• Ein sehr sympathischer Mensch:


    ZSC-Raubein ganz privat

    «Ich wünschte, ich könnte all das mit meinem Vater teilen»

    Christian Marti ist der härteste Schweizer Verteidiger und doch allseits beliebt. Er spricht übers Playoff, seine Familie und die Lücke, die der frühe Tod seines Vaters hinterlassen hat.

    Simon Graf

    Simon Graf

    Publiziert heute um 11:52 Uhr


    Christian Marti, Verteidiger der ZSC Lions, lächelnd im Hoodie vor einem metallischen Hintergrund in der Swiss-Life-Arena.

    «Manchmal bin ich fast ein bisschen zu lieb.» Christian Marti im Korridor vor der ZSC-Garderobe.

    Foto: Urs Jaudas


    In Kürze:

    • Christian Marti wurde in einer Umfrage unter den Spielern als härtester Spieler der Liga gewählt.
    • Nach dem frühen Tod seines Vaters musste er wichtige Karriereentscheide allein treffen.
    • Der ZSC-Verteidiger bewirtschaftet in Oberembrach ein zwei Hektaren grosses Waldstück.
    • Als zweifacher Vater sucht Marti die Balance zwischen Eishockey und Familienleben.

    Playoff ist die schönste Zeit im Eishockey. Ausser, man ist nicht dabei. Wie Christian Marti im Zürcher Viertelfinal, als er die Spiele 4 und 5 wegen seiner Sperre verpasste. «Es ist schon hart, zuzuschauen, wenn man verletzt ist. Aber wenn man gesperrt ist, ist es noch viel schlimmer. Ich fühlte mich megaschuldig.»

    Im fünften Spiel hielt er es nicht mehr aus. Das erste Drittel verfolgte er noch von der Bank aus, dann zog er sich in die Kabine zurück. Da setzte er sich zuerst auf den Hometrainer und ging dann in die Sauna. Das Spiel konnte er sich nicht mehr anschauen.

    «Ich schickte ein Stossgebet in den Himmel und hoffte aufs Beste», sagt Marti schmunzelnd. Als er am Schwitzen war, stürmte sein Teamkollege Yannick Blaser jubelnd in die Sauna. Blaser war nun auch aus dem Spiel ausgeschlossen worden und harrte ebenfalls in der Kabine aus. «Er sagte mir, Andrighetto hätte das 2:2 geschossen. Kurz darauf kam er wieder herein und sagte, nun stehe es 3:2. Ich hatte eine Riesenfreude.»

    Mit einem 5:2 qualifizierten sich die ZSC Lions für den Halbfinal, den sie am Samstagabend zu Hause gegen den HC Davos beginnen. Marti darf dann wieder mitspielen.

    Rauferei im Derby: Die Szene, nachdem Christian Marti den Klotener Rafael Meier mit dem Check am Kopf getroffen hatte.

    Rauferei im Derby: Die Szene, nachdem Christian Marti den Klotener Rafael Meier mit dem Check am Kopf getroffen hatte.

    Foto: Claudio Thoma (Freshfocus)

    Der Zürcher Hüne ist im Schweizer Eishockey ebenso gefürchtet wie geschätzt. Kürzlich wurde er von seinen Spielerkollegen in einer Umfrage des «Blicks» und der Spielervereinigung als härtester Spieler der Liga gewählt. Und doch würde kaum jemand ein schlechtes Wort über ihn verlieren. Seine entwaffnend ehrlichen Fernsehinterviews haben Kultstatus, sein breites Lachen ist ansteckend. Marti verkörpert Werte, die man einem Hockeyprofi bestenfalls zuschreibt: Er ist hart, aber nicht hinterlistig, und neben dem Eis ist er bodenständig und liebenswürdig.

    Herzensgut, aber aggressiv auf dem Eis

    Wie geht das zusammen? Wie kann einer, den viele als herzensguten Menschen bezeichnen, so aggressiv spielen wie er? «Ehrlich gesagt weiss ich das auch nicht», sagt der 31-Jährige. «Manchmal bin ich fast ein bisschen zu lieb. Ich lache sehr gerne und habe immer einen Witz auf Lager. Und ich würde von mir selbst behaupten, dass ich loyal bin. Wenn man mit mir einigermassen gescheit umgeht, hat man es gut mit mir. Und mir kann man auch einmal ein Geheimnis erzählen. Ich muss nicht überall tratschen. Aber auf dem Eis kann es mir schon einmal den Deckel lupfen.»

