- Offizieller Beitrag
Kontrolle ist gut, Vertrauen besser
Wieso Hans Kossmann auf gutem Weg ist, das Coachingduell gegen Kari Jalonen zu gewinnen.
Kent Ruhnke
Ich weiss nicht, wie viele bei den ZSC Lions meine Kolumnen lesen. Aber sie kommen dem, was ich in den letzten Wochen von ihnen gefordert habe, verdächtig nahe. Zuerst einmal spielen sie ganz uneigennützig. Es ist egal, wer die Tore schiesst, alle haben zum Ziel, dem Team in jedem Einsatz zu helfen. Und die Summe all dieser kleinen Opfer führt zum Erfolg.
Ich schrieb auch, es sei Zeit, dass die nächste Generation die Leaderrolle übernimmt, und erwähnte Reto Schäppi namentlich. Mein Herz sprang vor Freude, als ich am Ostermontag sah, wie er zur zweiten Pause Tristan Scherwey vom Eis eskortierte. Der Berner Aufwiegler versuchte wieder, Unruhe zu stiften wie in Spiel 2, als er Fredrik Pettersson angegangen war. Doch Schäppi drängte ihn vom Eis. Seine Körpersprache sagte: «Heute nicht, Herr Scherwey!»
Das kleine, entscheidende Plus
Und Hans Kossmann hat sich einen entscheidenden Vorteil herausgearbeitet, indem er seine vierte Linie viel öfter aufs Eis schickt als sein Gegenspieler Kari Jalonen. Der Finne forciert weiter seine besten Spieler, hält am gewohnten Erfolgsrezept fest. Seit er vorletztes Jahr nach Bern kam, wurde alles zu Gold, was er anfasste. Doch plötzlich wird er ausgecoacht und seine Mannschaft vom Tempo überfordert. Jetzt werden wir sehen, aus welchem Holz er geschnitzt ist.
Das vierte Spiel war nicht das beste der Zürcher in diesem Halbfinal, aber ihr dominantestes. Sie traten nicht mehr ganz so feurig und wild auf wie in den ersten zwei Spielen, aber sie haben nun einen Stil gefunden, mit dem sie den SCB seiner Stärken berauben. Die Lions machen überall Druck auf den Puck, sodass die talentierten Berner gar keine Zeit mehr haben, mit ihm etwas anzustellen. So sind ihre Pässe immer wieder überhastet und unpräzis. Und wenn die SCB-Stürmer den Puck annehmen, werden sie sofort von einem Gegenspieler bedrängt. Nur Scherwey hat den Speed und die Standhaftigkeit, um weiter auf seinem höchsten Niveau zu spielen. Die anderen Berner sind nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Die beiden Teams veranschaulichen die unterschiedlichen Philosophien ihrer Coachs. Zürich ist immer in Bewegung, greift überall auf dem Feld an, zerstört so das gegnerische Spiel und provoziert Puckverluste. Die Berner pflegen eine Mischform. Sie checken vor, wenn sie sehen, dass sie Druck auf den Puck machen können. Wenn nicht, ziehen sie sich in die Mittelzone zurück. Die Lions kommen immer mit Speed und sind nun sehr geübt darin, den Puck ins gegnerische Drittel hineinzuschiessen und ihm nachzujagen. Und wenn der Puck der Bande entlang herausgespielt werden soll, setzt ein Zürcher Abwehrspieler stets nach, um ihn in der Zone zu behalten. Es gibt kein Zögern.
Das ist der grosse Unterschied: die Konsequenz. Die Berner Verteidiger setzen auch manchmal nach. Aber weil sie es nur ab und zu tun, fehlt ihnen die nötige Entschlossenheit. Ein halbherziges Nachsetzen von Eric Blum führte zum Last-Minute-Tor von Pius Suter in Spiel 3. Und derweil die Zürcher immer mehr Vertrauen fassen, verlieren die Berner das ihre.
«Die Lions haben einen Stil gefunden, mit dem sie den SCB seiner Stärken berauben.»
Ich liebe das Grinsen auf dem Gesicht von Kevin Klein. Er geniesst es nochmals so richtig. Seit seinem wuchtigen Zusammenstoss mit Simon Moser in Spiel 2 getraut sich kein Berner mehr, seine körperliche Überlegenheit zu testen. Seine kindliche Freude ist ansteckend. Pettersson interessiert sich nicht mehr nur dafür, Tore zu schiessen. Er wirft sich in die Schüsse wie ein Teenager. Der Powersturm mit Schäppi, Fabrice Herzog und Chris Baltisberger richtet in der Berner Zone Chaos an und neutralisiert die SCB-Verteidiger, ja schüchtert sie ein. Jeder trägt bei den Zürchern seinen Teil bei. Das bessere Team liegt in Führung, nicht das talentiertere.
Jalonen muss nun schnell reagieren. Auf dem Weg zum Berner Meistertitel 2016 spielte die vierte Linie mit Alain Berger und Gian-Andrea Randegger eine wichtige Rolle. Jener SCB übte einen ähnlichen Druck aus auf den Gegner wie nun die Lions. Der schlaue Finne muss aufhören, zu versuchen, sein Team zum Sieg zu managen – er muss seine Spieler von der Leine lassen. Die morgige Partie wird der ultimative Test für beide Teams. Kann der SCB einen Gang höher schalten? Können die Lions damit umgehen, so nah am Ziel zu sein? Die Serie wird durch die Antworten auf diese beiden Fragen entschieden.
Mut bis zur Sirene
Kossmanns Coachingstil könnte als Fallstudie für junge Trainer dienen. Was mich am meisten beeindruckt hat, sind nicht seine taktischen Entscheidungen, sondern sein Mut. Er sagt zu seinen Spielern: «Vertraut mir, dann vertraue ich euch auch.» So stand am Montag bis zuletzt die vierte Linie auf dem Eis und auch der junge Tim Berni. Auch Mathias Seger, in der Dämmerung seiner Karriere, spielte durch. Es wäre einfacher gewesen, nur noch Klein und Patrick Geering in den entscheidenden Situationen aufs Eis zu schicken. Aber eben nicht so effektiv.
Als ich im dritten Drittel sah, wie sich die Berner Spieler umblickten in der Hoffnung, dass irgendetwas passiere oder irgendwer übernehme, taten sie mir fast ein bisschen leid. Doch der SCB ist zu gut dafür, ihn abzuschreiben. Wer jetzt bei den Zürchern vom Final träumt, wird dafür bestraft werden. Wer glaubte schon daran, als Biel in Spiel 3 gegen Lugano 3:0 führte, dass die Tessiner die Serie auf 2:2 ausgleichen könnten? Eben.
Die Lions sind gut beraten, die Berner nicht mehr aufstehen zu lassen. Sonst könnten sie selbst schneller auf dem Rücken landen, als sie es für möglich halten.
(Tages-Anzeiger)