- Offizieller Beitrag
Eine Meisterschaft zerstört sich selbst
Wie Putins Krieg die Sportlandschaft durchpflügt
Der russischen KHL droht der Zerfall, profitieren könnte nebst Schweden vor allem die Schweizer Eishockeyliga.
Eishockey, während das Land im Krieg ist: Fans von SKA St. Petersburg begrüssen das Heimteam vor dem Playoff-Spiel gegen Spartak Moskau am 18. März 2022.
Foto: Maksim Konstantinov (SOPA Images/LightRocket via Getty Images)
Gibt es die KHL nächste Saison überhaupt noch? Und wenn ja, in welcher Form? Das sind die Fragen, die derzeit auch viele nicht-russische Spieler und ihre Agenten umtreibt. Ausserhalb der sportlichen Blase sorgt die vorwiegend aus russischen Teams zusammengesetzte Kontinental Hockey League für andere Schlagzeilen. Wenn während aktueller Playoffspiele das für die Unterstützung des Krieges stehende «Z» prominent auf Anzeigetafeln auftaucht, wirkt die Liga in ihrer Inszenierung wie ein Propagandavehikel des Putin-Regimes. Volume 90%
Pausenunterhaltung: In der 1. Drittelspause bei Bars Kasan – Avangard Omsk am 10. März 2022 wird für die Zuschauer das Z-Symbol eingeblendet.
Zwei der fünf nicht russischen Teams, Jokerit Helsinki und Dinamo Riga, haben sich nach Kriegsbeginn von der KHL losgelöst. Die anderen sind Clubs aus China (Red Star Kunlun), Kasachstan (Barys Nur-Sultan) und Weissrussland (Dinamo Minsk), alle sind bereits aus der Meisterschaftsentscheidung sportlich ausgeschieden.
Platz für mindestens 30 neue Import-Spieler
Die KHL ist nach der nordamerikanischen NHL die sportlich zweitbeste Eishockeyliga der Welt. Diesen Status könnte sie nun verlieren. Denn nicht nur die vielen russischen Spieler, die ein Engagement in der Heimat vorziehen, machen die KHL aus. Sondern auch zahlreiche nordamerikanische, finnische und schwedische Topspieler. Damit könnte es vorbei sein.
Er könne sich kaum vorstellen, dass diese nicht russischen Spieler nächste Saison in die KHL zurückkehren, sagt Peter Wallén. Der 57-jährige Schwede ist der wohl prominenteste schwedische NHL-Spieleragent, er betreut Topstars wie Victor Hedman, Gabriel Landeskog oder Jonas Brodin, hat aber auch in Europa Kundschaft.
Zitat«Die Ligen in der Schweiz und Schweden könnten nächste Saison richtige Powerhouses im europäischen Eishockey werden.»
Peter Wallén, schwedischer Agent
Die schwedische Liga SHL werde bereits jetzt von Anfragen von Spielern mit KHL-Verträgen überschwemmt, sagt Wallén. Er erwartet dasselbe für die Schweizer National League. Seine Prognose: «Diese beiden Ligen könnten nächste Saison richtige Powerhouses im europäischen Eishockey werden.»
Die Ausgangslage in der Schweiz ist in der Tat speziell. «Der Markt ist wegen der Situation in der KHL von Spielern überflutet, es herrscht grosse Unsicherheit bei den Spielern», bestätigt Jan Alston, Sportchef des HC Davos, der noch auf der Suche nach zwei Ausländern für nächste Saison ist. Nächsten Winter dürfen die National-League-Clubs mit fünf statt wie bislang vier Ausländern spielen. Gibt es einen Aufsteiger, was wahrscheinlich ist, sind es sogar sechs. Da niemand absteigt, wären es neu 14 NL-Teams, das sind also gut 30 neue Plätze für Importspieler.
