- Offizieller Beitrag
Cli Öl fürs Füür und so (Quelle NZZ / 20.07.23)
«GC-Sympathisanten können sich in Zürich nicht mehr sicher fühlen» – ein Hooligan-Experte blickt mit Sorge auf die Radikalisierung gewisser FCZ-Ultras
Vor dem Start der neuen Super-League-Saison spricht der Soziologe und Sicherheitsberater Maurice Illi über die Rivalität der Zürcher Fussballvereine – und über die Gewalt rund um Fussballspiele.
Daniel Fritzsche20.07.2023, 05.02 Uhr
8 min
Maurice Illi bereiten gerade die jungen Ultras zwischen 15 und 20 Jahren Sorgen. «Sie kennen die alten Regeln nicht und wollen durch immer ruchlosere Aktionen ausserhalb der Stadien auffallen.»
Imago
Herr Illi, am Züri-Fäscht haben gewalttätige FCZ-Fans einen Stand von GC überfallen und Familien mit Pfefferspray eingedeckt. Sind Sie als Hooligan-Experte überrascht von einer solchen Aktion?
Maurice Illi: Leider war so etwas zu erwarten. Ein Teil der FCZ-Ultras hat sich in den letzten Jahren radikalisiert. Diese Gruppe agiert militant und schreckt vor Aktionen gegen wehrlose, unbeteiligte Gruppen nicht zurück. Aus ihrer Sicht schien dieser GC-Stand am Züri-Fäscht ein lohnendes Ziel, ein gefundenes Fressen. Es ist traurig, dass es so weit gekommen ist.
Es ist nicht die erste solche Aktion. Letzte Saison haben FCZ-Ultras nach einem Cup-Spiel von GC gezielt eine S-Bahn angehalten, einen Wagen verwüstet und Personen angegriffen. Es gab fünf Verletzte.
Ich verfolge Sicherheitsfragen rund um Fussballspiele seit über zwanzig Jahren. Diese Entwicklung ist neu und erschreckend. GC-Sympathisanten können sich in Zürich heute nicht mehr sicher fühlen. Wer mit Hopper-Shirt durch die Stadt geht, braucht ein gesundes Selbstbewusstsein. Das sollte für Präventions- und Sicherheitsfachleute ein Alarmsignal sein.
Zur Person
dfr. Maurice Illi beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Gewalt in und um Fussballstadien. Der Soziologe hat seine Abschlussarbeit zu Hooliganismus in der Schweiz verfasst. Von 2007 bis 2020 hat er als Sicherheitsmanager der Stadt Luzern gearbeitet, später war er Berater für urbane Sicherheit bei Basler & Hofmann in Zürich. Zurzeit bildet er sich zum Primarlehrer weiter.
Inwiefern unterscheidet sich das Verhalten dieser FCZ-Ultras von jenem früherer Hooligans?
Hooligans suchen Gewalt und Schlägereien unter Gleichgesinnten. Unbeteiligte Dritte lassen sie in Ruhe. Doch die Szene der klassischen Hooligans, die sich an Vorbildern aus England orientierten, ist klein geworden. Sie treffen sich für ihre Konfrontationen auf Feldern und Wiesen – abseits der Öffentlichkeit.
Maurice Illi, Soziologe und Sicherheitsexperte.
PD
Die Behörden sprechen von 400 bis 800 Personen, die in der Schweiz zum harten Kern der gewalttätigen Fans gehören . . .
Das könnte hinkommen. Wobei es schwierig ist, die genaue Zahl zu schätzen. Wer mir Sorgen bereitet, sind neue, vielfach sehr junge Ultras zwischen 15 und 20 Jahren, welche die alten Regeln nicht kennen und durch immer ruchlosere Aktionen ausserhalb der Stadien auffallen wollen – wie jüngst am Züri-Fäscht.
Ist es ein Zufall, dass es in Zürich vor allem FCZ-Ultras sind, die gegen GC-Sympathisanten vorgehen?
Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall. Aber die Verhältnisse in Zürich sind zurzeit klar: Der FCZ hat in den letzten Jahren viel mehr junge Fans angezogen als GC, bei dem es sportlich und wirtschaftlich nicht läuft. In der FCZ-Südkurve sind regelmässig 5000 bis 6000 Personen. Entsprechend oft kommt es bei und abseits von Spielen zu Problemen (siehe Grafik). Wegen des schnellen Wachstums und des Unterbruchs der Corona-Jahre sind viele Junge dazugekommen, die nicht genügend in der Kurve sozialisiert werden konnten.
Anhänger der Zürcher Fussballvereine sorgen für den meisten Ärger
Involviertheit der Klubs bei rot bewerteten Spielen, Saisons 2015/16–2021/22
Involviert als Heimklub
Involviert als Gast 0204060
FC ZürichGrasshoppersFC St. GallenYoung BoysFC Basel
2739
1336
1531
1227
1026 Quelle: KKPKS/SFL NZZ / dfr.
Wie meinen Sie das?
Früher war klar: An einen ersten Match geht man als kleines Kind mit seinen Eltern. Dann wächst man mit den Sitten und Gebräuchen eines Klubs auf. In der Fankurve schaut man zu den älteren Fans hoch, orientiert sich an ihnen. Solche Sozialisationsprozesse dauern lange und kamen in letzter Zeit bei vielen neuen FCZ-Fans zu kurz.
Welche Verantwortung trägt die FCZ-Marketingabteilung, die offensiv mit Slogans wie «Eine Stadt, ein Verein» oder «Züri isch ois» wirbt?
Solche absoluten Slogans bestätigen den Teil der FCZ-Ultras, der gar nicht so sehr für den eigenen Verein einstehen, sondern sich vor allem vom anderen Zürcher Klub abgrenzen möchte. «Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!» Das ist bei aller gesunden sportlichen Rivalität ein gefährliches Motto.
Wieso?
Wer die falschen Vereinsfarben unterstützt, wird zum Feind, zum Unmenschen degradiert. Dagegen sollten sich alle vernünftigen Fans wehren. In der Schule lehren wir unsere Kinder, dass alle Menschen gleich sind, egal, welche Hautfarbe, welches Geschlecht oder welche Religion sie haben. Das muss auch für Fussballklubs gelten. Den Vereinsverantwortlichen und Profispielern sollte das bewusst sein.
Der frühere Chef der Krawallgruppe der Zürcher Staatsanwaltschaft sagte der NZZ, er beobachte bei gewissen Ultras eine zunehmende «Brutalisierung» und ein «bandenmässiges Vorgehen». Wenn es so weitergehe, gebe es bald einmal einen Toten. Wie sehen Sie es?
Mit Blick auf ausländische Ligen ist das leider im Bereich des Möglichen. Dort werden teilweise Messer und sogar Schusswaffen eingesetzt. Ich hoffe, wir reissen in der Schweiz das Ruder herum.
Die gewaltbereiten jungen FCZ-Ultras kleiden sich alle gleich: schwarze Südkurve-Jacke, Jeans, weisse Turnschuhe. In diesen Uniformen stürmten über fünfzig von ihnen vorletztes Jahr durch den Letzigrund und warfen Pyrofackeln in die volle GC-Fankurve. Man kann ungute historische Parallelen ziehen . . .
Die uniforme Bekleidung würde ich nicht überbewerten. Sie dient dem Gemeinschaftsgefühl, hat aber auch mit der verstärkten Videoüberwachung in den Stadien zu tun. Kleiden sich alle Gewaltbereiten gleich, wird die Identifikation nach einem Ereignis wie dem Fackelwurf von 2021 schwieriger. Die Täter können so leichter wieder in der Masse untertauchen.
Auffällig ist, dass selbst solche Gewalttaten von den übrigen, friedlichen Ultras immer wieder gedeckt werden. Wieso?
Bei den Hooligans gilt: Auch wenn mir der Gegner das Nasenbein bricht, zeige ich ihn nicht an. Man trifft sich in der Rückrunde ja wieder. Bei den Ultras heute geht es eher darum, dass man sich keine Probleme einhandeln will. Ein langjähriger Kurvengänger sagte mir einmal: «Ich bin Fussballfan und kein Sozialarbeiter.» So geht es wohl den meisten.
