- Offizieller Beitrag
Im gläsernen Luxuskäfig
Das Schweizer Eishockey boomt, doch die Auswärtsfans schwinden. Die modernen Arenen zeigen das ohne jede Romantik – und lösen Widerstände aus.
Philipp Muschg (TA)
Panzerglas oder Plexi? Können wir uns Auswärtsfans noch leisten? Solche Fragen beschäftigen die Manager der National League in Zeiten, in denen für über eine halbe Milliarde Franken neue Stadien entstehen. Die baulichen Antworten werfen hohe Wellen.
«Dieser Käfig erwartet die Gästefans», titelte der «Blick», als am Dienstag in Freiburg die BCF-Arena eröffnet wurde. Empörung auch eine Woche zuvor: Zur Einweihung der Lausanner Halle lancierten Fans eine Petition, die den Gästesektor als «kleinwitzig» brandmarkt und verlangt, die Liga solle «gegen solche Frechheiten vorgehen».
Wenig Verständnis
Es sind Worte, die von Wut und Erregung zeugen. Vor allem aber von einem Wandel im Schweizer Eishockey. Denn heute, wo jeder Match im Live-TV zu sehen ist, reisen vor allem an Werktagen immer weniger Fans ihrem Club hinterher. Auch darum stossen die Reaktionen bei den Betroffenen auf gar kein Verständnis.
«Wenn ich sehe, dass in achtzig Prozent der Spiele der Gästesektor halb leer ist, dann ist das eine Nulldiskussion», sagt Raphaël Berger, Generaldirektor von Fribourg. «Unser Fansektor ist so gross, dass wir immer noch nicht alle Billette verkaufen», sagt Sacha Weibel, CEO von Lausanne.
Die Zahlen geben ihnen recht: Gottérons Gästesektor wuchs im Vergleich zum alten um 50 auf 300 Stehplätze. Derjenige in Lausanne um 20 auf 200. Dazu kommen in beiden Stadien neue Sitzplätze für Gästefans. Warum also die Aufregung? Sie hat andere, auch psychologische Gründe. Das Gefühl etwa, nicht willkommen zu sein.
Die Fans pflastern sich die Aussicht gleich selber zu
«Sich in einen Glaskäfig im Stadion zu drängen, macht ja wohl nun gar keinen Sinn mehr», schrieb ein Berner Fan am Dienstagmorgen ins SCB-Forum. Am Abend nutzten seine Kollegen den Match zum Protest: Sie pflasterten den Freiburger Gästesektor mit Klebern zu. «Wer so etwas tut, sollte nicht über schlechte Sicht diskutieren», sagt Berger. Inzwischen sei alles wieder geputzt.
Es dürfte kaum die letzte Reinigung gewesen sein. Das Beispiel zeigt den Zwiespalt der Clubs: Einerseits wünschen sich alle ein stimmiges Stadion und hohe Umsätze bei Ticketing und Gastronomie. Andererseits sind die Gästefans ein erheblicher Kostenfaktor: In Freiburg verursachen sie gemäss Berger mit vier Prozent Publikumsanteil über 70 Prozent der Sicherheitskosten.
Wie gut ein Club das verkraftet, ist je nach Kanton und Gemeinde verschieden. Während der ZSC aufgrund eines Abkommens mit der Stadt Zürich in der Qualifikation kaum einen Franken bezahlt, weil die vereinbarten 200 Mannstunden Polizei pro Match so gut wie nie ausgeschöpft werden, sieht es im ländlichen Langnau ganz anders aus. Die Spiele der SCL Tigers verursachen polizeilichen Aufwand, der dem Club Ende Saison in Rechnung gestellt wird – und mehrere Hunderttausend Franken beträgt.
«Respect – Faire Fans»
Dieser Posten ist im Budget kaum kalkulierbar. Ein Vorfall wie letzte Saison, als ZSC-Ultras in Langnau Pyros abbrannten, kann massiv ins Geld gehen. Entsprechend suchen die Clubs Lösungen. Die Tigers etwa lancierten die Kampagne «Respect – Faire Fans», die an Toleranz und Verantwortung appelliert. Andere gehen weiter.
So werden in Zug und Lausanne die Identitäten der Gästebesucher aufgenommen. Als Reaktion boykottieren die Fans der Konkurrenz diese Clubs. Es gibt aber auch subtilere Methoden, Problembesucher abzuschrecken: indem Tickets für den Gästesektor nur via Fan-Delegierte zu erwerben sind. Oder indem jede Fahne vorgängig fotografiert und bewilligt werden muss.
Dass solche Massnahmen unterschiedslos alle abschrecken, die für Stimmung sorgen, wird in Kauf genommen. Und ist nicht allein Schuld der Clubs. «Machen wir uns nichts vor», erklärt der Fan-Delegierte eines National-League-Clubs, «dass es so weit gekommen ist, liegt zum grossen Teil an den Ultras.» Die vermeintlichen Käfige in Freiburg und Lausanne sind ja nichts anderes als die bauliche Umsetzung eines Liga-Reglements, das nach diversen Zwischenfällen «konsequente Fan-Trennung» vorsieht.
Und die neuen Arenen haben auch ihr Gutes.
In Freiburg müssen die Gästefans nicht mehr das Stadion verlassen, um die mobilen Toiletten zu nutzen. Und in Lausanne fühle man sich zwar wenig willkommen, sagt einer, der die Stehplätze der «Vaudoise aréna» schon erlebte: «Aber die Halle ist sensationell und die Ticketpreise fair.» Sein Fazit: «Es ist ein grosser Aufschrei für nichts – die meisten, die jammern, gehen eh nicht hin.» Gut zwanzig Besucher hat er auf den Stehplätzen gezählt.
Im Playoff werden diese Zahlen in die Höhe schnellen. Doch bis dann sind die im Verhältnis kleineren Gästesektoren nur die Fortsetzung eines Trends. Und solange die Zuschauerzahlen generell stimmen – mit über 2 Millionen erreichte die Liga 2018/19 das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte –, dürfte sich daran wenig ändern.
Biel, die Lieblingsdestination für Sonderzüge
Zumal es an attraktiven Zielen für Stehplatz-Fans weiter nicht mangelt. Bern und die Lakers locken mit fast tausend Plätzen. Biel hat seine geografische Lage geschickt genutzt, um sich als Lieblingsdestination für Sonderzüge zu etablieren. Und der ZSC plant seine neue, 2022 bezugsbereite Halle ebenfalls für vierstellige Gästezahlen.
Bruno Vollmer betreut das Projekt. In der Swiss-Life-Arena soll es keinen Käfig geben, aber seitliche Trennwände braucht es doch. «Schöne, hohe», schwärmt Vollmer, «aus Panzerglas, das sehr edel wirkt.»
In Freiburg ist es Plexi.