Das Angebot übersteigt dennoch die Nachfrage. Dafür sorgt schon alleine Jokerit Helsinki. Ob die Finnen bereits nächste Saison wieder in ihre heimische Meisterschaft einsteigen können, ist fraglich. All ihre Spieler dürften bereits auf Clubsuche sein, da ihnen droht, nächste Saison in keiner Meisterschaft teilnehmen zu können. Sie dürften auch Richtung Schweiz schielen. Genauso wie die nicht russischen KHL-Goalies – allein sechs schwedische Torhüter spielten diese Saison in der KHL.
Der Clown hat in der KHL ausgelacht: Henri Ikonen trägt das Kult-Jersey Jokerit Helsinkis beim Auswärtsspiel gegen SKA St. Petersburg am 19. Oktober 2021 – seit März spielt der Stürmer in seiner Heimatliga in Finnland für Lukko Rauma.
Foto: Maksim Konstantinov (SOPA Images/LightRocket via Getty Images)
Die National League ist zwar jene Liga mit den weltweit im Schnitt dritthöchsten Löhnen. Die teilweise Millionen-Jahressaläre der KHL-Topspieler können die Schweizer Clubs aber nicht zahlen – das ist auch den KHL-Spielern auf Clubsuche bewusst. Die Löhne dieser Spieler werden also drastisch sinken, sie werden sich den Marktpreisen anpassen müssen.
Schweizer Sportchefs, die noch viele offene Importplätze für nächste Saison haben und Geduld beweisen, könnte der Exodus aus der KHL einem Lottosechser gleichkommen. «Viele dieser erhältlichen KHL-Spieler sind frühere NHL- oder Top-AHL-Spieler», sagt Wallén. «Wenn man sie haben kann, gibt es keinen Grund mehr, durchschnittliche AHL-Spieler zu holen.»
Zitat«Wenn die Schweizer Sportchefs meinen, der sechste Ausländer werde nun extrem billig, dürfen sie eines nicht vergessen: Für gute Spieler können auch deutsche und schwedische Teams gewisse Summen zahlen.»
Daniel Giger, Schweizer Spieleragent
Ambri-Piotta zum Beispiel hat erst einen Ausländer unter Vertrag, Sportchef Paolo Duca wird also noch bis zu fünf neue Imports engagieren. Er könne nicht bei allen lange zuwarten, da ihm auch wichtig sei, für die Teamstruktur Spieler für bestimmte Positionen und Rollen zu verpflichten, sagt Duca. Bei den Nummern 4 bis 6 könne er sich hingegen vorstellen, zu «pokern» und auf ein «Schnäppchen» zu hoffen. Aber, so Duca: «Top-Ausländer werden weiter gut verdienen.»
Dieser Meinung ist auch Daniel Giger. Der 47-jährige frühere Spieler arbeitet für «4sports», die in Zug ansässige grösste Spieleragentur in der Schweiz, die weltweit Spieler berät. Giger rechnet auch mit einem grossen Markt von guten KHL-Spielern und sinkenden Löhnen. Aber er sagt: «Wenn die Schweizer Sportchefs meinen, der sechste Ausländer werde nun dank der neuen KHL-Situation extrem billig, dürfen sie eines nicht vergessen: Für gute Spieler können auch deutsche und schwedische Teams gewisse Summen zahlen.»
Vor allem schwedische Teams, wie auch Sven Leuenberger betont. Der Sportchef der ZSC Lions sieht die Skandinavier mittlerweile auf Augenhöhe mit der Schweiz: «Dies dank ihres lukrativen TV-Deals mit rund vier Millionen Franken pro SHL-Team. Und ab 2024 wird ja noch mehr ausgeschüttet.» Auch Leuenberger erlebt in diesen turbulenten Zeiten Premieren: «Kürzlich kontaktierten mich erstmals russische Agenten und fragten mich, ob ich an russischen Spielern interessiert sei.» Das seien Spieler eines Kalibers gewesen, die sonst für Schweizer Clubs nie infrage kommen würden.