    Christian Marti, Verteidiger der ZSC Lions, steht nach dem Training in der Swiss-Life-Arena in Freizeitkleidung vor einer Metalljalousie.

    Christian Marti: «Ich lache sehr gerne und habe immer einen Witz auf Lager.»

    Foto: Urs Jaudas

    Ein gut getimter Check zur richtigen Zeit kann ein Team wachrütteln und die Dynamik in einem Spiel verändern. Marti ist ein Meister in dieser Disziplin. Wenn er seinen Gegner an der Bande so richtig erwischt, geht ein Donnergrollen durch die Arena. Er sagt: «Es ist in meinem Stellenbeschrieb, dass ich diese Physis hinbringen muss. Das hat irgendwann angefangen, und mittlerweile erwartet man das von mir. Ich bin nicht der Typ, der 20 Tore schiesst. Ich bin nicht so eiskalt wie Andrighetto oder Malgin und sehe die Plays und die Schusslinien, also mache ich es auf diesem Weg.»

    Bei seiner Aussage schwingt Understatement mit. Marti ist seit Jahren einer der besten Schweizer Verteidiger. Er war 2024 im WM-Silberteam dabei und an den letzten drei Weltmeisterschaften gesetzt. Olympia 2022 verpasste er nur deshalb, weil er sich kurz vor dem Abflug nach Tokio noch mit dem Coronavirus ansteckte. Auch auf internationaler Bühne ist sein geradliniges, körperbetontes Spiel von grossem Wert für Nationalcoach Patrick Fischer.

    Eishockey-Spiel in Zürich zwischen den ZSC Lions und EHC Kloten. Sami Niku von Kloten und Christian Marti von ZSC kämpfen um den Puck an der Bande.

    Harte Checks sind sein Markenzeichen: Christian Marti im Derby gegen Klotens Sami Niku.

    Foto: Roger Albrecht (Freshfocus)

    Der Zürcher hat schon viel erreicht in seiner Karriere: Er gewann den Spengler-Cup mit Servette (2013), WM-Silber in Prag, mit den ZSC Lions zwei Meistertitel (2018, 24) und zuletzt die Champions League. Nur eines hätte er sich noch gewünscht: dass sein Vater diese Erfolge mit ihm hätte erleben können.

    «Ich habe inzwischen zwei, drei Dinge erlebt, die speziell sind», sagt Marti. «Ich wünschte, ich könnte all das mit meinem Vater teilen. Dass ich das nicht kann, ist schon megabitter. Und ich vermisse es auch, nach einem Hockeymatch mit ihm über das Spiel zu reden.»

    Sein Vater war damals erst 53

    Marti war 14, als sein Vater bei seiner Arbeit im Flughafen Kloten zusammenbrach. «Zwar bekam er schnell Hilfe, aber sie konnten ihn nicht mehr retten. Wahrscheinlich war es das Herz. Es wurde keine Autopsie gemacht.»

    Das war 2007, sein Vater war damals erst 53. Marti hatte gerade die Zusage für seine Lehrstelle als Forstwart bekommen. «Immerhin hat das mein Vater noch erlebt», blickt er zurück. «Es hat ihn sehr gefreut, dass ich das machen konnte. Auch er war sehr gerne im Wald.»

    Zu Martis Juniorenzeiten beim EHC Kloten war sein Vater auch involviert gewesen als Betreuer in seiner Mannschaft. Und er begleitete das Zürcher Team ans Pee-Wee-Turnier in Québec – ein Highlight für jeden Junior. «Wie ich hörte, war er sehr beliebt», sagt Marti. «Er ist gerne unter Leuten gewesen und hat gerne gelacht. Das habe ich wohl von ihm. Was ich in jenem Alter noch nicht begriffen habe: was meine Mutter alles geleistet hat zu jener Zeit.» Sie zog ihn und seinen älteren Bruder allein gross.

