Der 62-Jährige, der die Jungen mit seinem Instinkt auf Trab hält
Die Sturmlinien des ZSC sind derzeit eher etwas fürs Papier als für die Realität auf dem Eis. Das zeigt sich auch beim 3:1-Sieg im Spitzenkampf gegen Fribourg.
Kristian Kapp
Publiziert: 29.10.2023, 15:00
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Chef der Zürcher Löwen: Unter Trainer Marc Crawford müssen auch die Grossen um einen Platz im Team kämpfen.
Foto: Urs Jaudas
So schön der Samstag für die Spieler der ZSC Lions mit dem 3:1-Sieg in Freiburg endete, so unangenehm hatte er begonnen. Marc Crawford liess sie am Morgen nochmals deutlich hören, dass er mit dem Effort am Vorabend bei der 1:3-Heimniederlage gegen Lugano nicht zufrieden gewesen war. Der Cheftrainer tat danach das, was er zuletzt immer wieder schon während der Partien tat: Er stellte die Sturmlinien um, kreierte Neues wie auch bereits kurzfristig Ausprobiertes. Crawford, mit 62 Jahren ältester Coach der Liga, ist im Instinktmodus und hält alle auf Trab.
Die Sturmlinien beim ZSC sind derzeit eher etwas fürs Papier als für die Realität auf dem Eis. Die 4. Linie? Wird aus vier rotierenden Spielern gebildet, die Center Reto Schäppi und Nicolas Baechler müssen dabei auch am Flügel ran oder werden hin und wieder in andere Linien hineingeworfen.
Telegramm:
Oder, wie es Willy Riedi, eigentlich linker Flügel der 4. Linie, in Freiburg erlebt: Er darf mit seiner Formation gar das Spiel beginnen, erzielt nach 17 Sekunden das 1:0 und wird drei Shifts später mit einer kurzen Beförderung in eine Linie mit Denis Malgin und Rudolfs Balcers belohnt, um neben den Stars im Forechecking Dampf zu machen. Die Aufsässigkeit zeichnet die Zürcher im hochstehenden und intensiven Spitzenspiel generell aus, sie ist ein Schlüssel zum 3:1-Sieg, der nur in einer kurzen Phase nach Gottérons Anschlusstor zu Beginn des Schlussdrittels ins Wanken gerät.
Es gibt nicht nur Gewinner
Crawfords Arbeit ist ein Balanceakt. Er soll trotz breitester Offensivabteilung der Liga regelmässig Jungen Eiszeit geben, dabei auch erfolgreich sein und bereits Symptome von Sättigung bekämpfen. Vor dem überzeugenden Auftritt in Freiburg hatte die Mannschaft trotz sechs Siegen in acht Spielen nicht nur ihren Trainer nicht immer glücklich gemacht. Dass es bei Crawfords Rotationen auch Verlierer gibt, versteht sich von selbst, wie auch der Fall Simon Bodenmanns zeigt.
Der Stürmer ist mit 35 Jahren ältester Zürcher, er erhielt letzte Saison erst spät und nach scheinbar beschlossener Trennung eine Vertragsverlängerung und passt damit nicht wirklich zu den Bemühungen der Zürcher, vermehrt auf jüngere Spieler zu setzen. Und so findet sich der ehemalige Nationalstürmer erstmals seit seinem Profidebüt in Kloten vor 15 Jahren in einem Kampf nur schon um einen Platz im Team wieder.
Viertlinienstürmer, Torschütze, kurzfristig Beförderter: Willy Riedis Abend in Freiburg ist vielseitig, hier nimmt er die Gratulation vom ehemaligen Teamkollegen Lucas Wallmark entgegen.
Foto: Claudio De Capitanin(Freshfocus)
Lange war er diese Saison entweder Viertlinienstürmer, 13. Angreifer oder sogar überzählig. Bodenmann gesteht, dass er mit dieser Situation auch im mentalen Bereich zu kämpfen hatte: «Das Selbstvertrauen sinkt, und du musst plötzlich lernen, mit nur 9 statt 15 Minuten Eiszeit einen guten Match abzuliefern.» Die Degradierung habe ihn unerwartet getroffen, er sei mit einem guten Gefühl in die Saison gestartet.
«Wir haben ein unglaubliches Kader, das habe ich so noch nie erlebt in der National League», sagt Bodenmann. Es trifft nicht nur ihn: Überzählig waren auch schon ebenso namhafte Spieler wie Justin Sigrist, Phil Baltisberger oder Neuzuzug Yannick Zehnder, der mit anderen Vorstellungen vom EV Zug zum ZSC gewechselt haben dürfte.
Mittlerweile ist Bodenmann wieder Teil der Top 9 im Sturm, in Freiburg bildete er mit Denis Hollenstein (34), dem zweitältesten Stürmer, und dem neuerdings als Center agierenden Youngster Vinzenz Rohrer die 3. Linie – ausser, Crawford rotierte plötzlich jemanden aus der 4. Linie in diese Formation hinein …
Eiszeit ist für ihn nicht mehr selbstverständlich: Simon Bodenmann findet sich in einer ungewohnten Rolle wieder.
Foto: Pascal Muller (Freshfocus)
Bodenmanns Rückkehr in die bessere Rolle war wortwörtlich ein Steigerungslauf. Schritt 1: «Akzeptieren, dass ich wieder von zuunterst aus angreifen muss.» Danach, als er die Spiele zumindest regelmässig als Viertlinien-Stürmer beginnen durfte, war es fast immer er, der bei Crawfords ständigen Umstellungen mitten im Spiel in eine bessere Rolle befördert wurde – Bodenmann als Schweizer Sackmesser des Kanadiers: «Bereits das gab mir Selbstvertrauen und das Wissen, dass ich bislang nicht alles falsch gemacht hatte.»
Crawfords Rotationsprinzip fordert Opfer, es eröffnet gleichzeitig aber auch ständig neue Chancen. «Er will Output sehen, und ich muss es ihm so schwer wie möglich machen, nicht auf mich zu setzen», umschreibt es Bodenmann. Darum gesteht er, so ganz wider die Eishockey-Floskeln, dass er sich letzten Dienstag über sein (statistisches) Tor in Biel gefreut habe: Er lag nach einem Zweikampf auf dem Bauch, wurde von Teamkollege Riedi ungewollt angeschossen, worauf der Puck unmittelbar vor der Torlinie via Kufen Bodenmanns ins Tor gelenkt wurde. «Ein richtiges Scheiss-Tor – aber in so einer Situation tut dir auch so was gut.»