Er war der beste Goalie an den Olympischen Spielen in Peking: Der Finne Harri Säteri posiert am 20. Februar 2022 mit der Goldmedaille. Der 32-Jährige hat sein KHL-Team Sibir Nowosibirsk mittlerweile verlassen und wird die Saison in der NHL bei Arizona beenden. Für 2022/23 ist er noch ohne Club.
Foto: Harry How (Getty Images)
Einer der Verlierer unter Gewinnern könnte Finnland werden. Hört man sich bei Hockey-Leuten der höchsten Spielklasse «Liiga» um, rechnet diese zwar auch mit einheimischen Rückkehrern aus der KHL. Hingegen sehen sie sich in der monetären Hackordnung hinter der Schweiz, Schweden und auch Deutschland. Das könnte ebenfalls einen Einfluss auf den Schweizer Goaliemarkt haben. Nicht nur sechs schwedische Goalies spielten diese Saison in der KHL, sondern auch dieselbe Anzahl Finnen. Einer davon war Janne Juvonen, der Anfang März zu Ambri-Piotta wechselte und bei den Tessinern zum Helden wurde. Wie gut diese Goalies sind, zeigt auch dies: Juvonen war bei Jokerit nur Ersatzgoalie …
Der Unmut in Schweden über die in Russland bleibenden KHL-Spieler
Noch läuft die KHL-Meisterschaft unbeirrt weiter, das Playoff ist in vollem Gang. Es sind bei den Teams, die noch im Rennen um den Titel sind, nach wie vor einige nicht russische Spieler dabei. Das sorgt gerade in Schweden für Kontroversen, man sieht ihre Landsleute als Teil der russischen Kriegspropaganda. Auch «4sports» betreut mit dem früheren Zuger Stürmer Oscar Lindberg einen Schweden, der bis zum letzten Mittwoch und dem Out seines Clubs Dinamo Moskau in Russland spielte.
Die Spieler selbst äussern sich kaum dazu, selbst ihre in Schweden ansässigen Agenten schweigen teilweise. Ein von dieser Zeitung kontaktierter schwedischer Spielerberater verweist auf den Beschluss seiner Agentur, sich in keiner Weise zu KHL-Themen zu äussern, bevor nicht alle Spieler wieder sicher in der Heimat sind.
Ganz so einfach ist eine vorzeitige Rückkehr allerdings auch nicht. Die KHL-Clubs üben einerseits viel Druck auf ihre Spieler aus, andererseits ist die Ausreise wegen des fast komplett ausgesetzten Flugverkehrs aus und nach Russland kompliziert und mit Schikanen verbunden. Den in der KHL verdienten Lohn in die Heimat mitzunehmen, ist ebenso eine Herausforderung.
Er harrte bei Dinamo Moskau lange aus und war im Playoff mit 9 Punkten in 11 Spielen einer der besten KHL-Skorer: Oscar Lindberg, hier im Jersey des EV Zug, aufgenommen am 17. Dezember 2019 bei einem Spiel in Lausanne.
Foto: Monika Majer (RvS.Media/Getty Images)
Die KHL zahlt die Löhne auf russische Konten in Rubel. Nicht nur hat die Währung seit Kriegsbeginn massiv an Wert verloren. Da die Sanktionen des Westens auch das russische Banksystem betreffen, ist es derzeit kaum möglich, Rubel auf ausländische Konten zu übertragen. Die Agenten empfehlen ihren Spielern, das Geld auf den russischen Konten zu belassen und das Ende des Krieges abzuwarten – mit dem Risiko, dass es dann «verschwunden» respektive «nationalisiert» sein könnte.
Hin und wieder braucht es gutes Timing, damit der Abgang aus der KHL problemlos erfolgt – wie für Pär Lindholm. Der von Wallén betreute Stürmer von Bars Kasan nutzte die Olympiapause im Februar, um nach Schweden zu seiner Ehefrau zu reisen, um bei der Geburt seines Kindes dabei zu sein. Dann brach der Krieg aus, und Lindholm kehrte nicht mehr zurück.