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«Die Fussball-Legende der Woche»: Lawinen von Toren und «Hitler»-Beleidigungen von einem Sitten-Profi: 1987 bereicherte der Weltstar Karl-Heinz Rummenigge im Servette FC die NLA
Ende der 1980er Jahre herrscht im Schweizer Fussball Goldgräberstimmung. So kommt es, dass auch der deutsche Superstar Karl-Heinz Rummenigge in der NLA für Servette spielt.
Nicola Berger (NZZ)
Ein Weltstar auf Schweizer Plätzen: Karl-Heinz Rummenigge im Juni 1989 in Bellinzona vor seinem letzten Spiel für Servette.
Angelo Guarino / Keystone
Am 24. September 1987 landet in Genf-Cointrin ein silberner Learjet aus Mailand, eine Privatmaschine. Der Trubel ist gross, es drängen sich Zeitungsleute, Kamerapersonal und Fans. Karl-Heinz Rummenigge entsteigt dem Flugzeug und wird ins Büro des Servette-Präsidenten Carlo Lavizzari chauffiert, um dort seinen Vertrag zu unterschreiben, der den Transfer von Inter Mailand nach Genf besiegelt.
Rummenigge ist 32 und ein Mann von Renommee: zweifacher Ballon-d’Or-Sieger, deutscher Nationalspieler, Europameister. Sein Transfer ist eine kleine Sensation. Der danach recht eilig eingestellten Ringier-Wochenzeitung «Blick für die Frau» gegenüber begründet er den Wechsel so: «Die Schweiz ist für Ausländer sehr interessant geworden, viel interessanter als zum Beispiel die Bundesliga. In der Schweiz spielen Leute wie Stielike, Paulo Cesar, Sinval, Eriksen – um nur ein paar Namen zu nennen. In Deutschland gibt es Pfaff, aber dann fängt bei mir schon das Grübeln an.»
Der Rummenigge-Transfer war das Opus magnum des Immobilienhändlers und späteren Nationalliga-Präsidenten Carlo Lavizzari, eines Mannes, der mit einem der stattlichsten Schnäuze in die hiesige Fussballgeschichte eingegangen ist.
Im Schweizer Fussball herrschte Mitte der 1980er Jahre eine gewisse Goldgräberstimmung, gerade war Trikotwerbung erlaubt worden, und es gab in vielen Städten Männerrunden, die kostspielige Transfers ermöglichten. Ein Jahr vor der Rummenigge-Verpflichtung hatte Lavizzari sich stark um Michel Platini bemüht, der Wechsel scheiterte erst in letzter Minute.
Carlo Lavizzari bemühte sich zunächst um die Dienste von Michel Platini, bei Karl-Heinz Rummenigge hatte der damalige Servette-Präsident dann Erfolg.
Salvatore Di Nolfi / Keystone
Rummenigge wollte werden wie Franco Baresi
Der heute unüberwindbare finanzielle Graben zu den Topligen war damals marginal, das änderte sich erst mit der zügellosen Kommerzialisierung des Fussballs, den Schiffsladungen an TV-Geld und der gnadenlosen Kapitalisierung der europäischen Wettbewerbe – welche Rummenigge als Funktionär bei Bayern München über die Jahre ohne Rücksicht vorantrieb.
Für Servette debütierte Rummenigge im Cup, bei Châtel-St-Denis, auf dem Acker des Stade du Lussy, vor 4000 Zuschauern – und beweist im eleganten Placette-Dress schnell, dass er noch nicht aufs Altenteil gehört. In 56 Partien gelingen ihm 35 Tore, im zweiten Jahr wird er Torschützenkönig und «Fussballer des Jahres». Und das, obwohl er die Saison als Libero beginnt und sagt, er wolle werden wie Franco Baresi, der beinharte italienische Abräumer.
Dem «Blick» diktiert er auch nach einem 1:5 in Sitten noch im Brustton der Überzeugung: «Ich bleibe Libero. Die neue Aufgabe macht mir wahnsinnig Spass.» Der Trainer Jean-Claude Donzé jedoch kam doch zur Räson und stellte Rummenigge wieder als Stürmer auf. Der Deutsche traf so zuverlässig, dass Servette die Saison auf Platz 2 beendete.
Er trifft wie selbstverständlich, bei Bayern, Inter und auch bei Servette: Karl-Heinz Rummenigge.
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Rummenigges Rencontre mit Renquin
Die Duelle mit dem Erzrivalen FC Sion waren auch sonst nicht immer angenehme Rencontres für Rummenigge. Nach einem Duell auf der Charmilles klagt er öffentlich, sein Gegenspieler, der belgische Internationale Michel Renquin, habe ihn als «Hitler» beschimpft. «Er schrie mir das fünf Mal ins Ohr. Seit dem EM-Final von 1980, bei dem wir Belgien 2:1 schlugen, mag mich Renquin offensichtlich nicht besonders.»
Am 14. Juni 1989 tritt Rummenigge zurück, bei seinem Abschiedsspiel gegen Bellinzona trifft er wie selbstverständlich – und ihm wird mit einer Ovation gehuldigt. «Ich nehme gerne Abschied, denn ich habe meinen Job in den letzten 15 Jahren total ausgelebt und ausgekostet.»
Im Frühjahr 1990 versucht Servette die Amour fou in der Stunde der sportlichen Not noch einmal aufflammen zu lassen und bittet Rummenigge um ein Comeback, um in den letzten sechs Spielen den Abstieg zu verhindern. Nach einer Bedenkzeit sagt der Deutsche ab. Und nimmt im Herbst 1991 seine Arbeit bei Bayern München auf.