Immer wenn es zu solchen Gewaltausbrüchen während oder rund um Fussballspiele kommt, flammt in der Schweiz die gleiche Diskussion auf: Was kann man tun, um des Problems Herr zu werden?
Tatsächlich führen wir diese Diskussion immer wieder. Die Fanszene in der Schweiz ist wie ein Vulkan, der vor sich hin köchelt und alle paar Jahre heftig ausbricht – in Zürich, Basel, Bern oder Luzern. Dann folgen jeweils die üblichen Floskeln. Man verurteilt Gewalt, bildet Arbeitsgruppen, holt alte Ideen aus der Schublade und verstaut sie nach ein paar Monaten wieder in derselben. Das ist ärgerlich.
Warum ändert sich nichts?
Viele Massnahmen kosten die Steuerzahler (mehr Polizei) oder die Klubs (mehr Auflagen) viel, und die Wirkung ist nicht garantiert. Das Interesse an der Problematik sinkt immer dann, wenn es wieder etwas ruhiger ist. Dabei wäre es wichtig, gerade in friedlichen Phasen am Thema dranzubleiben und unbedingt den Kontakt zu den vielen vernünftigen Fans zu suchen und zu pflegen. Sie sollten früh und beständig eingebunden werden. So steigt die Akzeptanz für wirksame Massnahmen. Am besten funktioniert es, wenn man gemeinsam etwas entwickelt.
Ein Beispiel?
Etwas Kleines: Die Fanarbeit des FC Luzern realisierte mit den Fans zusammen ein Anti-Littering-Projekt für Auswärtsfahrten. Die SBB monierten zu Recht, dass ihre Extrazüge nach einer Fahrt jeweils grässlich aussahen. Einige Fans zeigten sich bereit, die Züge eigenständig sauber zu halten. Im Gegenzug erhielten sie ein vergünstigtes FCL-Jahresabo. Das Problem entschärfte sich, zum Nutzen aller.
Das ist ein nettes Projekt, aber braucht es nicht viel mehr repressive Massnahmen?
Doch, die braucht es auch. Aber die bekannten Kollektivstrafen wie Geisterspiele, Sperrung von Gästekurven oder Verbot von Stehplätzen bringen wenig und führen eher zur Verärgerung der guten Fans im Stadion. Wenn Repression, dann gezielt und konsequent.
Wo konkret?
Täter rascher identifizieren, verfolgen und verurteilen. Mehr als ein paar Dutzend ernsthafte «Troublemaker» pro Verein gibt es nicht. Die sollte man konsequent aus dem Verkehr ziehen und mit Meldeauflagen versehen.
Das heisst?
Heute sprechen die Klubs für Täter Stadionverbote aus. Bei gravierenderen Vergehen verhängen die Behörden auch Rayonverbote. Solche Verbote zu kontrollieren, bindet aber viele personelle Ressourcen. Bei einer Meldeauflage muss ein Täter sich während des Spiels seines Lieblingsvereins selbständig auf einer Polizeistelle melden. Tut er es nicht, wird er belangt. Das ist viel effektiver als Rayon- oder Stadionverbote, die immer wieder umgangen werden.
Eine Studie der Kantone und der Liga kam kürzlich zum Schluss, dass repressivere Ansätze in einigen europäischen Ländern zwar keine Probleme im Kern gelöst haben, aber doch Verbesserungen brachten. Warum setzt man nicht auch in der Schweiz auf eine härtere Gangart?
Wie gesagt: wenn Repression, dann richtig. Man muss aber immer die öffentlichen Finanzen im Blick behalten. Dass wir für einzelne Spiele Tausende von Polizisten abstellen, wie das in Deutschland teilweise geschieht, hielte ich bei uns für übertrieben und nicht bezahlbar.
Der Bundesrat hat kürzlich die Kantone kritisiert, die zu wenig täten. Zudem fordert er zusätzliche Massnahmen, wie zum Beispiel personalisierte Tickets. Was halten Sie davon?
