolgreiche Organisation.»
Doch wann ist eine Organisation erfolgreich? Wenn sie möglichst viel gewinnt, oder wenn sie die Herzen des Publikums berührt, es mitreisst?
1992, nach der Sensation gegen Lugano, war man stolz auf Zürich und seinen ZSC. Und stolz war man auch 2000, als der ZSC als Lions den Titel nach 39 Jahren an die Limmat zurückholte. Da war das Anhängsel am Namen kein Thema mehr. Auch wenn Beat D’Altri sagt, er kenne Menschen, die wegen der Fusion bis heute nicht mehr ins Hallenstadion zurückgekehrt seien.
Mathias Seger 2009 mit dem Champions-League-Pokal.
Patrick B. Kraemer / Keystone
Abschied vom Hallenstadion
Seit zehn Jahren werben die ZSC Lions mit dem Slogan «Mir sind Züri». Es ist ein Versuch, dem Publikum klar zu machen: Seht her, hier ist jemand, der eure Interessen vertritt, mit dem ihr euch identifizieren und auf den ihr stolz sein könnt. Auch wenn das dem Wesen des zwinglianischen Zürich widersprechen mag.
Nun steht dem ZSC die nächste grosse Zäsur bevor. Nach den Play-offs ziehen die Lions aus dem Hallenstadion aus und nach Altstetten um – nach über siebzig Jahren voller bitterer Niederlagen und auch dem einen oder anderen gloriosen Sieg. Der Klub braucht die neue Arena, um wirtschaftlich von Walter Frey und seinen Verwaltungsratskollegen unabhängiger zu werden. Doch er wird damit ein weiteres Stück seiner ursprünglichen Identität verlieren.
Als Arno Del Curto im Herbst 1991 als Jungtrainer den ZSC übernahm, schlief er in den ersten Nächten in einer Radfahrer-Kajüte des Sechstagerennens. Dann erhielt er einen Schlüssel zur Abwartswohnung und damit freien Zugang ins Hallenstadion. «Ich war hier zu Hause, sah jedes Konzert. Wer nie mit einem Bier und einer Bratwurst in der Hand im dritten Rang sass und die Sprüche dieses leidensfähigen Publikums hörte, wird die Seele des ZSC nie verstehen.»
Ab dem Herbst wird es im Millionen-Zürich ein paar Heimatlose mehr geben.