Er ist allein das Eintrittsgeld wert
Der NHL-Stürmer wurde für sein Seelenheil an die ZSC Lions ausgeliehen, nun spielt er gross auf. Alexandre Texier erklärt, wieso es ihm hier so gut gefällt – und liebäugelt damit, in Zürich zu bleiben.
Simon Graf
Publiziert heute um 09:00 Uhr
«Hier habe ich die Freude am Spiel wiedergefunden.» Alexandre Texier vor der Swiss-Life-Arena.
Foto: Sabina Bobst
Als Alexandre Texier im August zu den ZSC Lions stiess, umschwirrten den Franzosen viele Fragezeichen. Bei den Columbus Blue Jackets im US-Bundesstaat Ohio unter Vertrag, wollte er in einer schwierigen Zeit nicht mehr durch einen Ozean von seiner Familie in Grenoble getrennt sein. Zwei Todesfälle in seinem näheren Umfeld hatten ihn erschüttert. Darüber mag er nicht in der Öffentlichkeit sprechen. Möglicherweise spielten auch noch andere Faktoren hinein. Jedenfalls willigte sein NHL-Club ein, ihn für eine Saison an die ZSC Lions auszuleihen. Für sein Seelenheil.
Schon jetzt lässt sich sagen: Es war eine gute Entscheidung. «Hier habe ich die Freude am Spiel wiedergefunden», sagt Texier. Und sein Lächeln. «Es ist mein Markenzeichen», sagt der 23-Jährige beim Treffen in der Sportsbar 1930 in der Swiss-Life-Arena. «Wenn ich lächle, fühle ich mich gut und habe Spass auf dem Eis. Dann spiele ich mein bestes Eishockey.»
Und sein Lächeln steckt an. An guten Abenden ist Texier mit seinem rasanten Antritt, seinen feinen Händen und dem wuchtigen Schuss allein das Eintrittsgeld wert. Von diesen Abenden gab es zuletzt immer mehr. Auch im ersten Viertelfinalspiel gegen den HC Davos war er mit seiner sehenswerten Direktabnahme zum 3:1 und der Vorbereitung des 4:1 eine der auffälligsten Figuren. In den letzten sechs Spielen hat er sechsmal getroffen – so oft wie in seinen ersten 24 Auftritten. Wirkte er anfangs oft etwas verloren, tritt er je länger, desto dominanter auf.
«Ich musste mich zuerst an die Liga, ans grössere Eisfeld, ans ganze Umfeld gewöhnen und an alles, was auch ausserhalb des Eisrinks passiert», sagt Texier. «Als ich mich nur noch auf mich selbst konzentrieren konnte, wurde es immer besser.» Die Vermutung, er habe möglicherweise gedacht, er könnte als NHL-Crack in der Schweiz einfach so durch die gegnerischen Abwehrreihen tanzen, und sei dann überrascht worden, dass es nicht so einfach ist, wischt er mit einem Lächeln weg. «Die National League ist nicht die NHL, aber hier wird wirklich gutes Eishockey gespielt.»
Zitat«Wir sind uns sehr nahe hier. Hier kann wirklich ein Team entstehen, mehr als in der NHL. Dort kommen und gehen die Spieler.»
Alexandre Texier
Die Nestwärme in Zürich hat Texier gutgetan. Anfangs noch sehr zurückhaltend, ist er auch in der Garderobe aufgeblüht. «Wir sind uns sehr nahe hier», sagt er. «Hier kann wirklich ein Team entstehen, mehr als in der NHL. Dort kommen und gehen die Spieler. Du weisst nicht, wer am nächsten Morgen noch in der Umkleidekabine sein wird. Hier gibt es kaum mehr Wechsel. Das ist eine andere Art, zusammenzuarbeiten. Wir haben eine Gruppe, die zusammenhält. Ich glaube, das wird uns im Playoff zugutekommen.»
Dieses Bild gab es zuletzt oft: Alexandre Texier hat in den letzten sechs Spielen sechsmal getroffen.
Foto: Patrick B. Kraemer (Keystone)
Seinen Landsmann Enzo Guebey kennt er sehr gut, inzwischen hat er sich auch mit dem Schweden Lucas Wallmark angefreundet. Der Trainerwechsel von Rikard Grönborg zu Marc Crawford habe ihn nicht gross tangiert, sagt Texier. «Es gibt Unterschiede, wie sie arbeiten, wie sie im Training sind und in der Videoanalyse. Aber für mich hat sich nicht viel geändert. Ich muss einfach meinen Job machen. Ich mochte Rikard, und ich mag auch Marc.»