    Als Marti mit 19 von Kloten ins kanadische Junioreneishockey auszog, hätte er sich gerne vorher mit seinem Vater über diese Entscheidung ausgetauscht. «Oder als ich mich nach dem ersten Jahr entscheiden musste: Soll ich nochmals ein Jahr beissen? Oder soll ich zurückkommen? In solchen Momenten hätte ich gerne seinen Ratschlag gehabt. Er war vielleicht nicht der grosse Hockeykenner, aber mir fehlte diese Vaterfigur.»

    «Es ist halt trotzdem extrem bitter»

    Immer wieder erlebt Marti noch heute Momente, in denen er sich die Frage stellt, wie es wäre, wenn sein Vater noch leben würde. «Es würde mich wundernehmen, wie er mit unseren Kindern spielen würde. Wie er mit ihnen in den Wald gehen würde. Oder was er heute mit meiner Mutter unternehmen würde. Ich bin nicht der Einzige auf der Welt, der ein solches Schicksal erlebt. Aber es ist halt trotzdem extrem bitter.»

    Wenn er Familienfilme schaue, werde er, wohl aufgrund seiner Geschichte, schnell emotional, sagt Marti. Er hat auch heute noch Begegnungen mit Leuten, die ihm sagen, sein Vater wäre sehr stolz auf ihn, wenn er ihn heute sähe. Kürzlich traf er an einer Beerdigung einen früheren Weggefährten seines Vaters, der einst die Tour de Suisse der Frauen organisiert hatte. «Er sagte, das sei die beste Zeit seines Lebens gewesen. Und er sprach darüber, wie er damals mit meinem Vater zusammenarbeitete. Dann kommt mir schon das Augenwasser. Aber eben, es ist schön, dass er solche Spuren hinterlassen hat.»

    Heute ist Marti selber zweifacher Vater. Tochter Uma ist acht und widmet sich ambitioniert dem Eiskunstlauf, mit fast täglichen Trainings, Sohn Dion ist fünf und macht seine ersten Gehversuche im Eishockey. Mit seinem Vater und Götti Sven Andrighetto hat er gute Vorbilder.

    «Ich bin nicht der perfekte Vater», sagt Marti selbstkritisch. «Ich versuche, so präsent zu sein wie möglich. Aber am Abend spät, wenn ich müde bin, verliere ich auch manchmal die Geduld. Und wenn die Kinder dann im Bett sind, bereue ich das.» Ehrliche Worte, die wohl viele Eltern nur allzu gut nachvollziehen können.

    «Viele meinen, Hockeyprofi sei ein lockerer Job»

    Nicht immer habe er, der ohnehin viel studiere, zu Hause den Kopf frei vom Eishockey, sagt Marti. «Viele meinen, Hockeyprofi sei ein lockerer Job. Am Morgen bist du in der Eishalle, am Nachmittag hast du frei. Aber ich bin oft auch müde, wenn ich nach Hause komme. Wir springen schon ziemlich auf dem Eis herum, es ist anstrengend. Und vielleicht hast du gerade zwei Spiele gehabt, die nicht so gut gelaufen sind, und machst dir darüber Gedanken.»

    Marti hat inzwischen noch eine höhere Fachschule in Betriebswirtschaft begonnen, um sich für die Karriere nach der Karriere zu rüsten. Zurzeit hat er gerade noch Prüfungen. «Wenn die Kinder im Bett sind, sollte ich noch lernen.»

    Daneben besitzt er in Oberembrach ein Waldstück von gut zwei Hektaren, das er bewirtschaftet. So gut es gehe, fügt er an. «Ich würde auch gerne jeden Samstag im Wald bräteln und mit dem Traktor Holz herumkarren.» Aber während des Playoff wird das kaum möglich sein.

    Für Marti ist klar: «Je älter man wird, desto mehr geht es darum, die Balance hinzubekommen. Mit 20, 25 gehst du nach dem Training nach Hause und schläfst. Danach unternimmst du noch etwas. Heute will ich Zeit mit der Familie verbringen, denn das tut allen gut und bringt mich weg vom Eishockey.» Er weiss: Solche Momenten sind unersetzlich.

    • Offizieller Beitrag

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