Versuchen könnte man es, die Umsetzung hat aber hohe Kosten zur Folge. Ein Allerheilmittel ist diese Massnahme wohl nicht. Für die Aktion am Züri-Fäscht brauchte es ja beispielsweise keine Tickets. Im dümmsten Fall kommt es vor dem Stadion wegen aufwendigerer Kontrollen zu einem gefährlichen Gedränge. Das will niemand. Ich würde am Einlass stichprobenartig die ID von Personen kontrollieren und mit den entsprechenden Datenbanken abgleichen. Mit geringem Aufwand erreicht man eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Gewalttäter.
Vor über zehn Jahren trat in den meisten Kantonen – mit Ausnahme der beiden Basel – das revidierte Hooligan-Konkordat in Kraft. Hatte es einen Effekt?
Kritisch muss man sagen, dass es wohl weniger gebracht hat als ursprünglich erhofft. Wichtig war, dass die Kantone das Problem auf die Agenda gesetzt haben. Aber die Fangewalt hat es nicht aus der Welt geschafft.
Gibt es Beispiele aus dem Ausland, die als Vorbild für die Schweiz dienen können? England beispielsweise hatte früher ein ausgeprägtes Hooligan-Problem, heute vernimmt man kaum mehr negative Nachrichten.
Für die oberste Liga stimmt das. Allerdings kam die Änderung mit einem Preis. Viele echte Fans schauen sich in England die Spiele nicht mehr im Stadion, sondern im Pub an, weil die Tickets so teuer geworden sind. Stehplätze gibt es auch keine mehr. Die Stimmung hat definitiv gelitten.
Dafür knallt es nicht mehr . . .
In den unteren Ligen durchaus, die Gewalt hat sich verlagert. Davon hört man im Ausland weniger, weil der mediale Fokus nicht darauf liegt. Wenn es um ausländische Vorbilder geht, würde ich einen Best-Practice-Ansatz verfolgen. Von praktisch allen europäischen Ligen kann man etwas lernen.
Zum Beispiel?
Die Deutschen setzen stark auf Fanarbeit und pflegen so einen intensiven Austausch mit den Fans. Etwas, das in der Schweiz etwas eingeschlafen ist. In Österreich und Skandinavien verfolgen sie interessante Ansätze im Bereich Pyrotechnik. Dort gibt es in den Stadien gekennzeichnete Sektoren, wo Feuerwerk legal und sicher gezündet werden darf – zum Beispiel, wenn die Heimmannschaft ein Tor schiesst.
Und die Fans halten sich daran?
Zu 90 Prozent, ja. Es musste sich zuerst einspielen. Aber mittlerweile läuft es gut. England kennt die stichprobenartigen Identitätskontrollen, von denen ich sprach. Viel lernen kann man im Ausland auch darüber, wie ein Stadion ideal gebaut und erschlossen wird . . .
Was ist entscheidend?
Heim- und Gäste-Ultras müssen schon bei der Ankunft vor dem Stadion sauber getrennt werden können. Dazu braucht es genügend Platz für die «normalen» Fans. In der Schweiz sind viele Stadien in zu dicht besiedeltem Gebiet. München oder Amsterdam sind positive Beispiele.
Was sagen Sie zum geplanten neuen Zürcher Stadion auf dem Hardturm-Areal?
Das alte Hardturm-Stadion wurde vor fast hundert Jahren gebaut. Damals lag das Areal im Kreis 5 am Stadtrand, heute ist es wegen der gewachsenen Stadt mittendrin. Ich halte es darum aus Sicherheitsüberlegungen für keinen idealen Standort mehr. Auch wenn ich als Fussballfan alten Stadien wie dem Hardturm nachtrauere.
Apropos: Können Sie nach so langer Beschäftigung mit Sicherheitsfragen rund um den Fussball überhaupt noch ein Spiel als einfacher Zuschauer geniessen?
Selbstverständlich. Ich freue mich auf die Frauen-WM in Australien und Neuseeland sowie auf die neue Super-League-Saison, die dieses Wochenende beginnt. Ich liebe es, ins Stadion zu gehen, wenn die Stimmung gut ist, wenn die Fans eine Choreografie zeigen, wenn das Spiel packend ist. Und, natürlich, wenn alles friedlich bleibt.