- Offizieller Beitrag
Ungleicher Kampf der Giganten
Weshalb der ZSC dem SCB davonzieht
Vor dem Duell auf dem Eis am Freitagabend vergleichen wir die ZSC Lions und den SC Bern. Das Verdikt ist eindeutig – derzeit.
Adrian Ruch, Reto Kirchhofer (TA)
Der SC Bern und die ZSC Lions sind die Schwergewichte des Schweizer Eishockeys. Seit 2012 hiess der Meister mit einer Ausnahme SCB oder ZSC. Einzig 2015 ging der Meisterpokal nach Davos – und nach einem Missgeschick von Teamleiter Paul Berri noch vor der Garderobe in die Brüche.
Mittlerweile ist die Dominanz der Berner weg. Während der ZSC in dieser Saison als erster Titelanwärter gilt, wird dem SCB in den Prognosen ein harter Kampf ums Playoff prognostiziert.
Nun sind Prognosen wie Laternen für Betrunkene: Sie geben Halt, aber nicht immer Erleuchtung. Dennoch steht ausser Diskussion, dass die Giganten momentan nicht in derselben Gewichtsklasse spielen. Wir nennen sieben Faktoren.
Corona und dessen Folgen
Die Pandemie trifft alle professionellen Eishockeyclubs, doch die finanziellen Einbussen sind beim SC Bern am grössten. Mit der Gastronomie lassen sich derzeit keine Gewinne realisieren, mit denen die Sportabteilung alimentiert werden kann. Auch die Lions wirtschaften seriös, aber deren Geschäftsmodell basiert unter anderem auf den Finanzspritzen des Milliardärs Walter Frey. Diese Geldquelle dürfte weitersprudeln, zeigten die Beratungsgesellschaft PWC und die Grossbank UBS doch kürzlich mit einer Studie auf, dass die Vermögen der Superreichen seit Beginn der Corona-Krise im Durchschnitt noch zugenommen haben.
Zudem verliert der SCB durch die Einschränkungen am meisten Matchbesucher. 19-mal in Folge waren die Mutzen der Zuschauerkrösus Europas, und jetzt sind sie nicht einmal mehr die Nummer 1 im Land. Diesen Platz nimmt nun der Rivale aus Zürich ein. Im Hallenstadion wurde die Kapazität von 11’200 auf 7762 Personen beschränkt. Der SCB darf statt 17’031 maximal noch 6750 Menschen beherbergen.
Struktur und Perspektiven
Der ZSC war in der Vergangenheit bei der Spielansetzung oft benachteiligt, weil im Hallenstadion andere Events durchgeführt wurden. Doch im August 2022 ziehen die Lions in die Swiss-Life-Arena um – in mehrhafter Hinsicht ein Quantensprung. Das neue Stadion wird 12’000 Besucher fassen, über ein zweites Eisfeld sowie eine 460 Quadratmeter grosse ZSC-Garderobe verfügen.
Bern spielt zwar in der grössten Eishockeyarena des Landes, aber diese gehört bald zu den ältesten. SCB-Boss Marc Lüthi sieht den SCB deswegen nicht im Nachteil. Ja, mittelfristig müsse das Klimaproblem gelöst werden, aber die Seite mit dem Arena-Restaurant und dem VIP-Bereich sei topmodern, sagt er. Nach der Pandemie sollen Stehrampe und Gästesektor wieder geöffnet werden. «Das macht uns aus; für viele Fans ist unsere Halle nach wie vor der Tempel.»
Das Geschäftsmodell des SCB war schon vor dem Auftauchen des Coronavirus an seine Grenzen gestossen. Trotzdem ist Lüthi nicht neidisch auf den ZSC, der über einen treuen Mäzen verfügt. «Wir müssen neue Wege finden, Geld zu verdienen. Die derzeitige Situation hat kurz und vielleicht mittelfristig Einfluss auf die Qualität der Mannschaft. Aber ich bin überzeugt, dass wir uns nach der Krise in einem Jahr oder in zwei Jahren erholen werden und dann wieder angreifen können.»
Die Qualität im Kader
So viel vorneweg: Es wäre ein Fehler, die Mannschaft des SCB abzuschreiben. Der Kern ist intakt. Etliche Akteure sind mehrfache Meisterspieler, zählen in ihren Rollen noch immer zu den Besten der Liga. Doch nach drei Titeln in vier Saisons hat Bern den Zenit überschritten. Es bedarf eines Umbruchs. Zudem geht der aktuellen Equipe das Skorerpotenzial ab.