Dass seine Heimatstadt Grenoble von Zürich nur gut 400 Kilometer oder knapp fünf Autostunden entfernt ist, sei für ihn eine grosse Erleichterung, sagt Texier. Am freien Wochenende oder während der Nationalteam-Pausen fuhr er jeweils zurück, seine Mutter Carole besucht ihn oft. Er sagt: «Wir stehen uns sehr nahe. Sie hat mir immer geholfen, und ich weiss, dass sie immer für mich da sein wird, wenn ich sie brauche. Egal in welcher Liga, sie wird kommen und mich unterstützen.»
Zitat«In Finnland realisierte ich, dass Talent allein nicht reicht. Das erste Jahr war hart.»
Alexandre Texier
Als Texier mit 17 nach Finnland zu Kalpa Kuopio auszog, begleitete ihn seine Mutter für seine erste Saison. In der zweiten war er bereits der Topskorer des Teams. Dass er eine spezielle Gabe hatte, merkte er schon als kleiner Junge. «Aber in Finnland realisierte ich, dass Talent allein nicht reicht. Mir wurde klar, dass man auch hart arbeiten muss. Das erste Jahr in Finnland war hart. Ich konnte weder Englisch noch Finnisch. Und plötzlich war ich nicht mehr der Beste, hatten die anderen Jungen ähnlich viel Talent wie ich.»
Die ZSC Lions haben es ihm angetan: Alexandre Texier.
Foto: Sabina Bobst
Mit 19 bestritt er bereits seine ersten NHL-Spiele für Columbus, inzwischen blickt er auf drei Saisons in Nordamerika zurück. Im vergangenen Winter freundete er sich bei den Blue Jackets mit Grégory Hofmann an. «Wir verstanden uns auf Anhieb, es half, dass wir die gleiche Sprache sprechen», sagt er. Beide kehrten frühzeitig nach Europa zurück: Hofmann brach im Januar 2022 sein NHL-Abenteuer ab, und Texier fiel mit einer Fingerverletzung für den Rest der Saison aus und kehrte nach Frankreich zurück.
Die beiden haben seitdem Kontakt gehalten, treffen sich nun auch in der Schweiz regelmässig zum Abendessen. «Über Eishockey reden wir dann nicht, sondern über das Leben sonst, über seine kleine Tochter», sagt Texier schmunzelnd. Wegen Hofmann schaute er sich im vergangenen Frühjahr auch ein Finalspiel im Hallenstadion an. Der EVZ siegte. In diesem Playoff könnten sie im Halbfinal oder im Final aufeinandertreffen.
Zitat«Es ist eine Win-win-Situation. Die Blue Jackets helfen uns, weil sie uns einen guten Spieler geben. Wir helfen ihnen, weil wir ihn verbessern.»
Marc Crawford
Die Blue Jackets, die Texier noch für eine Saison unter Vertrag haben, halten immer noch grosse Stücke auf ihn. General Manager Jarmo Kekäläinen kam im Dezember wegen Texier in die Schweiz. Spielerdirektor Jarkko Ruutu war diese Saison ein häufiger Gast in Zürich. Crawford lud den Finnen sogar zu einem Gespräch ein, das er mit Texier führte. «Es ist eine Win-win-Situation», sagt der Coach. «Die Blue Jackets helfen uns, weil sie uns einen solch guten Spieler geben. Und wir helfen ihnen, weil wir einige Facetten seines Spiels verbessern.»
Die Steigerung von Texier im Verlaufe dieser Saison ist in der Tat frappant. Sportchef Sven Leuenberger sagt: «Die Blue Jackets merkten schnell, dass wir mit ihnen arbeiten. Das Wohlgefühl, das sich Texier erhofft hatte, hat er hier gefunden. Sollte er bleiben wollen, für ihn würden wir immer ein Plätzchen finden.»
General Manager Kekäläinen sagte gegenüber US-Journalisten, er erwarte Texier nächste Saison zurück in Columbus. Es sei noch nichts entschieden, sagt der Franzose. Die ZSC Lions haben es ihm angetan.