Das Kader des ZSC ist formidabel in Qualität und Quantität. Die Zürcher können es sich gar leisten, auf den temporären Rückkehrer Pius Suter zu verzichten (er spielt stattdessen im Farmteam GCK Lions) und sich so die Option offen zu lassen, gemäss neuer Regelung einen fünften Ausländer zu verpflichten und einzusetzen. Der SCB hingegen setzt aus Spargründen zurzeit nur auf zwei ausländische Feldspieler plus Goalie Tomi Karhunen.
Und noch ein Vergleich: Der ZSC vereint im Kader die Erfahrung aus 749 NHL-Partien und 290 WM-Spielen – der SCB erreicht Werte von 195 respektive 212.
Die Transfers
Es gab eine Zeit, da wurde dem SCB mit dem Begriff «Königstransfer» die Krone aufgesetzt: 2008 dank der Verpflichtung von Martin Plüss, im Oktober 2015 nach der Unterschrift Leonardo Genonis. Jüngst standen die Berner bei grossen Transfers auf der Verliererseite. Mit Genoni ging der beste Goalie, mit Mark Arcobello der konstanteste Ausländer der Liga. Die Arcobello-Lücke wurde nicht geschlossen: Dustin Jeffrey und Ted Brithén sind formidable Spielmacher, sie können den Amerikaner hinsichtlich der Skorerpunkte aber nicht ersetzen.
Das Label des Königstransfers des Sommers trägt aber nicht Arcobello, sondern Sven Andrighetto. Der NHL-erprobte Flügel unterschrieb für fünf Saisons … bei den ZSC Lions.
Die sportliche Führung
ZSC-Coach Rikard Grönborg führte Schweden zweimal zum Weltmeistertitel. ZSC-Sportchef Sven Leuenberger ist Architekt mehrerer Meisterteams. Und in Bern? Steht mit Don Nachbaur ein Trainer in der Verantwortung, dessen Name bis vor wenigen Monaten im Schweizer Eishockey den wenigsten geläufig war – selbst wenn er unvergesslich scheint. Und Florence Schelling spricht im Zusammenhang mit ihrer Ernennung zur SCB-Sportchefin selbst von einem «unglaublich grossen Karriereschritt» und einer «komplett neuen Herausforderung». Zwar ist Erfahrung nicht immer gleich Kompetenz, aber die Diskrepanz ist augenfällig.
Kommt hinzu, dass der SCB zurzeit weder einen zweiten Assistenten noch einen Videocoach beschäftigt. Was wenig zeitgemäss ist – Corona-Sparkurs hin oder her.
Die jüngsten sportlichen Leistungen
Quizfrage: Wer ist amtierender Meister? Genau: Bern, das im Frühling das Playoff verpasste. Nach dem Abbruch der Saison entschied die Ligaversammlung, keine Titel zu vergeben. SCB-Geschäftsführer Marc Lüthi hatte vergeblich für den überzeugenden Qualifikationssieger ZSC als Meister votiert: «Nun bleiben wir amtierender Meister, und das haben wir nicht verdient.» Womit er richtig liegt.
In dieser Saison haben beide Teams zweimal verloren, wobei der ZSC bereits fünf und Bern erst drei Partien bestritten hat. Die Favoritenrolle für den ersten Vergleich auf dem Eis in der Saison 2020/21 ist verteilt.
Nachwuchs und Farmteam
Der ZSC hat mit den GCK Lions in der Swiss League ein Farmteam, auf dessen Spieler er im Bedarfsfall zurückgreifen kann. Das kann sich Bern nicht leisten, doch die Zusammenarbeit mit dem Partnerteam aus Visp funktioniert gut. Dass der SCB über keine Frauenabteilung verfügt, fällt für die erste Mannschaft nicht ins Gewicht. Etwas anderes hingegen schon: Der Talentpool des ZSC ist deutlich grösser als jener der Mutzen. In der Nachwuchsabteilung der Lions spielen über 1000 Kinder und Jugendliche, beim SCB sind es rund viermal weniger.
Während die Zürcher in jeder Altersklasse und innerhalb dieser auf jedem Niveau mit mindestens einem Team vertreten sind, setzen die Mutzen auf ein Pyramidensystem. Auf Stufe U-17 und U-20 hat der SCB nur noch je eine aus leistungsorientierten Spielern bestehende Equipe. U-20-Meister ist der SCB letztmals 2016 geworden, die GCK Lions holten ihren letzten Titel ein Jahr später. In der Qualifikation hatten die Mutzen zuletzt allerdings fast immer die Nase vorn. Entscheidend ist letztlich, wie viele der Talente den Sprung ins Fanionteam schaffen.